Humboldt Forum
Das Humboldt Forum: Architektur jenseits des Zeitlichen

Humboldt Forum, Süd- und Ostfassade | © SHF / Foto (Zuschnitt): Christoph Musiol
Warum wurde mitten in Berlin ein Barockschloss wiederaufgebaut? Was soll man von einem Neubau halten, der originalgetreu die Vergangenheit reproduziert? Autor Roberto Sassi versucht, diese und andere Fragen zur Architektur des umstrittenen Museumszentrums von Franco Stella zu beantworten.
Von Roberto Sassi
EIN GLEICHGEWICHT ZWISCHEN VERGANGENHEIT UND GEGENWART
Ein zentraler Vorwurf der Kritiker des Humboldt Forums lautet, dass der Bau in gewisser Hinsicht die zeitgenössische Architektur verraten hätte. Im Jahr 2007 kommentierte Architekt David Chipperfield – der die Gestaltung der James-Simon-Galerie und die Restaurierung des Neuen Museums übernommen hatte – die Entscheidung des Bundestags für den Nachbau des Schlosses so: „Mir wäre es am liebsten, ein Architekt würde eine aktuelle Interpretation der alten Schönheit anstreben. Ein moderner Bau in alten Proportionen wäre fantastisch.“ Tatsächlich hatte fünf Jahre zuvor auch die Expertenkommission „Historische Mitte Berlin“ für die Errichtung eines Gebäudes in derselben Größe wie das Hohenzollern-Schloss votiert, und zwar samt Rekonstruktion der drei von Andreas Schlüter gestalteten Barockfassaden aus dem frühen 18. Jahrhundert sowie des weitläufigen, nach ihm benannten Innenhofs. Darüber hinaus schlug die Kommission vor, den östlichen Flügel des Schlosses und den Palast der Republik – den leerstehenden ehemaligen Sitz des DDR-Parlaments – vorübergehend baulich zusammenzuführen.
DAS SCHLOSS UND DIE MUSEUMSINSEL
Die Befürworter der Rekonstruktion zitieren gern den Schriftsteller und Verleger Wolf Jobst Siedler: „Das Schloss lag nicht in Berlin – Berlin war das Schloss.“ Sie wollen damit die Bedeutung des Schlosses für die Geschichte Berlins betonen, laden zugleich aber zu einem ebenso schlagkräftigen Gegenargument ein: Im 20. Jahrhundert spielte die ehemalige Residenz der Hohenzollern im sozialen und kulturellen Leben der Stadt keine zentrale Rolle mehr. Doch auch dieser, wenngleich begründete, Einwand lässt einen wichtigen Aspekt außer Acht: In architektonischer Hinsicht lag das Schloss nach wie vor zentral. Um das zu erkennen, genügt ein Blick auf die andere Seite des Boulevards Unter den Linden.
ZEITGENÖSSISCHE ARCHITEKTUR ODER NICHT?
Der Entwurf von Franco Stella steht in enger Beziehung zu den umliegenden Museen. In einem im Online-Magazin des Humboldt Forums veröffentlichten Artikel erläutert der Kunsthistoriker Horst Bredekamp, inwiefern dieses Verhältnis nicht nur mit der Architektur, sondern auch mit der Perspektive und dem Strom der Besucher, ja mit der Stadt im engeren Sinn, zu tun hat: Durch die Portale der Passage und des Schlüterhofs sieht und erreicht man das Alte Museum beziehungsweise die Alte Nationalgalerie. Aus diesem Grund lädt Bredekamp dazu ein, das von Stella entworfene Gebäude nicht als Schloss oder als Palast zu betrachten, sondern als einen neuen Stadtteil Berlins, der in Beziehung zu seiner Umgebung steht.

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