Bio-inspirierte Robotik
Schlaue Pflanzen und nachhaltige Roboter
Wie ein Korkenzieher wickelt sich die Ranke um den Stängel der Passionsblume, sucht sich Halt, zieht sich hoch. Was hier so kunstvoll in die Höhe wächst wie eine Kletterpflanze Richtung Sonnenlicht, ist kein Efeugewächs, sondern der Greifarm eines Roboters.
Von Christine Pawlata
GrowBot heißt das multidisziplinäre Forschungsprojekt, bei dem Robotertechniker, Biologen und Mathematiker Robotiksysteme entwickeln, die das Verhalten von Kletterpflanzen nachahmen. Dabei arbeiten neun Forschungseinrichtungen in fünf Ländern zusammen, darunter das Helmholtz-Zentrum in Geesthacht und die Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Barbara Mazzolai vom Forschungszentrum Istituto Italiano di Tecnologia ITT in Pontedera bei Pisa leitet das ambitionierte Projekt.
„Kletterpflanzen bilden keinen robusten Baumstamm aus, sondern verwenden einen Großteil ihrer Energie dafür, in einem Wettlauf schneller als andere Pflanzen Richtung Licht zu wachsen. Damit sie nicht unter ihrem Gewicht zusammenbrechen, setzen sie verschiedenen Strategien ein, wie etwa Ranken, Widerhaken oder andere Haftmethoden“, erklärt Mazzolai.
„Wir erforschen diese Strategien, um Roboter zu entwickeln, die sich bewegen, während sie wachsen, die wie Kletterpflanzen ihre Umgebung erkunden und genau wissen wo sie sich festankern können. Diese Roboter könnten sich zum Beispiel in Kluften bewegen, dort wo Dronen nicht hinkommen, oder wie Pflanzen Hohlräume überwinden, die für Roboter auf Rädern unüberbrückbar sind.“
Barbara Mazzolai ist Biologin und Mikrosystemtechnik-Ingenieurin, sie gilt als führende Expertin auf dem Gebiet der Robotertechnik, die sich am Verhalten von weichen Lebewesen wie Regenwürmern, Tintenfischen und Pflanzen inspiriert. Für ihre Forschungsarbeit wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, die Fachzeitschrift RoboHub listete sie als eine der 25 einflußreichsten Frauen der Robotik auf. 2012 entwickelte Mazzolai den weltweit ersten Plantoid, ein Pflanzen-Roboter, der das Verhalten von Wurzeln nachbildet.
Vorurteile gegen die Pflanzenwelt
Anfangs sei es nicht einfach gewesen, die Forschungsgemeinschaft vom Nutzen der Pflanzen-Roboter zu überzeugen: „Das Konzept eines Roboters ist das einer Maschine, die sich bewegt, ihre Umgebung wahrnimmt, über eine gewisse Intelligenz und Autonomie verfügt. All diese Eigenschaften werden normalerweise nicht mit Pflanzen in Verbindung gebracht. Wir sehen sie als etwas Bewegungsloses, unfähig ihre Umgebung wahrzunehmen, aber genau das Gegenteil ist der Fall“, erzählt Mazzolai.Die Intelligenz der Pflanzen liege in ihrer Anpassungsfähigkeit, der Fähigkeit mit ihrer Umgebung wie etwa Bakterien und anderer Pflanzen zu interagieren, sowie darin, Energieaufwand und Wachstumsbewegungen auf verschiedene und sich ständig verändernde Umwelteinflüsse abzustimmen. „Pflanzen sind immer die ersten Lebewesen, die von Katastrophen zerstörte Gebiete neu besiedeln und das Leben auch für die Tierwelt wieder möglich machen.“
In ihren Recherchen entdeckte Mazzolai, dass das Vorurteil laut welchem Pflanzen passive Wesen seien, schon auf Aristoteles zurückzuführen ist. In seiner Schrift „De Anima“ behauptete der Philosoph, dass Pflanzen aufgrund ihrer Bewegungslosigkeit nicht zur Wahrnehmung fähig seien. Bis heute gibt es keine Forschungsdisziplin, die sich mit dem Verhalten von Pflanzen auseinandersetzt.
„Wir können die Bewegungen der Pflanzen nicht mit freiem Auge wahrnehmen. Im Fall von Fleisch fressenden Pflanzen bewegen sie sich zum Beispiel zu schnell, meistens sind uns die Bewegungen der Pflanzen aber zu langsam. Das können wir als unsere eigene Beschränkung interpretieren: Unsere Wahrnehmungsfähigkeit ist nicht mit der Bewegungsspanne der Pflanzenwelt zu vereinbaren“, so Mazzolai. „Ich musste zuerst zu verstehen geben, wozu Pflanzen fähig sind und danach erklären, wie diese Fähigkeiten wiederum für die Robotik nützlich sein können.“
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