Interview mit Bianco-Valente
Eine Welt, in der es nicht zuerst um den Profit geht
Unsere Gesellschaft ist zerbrechlicher als wir dachten. Darum müssen wir jedem Einzelnen gleiche Rechte garantieren und gegen die Zerstörung der Natur vorgehen - das sind die Lehren aus dieser Zeit für das international bekannte Künstlerduo.
Von Maria Carmen Morese & Johanna Wand
Welchen Raum nimmt Ihre Arbeit in der Isolation ein?
In den vierzig Tagen seit Beginn der Isolation haben verschiedene Phasen einander abgewechselt. Am Anfang war es quasi eine Erleichterung, nach einer Zeit ständigen Unterwegsseins die eigenen Räume zu Hause wieder zu bewohnen, und diese Beständigkeit hat uns zur Ruhe kommen lassen.
In den darauf folgenden Wochen hat sich ein Gefühl der Beklemmung eingeschlichen, verursacht durch den Mangel an sozialen und familiären Kontakten und der Unmöglichkeit, sich frei zu bewegen. Das Reisen und der Dialog mit anderen Menschen spielen eine wichtige Rolle im Entstehungsprozess unserer Projekte.
Jetzt, wo es die Aussicht auf eine Lockerung der Maßnahmen gibt, befinden wir uns wie in einer Schwebe, in der sich eine gewisse Teilnahmslosigkeit breit macht. Wir können nur hoffen, dass dies alles so bald wie möglich vorbei geht. Sicher war es keine gute Zeit für unser künstlerisches Schaffen. Unser Ansatz ist nicht, jeden Tag ins Atelier zu gehen. Die Arbeit besteht vielmehr darin, kontinuierlich ein dichtes Netz von Projekten, Orten und Menschen zu knüpfen.
Wie alle schwierigen Momente eröffnet auch die gegenwärtige Krise neue Möglichkeiten. Was können wir aus dieser Situation lernen?
Diese Zeit hat deutlich gemacht, wie zerbrechlich unsere Gesellschaft ist. Es ist klar geworden, dass wir nicht unbesiegbar sind und nicht glauben sollten, wir würden die Macht über die Welt in unseren Händen halten. Im Gegenteil, wir müssen uns um sie kümmern, so wie wir uns um uns selbst und die anderen kümmern sollten.
Wir müssen die Welt neu denken, eine Welt, in der es nicht zuerst um den Profit geht, sondern um die Gemeinschaft; darum, die Kluft zwischen den Individuen, zwischen Wohlstand und Armut zu überbrücken. Das sind Dinge, die uns längst bewusst waren, die aber in ihrer ganzen Dramatik erst jetzt erkennbar geworden sind.
Wir müssen jedem Einzelnen gleiche Rechte garantieren, das Recht auf Arbeit, auf ein würdiges Leben. Es gibt immer noch zu viele Menschen, die unter einem Dach aus Pappe Zuflucht finden, und zu viele, die nicht nur keine Bürgerrechte haben, sondern auch von schamlosen Sklavenregimen ausgebeutet werden, um zu gewährleisten, dass Obst und Gemüse auf unseren Tischen ankommen.
Hier wird der Staat in Zukunft eingreifen - und neue Gesetze und Maßnahmen auf den Weg bringen müssen, um die Würde jedes Menschen wiederherzustellen und zu schützen.
Die neuen Umstände erschüttern und beunruhigen uns, aber sie ermutigen uns auch zu visionärem Denken. Von welchem Danach träumen Sie?
Jetzt, wo Produktion und Aktivität gezwungenermaßen zum Stillstand gekommen sind, sehen wir Delfine an unseren Küsten, Hasen, Hirsche und andere Wildtiere in den Straßen und Parks unserer Städte. Das Wasser der Meere ist glasklar und die Luft sauber.
All das sollte Anlass sein, etwas gegen die Verwüstungen, die wir angerichtet haben, zu unternehmen, von dem unkontrollierten Zubetonieren der Landschaft bis hin zum exzessiven Gebrauch des Autos. Das Ziel sollte sein, Natur und Umwelt zu schützen, indem wir unsere täglichen Gewohnheiten ändern, durch einen verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen und eine gesündere und bewusstere Ernährung.
Biographie
Giovanna Bianco (Latronico, 1962) und Pino Valente (Neapel, 1967), leben und arbeiten zusammen in Neapel, wo sie sich 1993 kennen gelernt haben. Ihr gemeinsames künstlerisches Projekt beginnt bei der Erforschung der Dualität von Körper und Geist, der Evolution der Interaktion zwischen unterschiedlichen Lebensformen, der Wahrnehmung und Tradierung von Erfahrungen durch das Erzählen und Schreiben. Auf Basis dieser wissenschaftlichen und philosophischen Untersuchung entwickelten die Künstler ein Werkkonzept, das darauf zielt, zwischenmenschliche Beziehungen sichtbar zu machen. Es findet seinen Ausdruck vor allem in Kunstinstallationen an historischen Gebäuden und Projekten, die sich mit der Wechselbeziehung zwischen Menschen, Ereignissen und Orten befassen.
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