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Rückgewinnung des afrikanischen Narrativs
Das Zentrum verlagern

Latitude – Chimamanda Ngozi Adichie (rechts) im Gespräch mit Yomi Adegoke
Die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie (rechts) im Gespräch mit der Journalistin Yomi Adegoke auf der Hundertjahrfeier des englischen PEN in London im September 2021. | Foto (Detail): Sabrina Merolla © picture alliance / ZUMAPRESS.com

Indem sie vorhandene Erzählräume betreten und neue schaffen, schreiben Afrikaner*innen die Darstellungen in den Geschichtsbüchern um, die sie seit vielen Generationen in den Schulen vorfinden – und werden so von Objekten zu Subjekten ihrer Erzählungen. Nobantu Modise, Gründerin der Onlineplattform „Afrophilia“, spricht über ihre Mission, durch digitales Geschichtenerzählen die Handlungsmacht zurückzugewinnen.

Was hat Sie dazu veranlasst, eine Plattform für das Erzählen afrikanischer Geschichten aufzubauen?

Lassen Sie mich als Erstes den Begriff Afrophilia erklären. Er meint die Liebe zu Afrika und zu Menschen afrikanischer Abstammung. Meine Beobachtung ist, dass die Menschen in der Regel dazu neigen, Afrika (und Afrikaner*innen) mit Armut, Mitleid und manchmal auch Gleichgültigkeit zu assoziieren, weil außer zu unserer Politik und unserer Tierwelt – und unseren Läufer*innen – nicht viel über uns berichtet wird. Dabei ist das Afrika, in dem ich aufgewachsen bin und das ich meine Heimat nenne, so viel bunter. Wir haben unsere Probleme, genau wie alle anderen Regionen. Es gibt bei uns aber auch ganz unterschiedliche Staaten, kulturell spannende Räume und eine geschäftstüchtige und innovative Jugend, die Lösungen schafft, die sich die Welt zunutze machen kann. Es gibt bei uns viel Liebens- und Schätzenswertes und bei Afrophilia geht es darum, davon zu erzählen.

Welche Meilensteine haben Sie erreicht und wie hat sich „Afrophilia“ im Hinblick auf eine veränderte Wahrnehmung und ein besseres Verständnis des afrikanischen Kontinents durch Afrikaner*innen ebenso wie durch Nicht-Afrikaner*innen ausgewirkt?

Die meisten hören den Namen Afrophilia und lächeln instinktiv. Der Name hat etwas Spritziges und Schönes an sich und die Menschen mögen ihn einfach. Das liebe ich – diese Energie und echte Offenheit, mit der ich gern mehr Menschen Afrika betrachten sehen würde. Als Nächstes fragen mich die Menschen, was Afrophilia bedeutet. Allein dieser Einstieg führt dazu, dass viele sich überlegen: „Was gibt es sonst noch, was ich über Afrika nicht weiß, und warum höre ich nicht viel mehr darüber?“ Was dann den perfekten Beweggrund dafür liefert, dass sich jemand auf unserer Website anmeldet und entdeckt, was es da so gibt. Um daher Ihre Frage zu beantworten: Schon allein der Name und die Inhalte auf der digitalen Plattform haben unser Vokabular und unsere Wahrnehmung von Afrika und Afrikaner*innen erweitert. Mission erfolgreich!

Darüber hinaus befindet sich Afrophilia in einem fruchtbaren Austausch mit dem Tech- und NGO‑Sektor und arbeitet mit CIPESA (Collaboration for Internet Policy in East and Southern Africa) an einer speziellen Fotoausstellung, die zum Ziel hat, die Bedeutung digitaler Freiheiten und damit zusammenhängender Fragen kreativ zu kommunizieren. Das ist ein kritischer Bereich, nicht nur für uns, sondern für die gesamte Welt, gerade momentan. Wir arbeiten derzeit mit Wikimedia daran, die Menge und Qualität der Berichterstattung über den Kontinent zu verbessern, sowohl in Bezug auf Text als auch auf visuelle Bestände. Das ist uns wichtig, weil das Ziel von Afrophilia nicht Selbstbeweihräucherung ist, sondern die Ausweitung der digitalen afrikanischen Präsenz und die Zunahme von objektiverer, ausgewogenerer Berichterstattung über uns.

Welche Herausforderungen stellten sich Ihnen bei dem Versuch, afrikanische Perspektiven stärker ins Zentrum von Erzählungen über den Kontinent und seine Kulturen zu rücken?

Eine große Herausforderung besteht darin, dass Afrika nicht als lukrativer Markt gilt – die Betonung liegt auf gilt – und so kann es schwierig sein, Partnerschaften oder Kollaborationen mit anderen Organisationen im selben Bereich oder in ähnlichen Bereichen aufzubauen, selbst wenn jede Menge neues und vielfältiges Material vorhanden ist. Wir werden zudem tendenziell von den Algorithmen „globaler“ Plattformen an den Rand gedrückt. Das bedeutet, dass organisches Wachstum – insbesondere im Hinblick auf internationales Publikum – für uns immer noch ein Mythos ist. Die Situation ist für Organisationen, die in den USA und Westeuropa ansässig sind, völlig anders. Trotz ihrer einzigartigen und frischen Inhalte haben afrikanische Plattformen wenig Reichweite, sofern wir nicht im Vergleich zu unseren Pendants in den USA und Westeuropa mehr Geld investieren. Das macht Investitionen in digitale Medien für afrikanische Start‑ups noch teurer.

Wie lässt sich das mündliche Geschichtenerzählen, das für afrikanische Gemeinschaften ein integraler Bestandteil des kulturellen Lebens ist, in eine digitale Gesellschaft integrieren?

Es gibt hier in Südafrika Radiosender, die nach wie vor „Story Time“‑Sendeplätze haben, bei denen ganz unterschiedliche Geschichten in lokalen Sprachen wie Sesotho erzählt werden. Unsere mündliche Geschichte ist also nach wie vor sehr lebendig. Wie Afrikaner*innen ohne den Einsatz vieler Hilfsmittel oder moderner Technologie spannende Geschichten erzählen und unsere Vorstellungskraft fesseln können, hat etwas Faszinierendes an sich. Ich bin froh, dass es diese Art des Bewahrens unseres Erbes und unserer Geschichte noch gibt, und ich freue mich sehr, dass Afrophilia über unseren in Kürze erscheinenden Podcast dazu beitragen wird. Zudem möchte ich angesichts der Tatsache, dass sich die Welt Podcasts insgesamt so begeistert zugewandt hat, gern glauben, dass die Förderung afrikanischer Geschichte und Kultur durch mündliches Erzählen kein Wunschtraum bleiben sollte.

Ihre Vision, einen Raums für afrikanische Stimmen zu schaffen, geht mittlerweile über das Geschichtenerzählen hinaus: Sie haben sich an das Erstellen authentischer lokaler Inhalte vorgewagt, die anhaltende Auswirkungen auf die Gemeinschaften vor Ort und außerhalb haben. Wie gehen Sie dabei vor?

Wir haben eine digitale Agentur aufgebaut, in der wir Markenentwicklung, digitales Marketing und PR‑Dienstleistungen anbieten. Damit verfolgen wir ein anderes Geschäftsmodell, das dennoch ganz auf der Linie der Vision von Afrophilia liegt: Afrika der Welt vorzustellen, indem wir aufregende afrikanische Marken und Erfahrungen präsentieren. Das ist ein entscheidender Schritt, denn historisch gesehen konnten Schwarze in Südafrika nur im Garten, im Haushalt, als Pflegekräfte, Lehrer*innen und Straßenverkäufer*innen arbeiten. Aus diesem Grund sind viele Menschen nach wie vor nicht mit dem Firmengründen, des Markenaufbauen und der Bedeutung von Marketing und Kommunikation vertraut. Deshalb freue ich mich sehr, aktiv am Abbau eines Teils des Erbes der Kolonialzeit und Apartheid beteiligt zu sein.


Dieses Interview wurde schriftlich geführt. Die Fragen stellte Eliphas Nyamogo, Leiter der Onlineredaktion des Goethe‑Instituts in München.

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