Schnelleinstieg:

Direkt zum Inhalt springen (Alt 1) Direkt zur Hauptnavigation springen (Alt 2)

Interview mit Sara Sole Notarbartolo
Ein Standfoto aus dem Film unseres Lebens

Sara Sole Interview
© Isadora Benegas

​Jeder Tag in der Einsamkeit ist eigentlich voller Menschen und Geschichten, sagt die Theaterautorin und Regisseurin.

Von Maria Carmen Morese & Johanna Wand


Welchen Raum nimmt Ihre Arbeit in der Isolation ein?

Ich liebe die Einsamkeit. Und in bestimmten Phasen meines Schreibens ist sie ein kostbares Gut. Es gibt aber auch einen Schöpfungsmoment am Beginn der Arbeit, wenn ich mit meinen Schauspielern zusammenarbeite. Diese Phase hätte ich normalerweise im März erlebt, als das Ensemble meines neuen, für Oktober 2020 geplanten Stücks zusammenkommen sollte.
Es ist so, als hätte die gewaltige Stille dieser Abwesenheit meine Seiten verblassen und leer werden lassen, ohne die Möglichkeit auf Wiederkehr. Dann habe ich beschlossen, nicht mehr vor der Situation wegzulaufen und sie zu leben. Ich begann, ein neues Stück für zwei Schauspieler aus Sizilien zu schreiben und ließ die räumliche Distanz zu ihnen in den Charakter des Stücks einfließen. Wir verabreden uns auf Skype und lesen den Text gemeinsam, während er sich entspinnt. Die Geschichte entsteht unter den Bedingungen der Distanz zwischen den Schauspielern und zum Publikum, sie spielt regelrecht damit. Die neuen Emotionen, die Wut, das Gefühl belagert zu sein geben dem Stück nach und nach Gestalt. Ein Theatermacher kann nicht anders, als in die Gegenwart einzutauchen, auch wenn sie schmerzhaft ist wie im Moment.

Wie alle schwierigen Momente eröffnet auch die gegenwärtige Krise neue Möglichkeiten. Was können wir aus dieser Situation lernen?

An einem der ersten Tage in Quarantäne habe ich auf einmal deutlich gespürt, wie sehr wir alle miteinander verbunden sind, dass hinter allem Individuen stehen. Von dem Stuhl, auf dem ich jetzt sitze, über das Brot, das ich esse, bis hin zu den Früchten auf dem Tisch und den Büchern im Regal… alles ist von jeweils einem Menschen gemacht, gedruckt, zusammengenagelt, transportiert, gekocht, geliefert worden. Und es ist, als ob ich plötzlich das Leben, die Geschichte und die Verletzlichkeit dieser Gegenstände wahrnehme. Jeder Tag in der Einsamkeit ist eigentlich voller Menschen und Geschichten. Es ist, als spürte ich auf einmal den Hauch von Vitalität und das dichte Netz von Beziehungen, das uns umgibt und von dem wir ein Teil sind.

Die neuen Umstände erschüttern und beunruhigen uns, aber sie ermutigen uns auch zu visionärem Denken. Von welchem Danach träumen Sie?

Wir erleben eine Welt ohne Antworten, ohne Sicherheit, eine Welt von Wahrheiten, die nur kurz Bestand haben und sich bald als falsch erweisen. Es ist diese Angst, mehr noch als die Angst vor dem Virus, die uns schwindlig werden lässt. Wir werden viel beweglicher werden, viel anpassungsfähiger und unsere Vorstellung der Wirklichkeit immer wieder von Neuem verändern müssen.
Die Quarantäne ist wie eine Fotografie unseres Lebens. Vorher war es ein Film, den wir einfach laufen ließen. Und jetzt können wir schauen, lange schauen, an welchem Punkt wir waren, als der Stopp kam und ob uns dieses Bild gefällt. Ich glaube, jeder von uns hatte die Gelegenheit, das Bild von dem, was er über einen langen Zeitraum geschaffen hat, genau zu betrachten. Jetzt, da mit den Lockerungen alles wieder in Bewegung gerät, werden wir die Verantwortung spüren, ein wirklich wertvolles Leben zu gestalten, das dem, was uns zutiefst glücklich macht, immer näherkommt.
 

Biographie

Sara Sole Notarbartolo ist Dramaturgin, Regisseurin, Theaterpädagogin und Gründerin des Theaterensembles Taverna Est. Ihre Arbeiten wurden vielfach national und international ausgezeichnet.
Mit ihren Inszenierungen war sie zu Gast an Theatern und bei Festivals in Italien, Bosnien-Herzegowina, der Schweiz, Frankreich und Belgien. Seit 1996 unterrichtet sie Schauspiel, wobei sie ihre Arbeit als Schauspielpädagogin mit sozial-integrativen Projekten verbindet. Sie realisiert Theaterworkshops und - werkstätten an Schulen, Universitäten und Theatern sowie im Rahmen von Festivals. Ein weiterer Fokus ihrer theaterpädagogischen Tätigkeit liegt in der Arbeit mit Häftlingen und sozial benachteiligten Gruppen.
Sie schreibt Musiktexte, Musicals und Drehbücher.
Im Jahr 2000 erschien ihr Buch "Il meraviglioso mondo di Tea. L'avventurosa storia del teatro italiano" (Esse Libri), 2016 "Sueño #4" (Tittivillus Edizioni).

Top