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Recht auf Selbstbestimmung
Der Preis der Freiheit

Ein ugandischer Künstler malt ein Wandgemälde, auf dem die Form Afrikas gezeichnet und mit Farbe ausgefüllt ist.
Ugander*innen nehmen während des Mara Mara-Friedensfestivals in Kampala, Uganda, an Malaktivitäten teil. Das Festival war inspiriert von der Erklärung der Afrikanischen Union, dass 2020 das Jahr sein soll, in dem „die Waffen zum Schweigen gebracht werden“. | Foto (Detail): Ronald Kabuubi © picture alliance / ASSOCIATED PRESS

In einer Phase, in der die Freiheit in der Welt angesichts von Einschränkungen durch autoritäre Systeme und Corona‑Pandemie kurz vor dem Zusammenbruch steht, wird deutlich, wie schnell der öffentliche Raum eingeengt wird. Welche Rolle spielen Künstler*innen bei der Verteidigung von Freiheit?

Von Martial Pa‘nucci, auch bekannt als Moyi Mbourangon

Angesichts von Zensur und Freiheitsberaubung ist die Lage unübersichtlich und die Zukunft nicht mehr so sicher wie noch zu Beginn des Jahrhunderts gedacht. In diesem Durcheinander sind ein paar Fragen dringend nötig: Was bedeutet Freisein aus der Perspektive eines Künstlers? Stehen wir bereits am Abgrund in Bezug auf individuelle, lokale, regionale und globale Freiheiten? Was können wir als Einzelne oder gemeinsam tun, um eben diese Freiheit zu bewahren?

Was bedeutet Freiheit im 21. Jahrhundert?

Definiert man Freiheit als die unveräußerliche Fähigkeit des Individuums oder das Recht desselben, über sich selbst zu bestimmen; ohne Zwang zu denken und zu handeln, dann kann man Freiheit auch als das Wesensmerkmal betrachten, das den Menschen in erster Linie ausmacht. In Freiheit geboren zu werden, aufzuwachsen, zu leben und zu sterben, wäre perfekt. Doch dafür braucht es ein Umfeld, das all das auch gewährleistet. Vieles deutet heutzutage auf eine unangenehme Realität: Im 21. Jahrhundert sind nicht – wie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN steht – „alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren“.

Frei zu sein hängt auch in unserem Jahrhundert noch immer davon ab, wo man geboren wird und wo man lebt. Und selbst die Kunst hat sich ihr schließlich unterworfen, weil Kultur inzwischen extrem zum Industrieprodukt geworden ist und Künstler*innen einem Starkult unterworfen sind.

Je nachdem, ob man in Berlin oder Brazzaville, in Paris oder Ouagadougou, in Peking oder Dakar, in Johannesburg oder Libreville, in New York oder Neu-Delhi zur Welt kommt, bedeutet Freiheit nicht dasselbe und sie ist vor allem nicht dasselbe wert. Das zeigt schon das Beispiel Mobilität: So kann eine Person ungehindert von Dublin oder London ganz einfach nach Nouakchott oder Banjul reisen, aber umgekehrt ist dies nahezu unmöglich. Wie ungleich Menschen in dieser Hinsicht behandelt werden, zeigt, dass Freisein heute mehr von der sozialen Stellung, vom Bankkonto und vom Herkunftsland abhängt als von der Tatsache, ein Mensch zu sein.

… die Kunst besitzt nach wie vor die Fähigkeit, über Unterschiede erhaben zu sein und die Menschen dort zu einen, wo Politik und Grenzen unterdrücken und trennen.

Wir als Künstler*innen sollten uns also fragen, wie unsere Gesellschaften in dieser Hinsicht funktionieren, und mithilfe von Kunst Reflexionsstrategien anregen, um die Situation zu verbessern. Aber reicht das? Es muss etwas getan werden, damit jeder Mensch dieselben Freiheiten genießt, ungeachtet seiner sozialen Stellung und seines Geburtsortes. Wir als Künstler*innen sollten dafür kämpfen, dass das möglich wird, denn die Kunst besitzt nach wie vor die Fähigkeit, über Unterschiede erhaben zu sein und die Menschen dort zu einen, wo Politik und Grenzen unterdrücken und trennen. 

Der Preis der Freiheit ist Wagemut

Im Dezember 2020 kam ich am Flughafen Blaise Diagne im Senegal an, wo die zweite UPEC (université populaire de l’engagement citoyen), die von Afrikki organisierte jährliche Tagung afrikanischer Bürger*innenbewegungen, stattfand. Ohne dass ich damit gerechnet hatte, wurde ich drei Tage lang inhaftiert. Erst am dritten Tag erfuhr ich durch eine Mitteilung des senegalesischen Innenministeriums, dass ich angeblich eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstelle (wegen meiner künstlerischen Aktionen) und dass ich nach Burkina Faso ausgewiesen würde, wo ich seit fünf Jahren im Exil lebte. Nur fand die Ausweisung dann gar nicht statt und ich verbrachte weitere zwei Nächte in Verwahrung. Dank eines Videos, das ich in den sozialen Medien postete – ich hatte mich trotz Verbotes am Flughafen gefilmt, um auf meine Situation aufmerksam zu machen –, wurde ich wieder freigelassen und nach Burkina Faso ausgewiesen. Erst als ich den Senegal verlassen hatte, erfuhr ich, dass das kongolesische Regime versucht hatte, mich aus dem Senegal an Kongo-Brazzaville ausliefern zu lassen, wo ein autokratisches Regime herrscht, das ich schon immer angeprangert hatte.

Dieses Erlebnis zeigt, dass wir im 21. Jahrhundert Wagemut brauchen, um nicht unter der Fuchtel von Staaten und Systemen zu leben, die immer autoritärer werden. Wir leben in einer Zeit, in der wir unsere Freiheit den wenigen Leuten anvertrauen, die uns regieren und die dabei nicht immer den geltenden Gesellschaftsvertrag achten. Was wäre, wenn diese wenigen Leute an der Macht eines Tages beschließen würden, uns in unserer Freiheit einzuschränken oder sie uns zu rauben? Ich habe das bereits erlebt, weil Putsch und Diktatur meine Kindheit geprägt haben.

Wir leben in einer Zeit, in der wir unsere Freiheit den wenigen Leuten anvertrauen, die uns regieren und die dabei nicht immer den geltenden Gesellschaftsvertrag achten.

Wenn Freiheitsrechte eingeschränkt werden, wird meist in irgendeiner Form darauf reagiert. Indem die Freiheit auf diese Weise teilweise zurückerobert wird, kann durchaus Bewegung in verkrustete Strukturen kommen. Aber ob das gelingt, hängt vom Umfeld ab. Denn im Krieg, nach einem Putsch oder in einer Diktatur wird das Aufbegehren Einzelner entweder vertuscht oder niedergeschlagen – und zwar rigoros. In solchen Situationen muss man als Künstler*in aufstehen und für die eigene Freiheit und die der Mitmenschen kämpfen.

Keine Freiheit ohne Menschlichkeit

Künstler*innen müssen wissen, was zu tun ist, wenn Freiheitsrechte verletzt oder entzogen werden, selbst in einer Diktatur. Sie müssen Mut und Licht dorthin bringen, wo Dunkelheit vorherrscht. Denn Künstler*in zu sein bedeutet nicht nur zu unterhalten, sondern auch aufzuklären. Wagemut ermöglicht Künstler*innen zu schreiben, zu malen, zu singen, zu tanzen, zu zeichnen, zu spielen, Gedichte vorzutragen, Graffiti im öffentlichen Raum anzubringen – um die Schwächsten zu verteidigen, damit sie selbst sich Freiheit zutrauen.

Ich komme noch einmal auf das Beispiel Mobilität und Freizügigkeit zurück: Dass diese nicht für alle gleichermaßen gelten, hat zu illegaler Einwanderung geführt. Und auch ohne sich dafür starkzumachen, muss man anerkennen, dass all die Hunderte von Migrant*innen, die an den europäischen Küsten landen, Wagemut beweisen. Weil ihnen wegen der harschen Migrationspolitik kein legaler Weg offensteht, riskieren sie ihr Leben. Wagemutig führen sie der Welt ihre Menschlichkeit vor Augen. Vor allem aber halten sie etwas lebendig, das so alt ist wie die Menschheit selbst: auszuwandern, weil man sich nach besseren Lebensbedingungen sehnt. Diese Freiheit haben alle, jeder einzelne Mensch auf dieser Welt.

Quellen:

  • Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
  • Felwine Sarr, Afrotopia, Editions Philippe Rey, 2016, pp. 92-93
  • Sony Labou Tansi, La Vie et demie, Seuil, 1979

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