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Nachbarschaften: Saarbrücken – Sarreguemines | 2
Deutschland–Frankreich: hin und zurück

Die Ludwigskirche
Die Ludwigskirche | © Goethe-Institut Italien | Foto: Roberto Sassi

Im zweiten Teil seines Reiseberichts stellt Roberto Sassi zunächst die Kleinstadt Sarreguemines vor – eine der grenznahen Städte auf französischer Seite. Danach geht es weiter in einen Park in Saarbrücken, der das Gedächtnis an eine komplexe Vergangenheit bewahrt.

Von Roberto Sassi

Hinweise auf die Nähe zu Deutschland

Zur Mittagszeit ist Sarreguemines beinahe leergefegt. Nur wenige Lokale sind geöffnet, darunter Restaurants und Bistros, in deren Gastgärten Berufstätige in der Mittagspause Schutz vor der Sonne finden. Die Geschäfte sind beinahe alle geschlossen. Einige werden am frühen Nachmittag wieder öffnen, während andere vollkommen leer stehen, und das seit wer weiß wie langer Zeit. Nur das Café de Paris in der Rue de France ist gut besucht – die Gäste sind alle Einheimische. Der Besitzer sieht aus wie aus einer französischen Komödie, serviert großzügige Portionen und teilt in alle Richtungen freundliche „Ça va?“ aus. Von hier aus sind es weniger als 400 Meter bis zur Grenze und die Nähe zu Deutschland zeigt sich auch auf der Speisekarte: Eines der Tagesgerichte ist Büwespätzle à la crème fraîche.

Sarreguemines erstreckt sich entlang einer Biegung der Saar und besteht aus einem Netz leicht abschüssiger Straßen mit drei- bis maximal vierstöckigen Gebäuden. Die Stadt ist geprägt von jener entspannten Atmosphäre, die für ländliche Kleinstädte typisch ist. Die Fußgängerzone in der Altstadt ist gesäumt von Apotheken, Bäckereien, Bankschaltern und Bars, die scheinbar in den 80er Jahren hängengeblieben sind. In den Schaufenstern der Geschäfte und auf den Fassaden der Häuserblocks prangen zahlreiche Schilder mit der Aufschrift „zu verkaufen“ oder „zu vermieten“. Man hat mir erklärt, dass die Zeit des Bergbaus im nahegelegenen Forbach noch deutlich greifbarer ist als hier, und tatsächlich entdecke ich in Sarreguemines kaum Hinweise auf die industrielle Vergangenheit dieser Region. Auch von der deutschen Geschichte der Kleinstadt (die von 1871 bis 1919 Teil des Deutschen Kaiserreichs war) sind nur sehr spärliche Spuren erhalten. So findet sich über dem Eingang eines ehemaligen Klosters in der Altstadt, in dem heute eine christliche Schule untergebracht ist, die Inschrift „Kais. Landgericht“, und in der Nikolauskirche ist unter der Keramikikone der Heiligen Philomena der Satz „hl. Philomène bitte für uns“ zu lesen.

Während ich durch das von der Hitze gelähmte Sarreguemines spaziere, muss ich daran denken, was Marion Touze am Vortag gesagt hat: „Ein Geschäft nach dem anderen sperrt zu, die Zahl der Einwohner ist weiterhin rückläufig.“ Die kleine Grenzstadt hat den Charme eines heruntergekommenen Ferienorts und es überrascht nicht, dass viele junge Leute die Straßenbahn nehmen, um die Nachmittage in Saarbrücken zu verbringen. Auf der Pont de l’Europe weht hoch oben im Wind die Europaflagge, die Saar unter ihr ist spiegelglatt und ich denke über die Worte von Touze nach: über die Krise der Bergbau- und Kohleindustrie, die Probleme des Automobilsektors und die Chipindustrie, die letzteren in den kommenden Jahren ablösen soll. Von der Mitte der Brücke aus kann man, wenn man genau hinsieht, in der Ferne die Häuser von Rilchingen-Hanweiler auf der deutschen Uferseite erkennen. In Sarreguemines ist Europa keine institutionelle Angelegenheit, wie im nur 100 Kilometer entfernten Straßburg. Hier hat Europa eine praktische, lebendige, alltägliche Bedeutung und die Zukunft scheint auf beiden Seiten des Ufers eine große Unbekannte.

Hinweise auf die Nähe zu Frankreich

Das Französische Generalkonsulat in Saarbrücken befindet sich direkt gegenüber der Ludwigskirche. Es ist ein schlichtes weißes Gebäude, wie alle anderen rund um die Kirche. Auf dem weitläufigen Platz herrscht die für Nachmittage im Sommer typische Stille und die vor dem Eckcafé im Freien sitzenden Gäste sprechen bewusst leise, vielleicht um die Ruhe nicht zu stören. In der Empfangshalle des Konsulats kommt mir Christophe Arend entgegen. Er trägt ein weißes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, schüttelt mir energisch die Hand und lädt mich ein, ihm in sein Büro im ersten Stock zu folgen. Er ist gerade von einer Dienstreise nach Berlin zurückgekehrt und trotz der über sieben Stunden langen Zugfahrt hat er seine Gesprächigkeit nicht verloren.

Der gelernte Zahnmediziner und ehemalige Abgeordnete des französischen Parlaments ist zurzeit Leiter des Pariser Büros des Saarlandes. Ich erkläre ihm sofort, dass ich nicht gekommen bin, um über Politik zu sprechen, sondern mich mehr seine persönliche Erfahrung als Einwohner der Region interessiert. Er lächelt freundlich und beginnt zu erzählen: „Ich wohne in Forbach, in Frankreich, aber ich fahre fast jeden Tag über die Grenze, zu meinem Arbeitsplatz. Ich hatte schon immer eine besondere Beziehung zu Saarbrücken, als Jugendlicher hatte ich hier sogar einen Minijob.“ Arend beschreibt die lokale Lebensrealität mit der kalkulierten Selbstverständlichkeit eines Menschen, der sich eingehend mit einem Thema beschäftigt hat und dessen problematische Aspekte genau kennt. „Man spricht immer weniger die Sprache des anderen. Und die Jungen interessieren sich immer weniger dafür, die kulturellen und sprachlichen Besonderheiten auf der anderen Seite der Grenze zu entdecken. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Zahl der Menschen, die in Frankreich leben und in Deutschland arbeiten, in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen ist.“ Die Statistiken bestätigen diese Entwicklung: Mitte 2022 lag die Zahl der in Frankreich ansässigen Grenzgänger*innen, die täglich nach Deutschland pendelten, bei etwa 14.000 und damit 35 % unter dem Wert von 2000. Dennoch sind die grenznahen Gebiete – die kleinen Dörfer mit den irgendwie alpin klingenden Namen, die ich von der Straßenbahn aus gesehen habe – weiterhin Orte des Austauschs. „Viele Deutsche leben in Frankreich, weil die Steuergesetze für sie dort günstiger sind, und viele Französinnen und Franzosen kommen zum Einkaufen nach Deutschland. Trotzdem fände ich es schön, wenn die Menschen in der Region beide Seiten der Grenze erkunden würden und das nicht nur des eigenen Vorteils wegen.“
  • Das Französische Konsulat in Saarbrücken © Goethe-Institut Italien | Foto: Roberto Sassi
    Das Französische Konsulat in Saarbrücken
  • Das Friedensdenkmal im Deutsch-Französischen Garten © Goethe-Institut Italien | Foto: Roberto Sassi
    Das Friedensdenkmal im Deutsch-Französischen Garten
  • Die Europaflagge auf der Pont de l’Europe in Sarreguemines © Goethe-Institut Italien | Foto: Roberto Sassi
    Die Europaflagge auf der Pont de l’Europe in Sarreguemines
  • Der Bahnhof von Sarreguemines © Goethe-Institut Italien | Foto: Roberto Sassi
    Der Bahnhof von Sarreguemines
  • Die Saar und die Brasserie du Casino © Goethe-Institut Italien | Foto: Roberto Sassi
    Die Saar und die Brasserie du Casino
  • Der Bahnhof von Sarreguemines © Goethe-Institut Italien | Foto: Roberto Sassi
    Der Bahnhof von Sarreguemines (2)
  • Zwei Mitglieder des Texas Club Sarreguemines in Zentrum der kleinen Stadt © Goethe-Institut Italien | Foto: Roberto Sassi
    Zwei Mitglieder des Texas Club Sarreguemines in Zentrum der kleinen Stadt
Arend spricht perfektes Deutsch mit kaum hörbarem Akzent und bezeichnet sich selbst als zweisprachig. Als ich ihn bitte, seine Identität zu definieren, gibt er mir eine Antwort, die vielleicht ein wenig nach Politiker klingt, aber meines Erachtens aufrichtig ist: „Ich kann nicht sagen, ob ich mehr Deutscher oder mehr Franzose bin.“ Bevor ich mich verabschiede, frage ich ihn, an welchen Orten in Saarbrücken der Bezug zu Frankreich seiner Meinung nach am deutlichsten sichtbar ist. Er antwortet prompt: bei der alten Französischen Botschaft und im Deutsch-Französischen Garten. Da ich am nächsten Morgen zurück nach Berlin muss und nicht viel Zeit habe, bitte ich ihn, mir nur einen zu empfehlen. Arend denkt einen Augenblick nach und meint schließlich: „Dann gehen Sie in den Deutsch-Französischen Garten.“

Eine deutsch-französische Parkanlage

Die Bushaltestelle befindet sich direkt vor der Ludwigskirche, wenige Schritte vom Französischen Konsulat entfernt. Ich sehe den 107er bereits von Weitem kommen, beschleunige meinen Schritt und schaffe es gerade noch rechtzeitig einzusteigen. Schon nach wenigen Minuten beginnt der Bus, einen Hügel zu erklimmen. Wir lassen das Wohngebiet hinter uns und durchqueren eine Gegend, in der immer weniger Häuser zu sehen sind, während zugleich die Vegetation am Straßenrand immer dichter wird. Der Deutsch-Französische Garten umfasst etwa 50 Hektar und liegt im Südwesten der Stadt, knapp zwei Kilometer von der Grenze entfernt. Er bildet eine Art natürliche Pufferzone zwischen dem zentralen Teil von Alt-Saarbrücken und dem näher an Frankreich gelegenen Teil. Bereits im 19. Jahrhundert war diese Grünfläche – damals noch ein kleiner Wald – ein beliebter Ort für Picknicks und Sonntagsausflüge. Doch dann kamen die Kriege. Zuerst der von 1870/71, der den Park in ein Schlachtfeld verwandelte, dann der Erste Weltkrieg, in dem der Grünstreifen zum Grenzgebiet wurde, und schließlich der Zweite Weltkrieg, der die Errichtung zahlreicher Bunker und Befestigungsanlagen mit sich brachte.

Um vier Uhr nachmittags ist in dem Park nicht viel los. Ich spaziere im Schatten von Eichen und Linden einen schmalen Kanal entlang, der in einen kleinen Weiher mündet. Auf der Wiese liest ein Mädchen ein Buch, ein Stück weiter spielen zwei französische Brüder im Alter von etwa zehn Jahren unter den amüsierten Blicken ihrer Mutter Fangen. Auf einer Lichtung, unweit vom Ehrenfriedhof für die französischen und deutschen Gefallenen des Krieges von 1870/71, ist eine große Bühne für ein JazzFestival aufgebaut. Junge Freiwillige unterhalten sich in beiden Sprachen und kontrollieren lächelnd die Eintrittskarten. Ich gehe den sanften Hang hinauf, auf dem das Friedensdenkmal steht. Es handelt sich um eine Art riesiges Hufeisen, das in zwei Teile zerbrochen ist, die aussehen, als wollten sie sich wieder miteinander verbinden. Auf der Innenseite eines der beiden Elemente steht „Allianz“, auf dem anderen „Paix“. Von dieser kleinen Anhöhe aus kann ich die Bühne sehen, auf der in einer Stunde das Konzert des amerikanischen Saxophonisten Kenny Garrett beginnen soll, hinter mir stehen die Grabsteine der französischen und deutschen Kriegsgefallenen. In diesem Moment verstehe ich endlich, warum mir Christophe Arend geraten hat, hierher zu kommen: Damit ich mir selbst ein Bild davon mache, wie die Begegnung zwischen seinen beiden Ländern heute aussehen kann. Ich beschließe, nicht mehr auf den Friedhof zu gehen, sein Besuch scheint mir nicht mehr so wichtig. Stattdessen bleibe ich noch ein bisschen hier, um aus der Ferne den jungen Frauen und Männern zuzusehen, wie sie die Eintrittskarten kontrollieren und miteinander deutsch und französisch sprechen.

[Teil 1.: Mit der Straßenbahn über die Grenze]

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