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Ausgesprochen ... integriert
Das Klischee der Pünktlichkeit

Ein Paar blaue Handschuhe hängen von dem Ast eines Buschs im Schnee
Wenn man dazu neigt, seine Handschuhe zu verlieren, kann es auch als Erwachsene*r hilfreich sein, sich ein Handschuhband anzuschaffen. | Foto (Detail): Frank Rumpenhorst © picture alliance / dpa

Ist Pünktlichkeit typisch deutsch? Sineb El Masrar schreibt über das deutsche „Exportgut“, das Zuspätkommen und warum Handschuhe dran schuld sein könnten.

Von Sineb El Masrar

Was sind die global bekannten typisch deutschen Klassiker? Richtig! BMW, Bier und die gute alte Pünktlichkeit. Ein Klassiker, der einen selbst im Ausland entlarvt, auch wenn man – aus welchem Grund auch immer – gerade nicht als Deutsche*r ertappt werden möchte. Dabei ist es egal, ob man Wurzeln hat, die bis ins Deutsche Kaiserreich zurückgehen und vom preußischen König beeinflusst wurden oder man selbst erst seit ein paar Monaten auf diesem Fleckchen Erde namens Deutschland lustwandelt.

Ein Exportschlager der immateriellen Werte ist die deutsche Pünktlichkeit seit vielen Jahrzehnten ohnehin. Man könnte einen Chor zusammenstellen und ertönen lassen, mit all den verschiedenen Stimmen der einstigen Gastarbeiter*innen, Geflüchteten, Auslandstudierenden von Asien, Nord- und Zentralafrika, über das südliche Europa oder Lateinamerika. Unsere einst eingewanderten (Groß)Väter und (Groß)Mütter lassen regelmäßig Klagelieder über die Unpünktlichkeit ihrer Landsleute ihrer ersten Heimat erklingen und sind die größten Deutsche-Pünktlichkeits-Lobbyist*innen im Ausland und in ihrem Geburtsland. Sei es bei Familienessen, Behördengängen oder gegenüber Handwerker*innen. Stets wird die fehlende Pünktlichkeitsmoral moniert.

Pünktlichkeit findet sich überall

Und wie verhält es sich mit den Nachkommen all jener, die einst ihren Weg nach Deutschland fanden? Die einen würden sagen, seit es so multikulti in Deutschland zugeht, hat auch die Pünktlichkeit bei den  Alteingesessenen nachgelassen. In Großstädten wird es nicht selten als cool angesehen unpünktlich zu sein. Pünktlichkeit gilt einigen als spießig und typisch „Alman“ (türkisches Wort für Deutsch sein).

Dabei findet sich Pünktlichkeit überall auf der Welt  - unabhängig vom Deutschlandbezug. Denn es geht meist darum, die Personen mit der Mensch einen Termin oder eine Verabredung vereinbart hat nicht warten zu lassen. Dies wissentlich zu tun, offenbart vielmehr Respektlosigkeit gegenüber den Wartenden und ihrer Zeit. Zeit ist in Gesellschaften, wo viele Aufgaben erledigt werden müssen, um Zielvorgaben einhalten zu können und auch effizient arbeiten und lernen zu können ein notwendiger Faktor. In diesem Gefüge müssen sich viele Personen aufeinander verlassen können. Denn jeder Mensch im Getriebe der Aufgaben hat wiederum nur eine begrenzte Zeit. Darüber hinwegzugehen, ist durchaus mit fehlender Wertschätzung verbunden. Auch, wenn man das als Zuspätkommer*in nicht beabsichtigt. Manchmal kommen schlichtweg auch Dinge dazwischen.

Verlorene Handschuhe

Denn was passiert zum Beispiel, wenn eine chronische Handschuh- und Regenschirmverbummlerin auf dem Weg zu einer Verabredung einen Handschuh verliert? Genau. Sie geht den Weg zurück, sucht die Strecke nach ihrem Handschuh ab und kommt zu spät. Die Rede ist von mir. Allein letzte Woche kam ich zwei Mal zu spät, weil ich jedes Mal einen Handschuh verlor. Andere sind auf der Suche nach der verlorenen Zeit, ich nach verlorenen Kleidungsstücken.

Beide Male fand ich sie wieder. Auch wenn ich den einen letztendlich wenige Minuten später dann doch endgültig verlor. Irgendwo liegt dieser Handschuh nun von seinem Handschuhzwilling getrennt und ich muss mal wieder, wie jeden Winter, ein Gespräch darüber führen, mir doch wie einst mit sechs Jahren ein Handschuhband zuzulegen. Bei meinen Handschuhen erwäge ich mittlerweile tatsächlich diese Option. Was mir als Kind genutzt hat, kann mir als ausgewachsene Frau nicht schaden. Dann klappt es im Winter auch besser mit der Pünktlichkeit.

„Ausgesprochen …“

In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Sineb El Masrar, Susi Bumms, Maximilian Buddenbohm und Marie Leão. Sineb El Masrar schreibt über Einwanderung und die Multi‑Kulti‑Gesellschaft in Deutschland: Was fällt ihr auf, was ist fremd, wo ergeben sich interessante Einsichten?

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