Verleger Roberto Keller
Ein lebenslanger Schüler
Mit seiner Lage in der Grenzregion Trentino-Südtirol hat der unabhängige italienische Verlag Keller Editore ein offenes Ohr für Sprachen jenseits der Landesgrenzen. So ist er auch in der Vermittlung deutschsprachiger Literatur sehr engagiert, bei ihm erschienen unter anderem Werke von Saša Stanišić und zuletzt Shelly Kupferbergs „Isidor“. Eine wichtige Unterstützung ist dabei die Übersetzungsförderung des Goethe-Instituts, insbesondere das Litrix-Programm mit dem aktuellen Italien-Schwerpunkt. Im Interview erzählt uns der Verleger Roberto Keller, wie der Verlag davon profitiert, gibt Einblicke in seine Arbeit als Verleger und die Interessen seines italienischen Lesepublikums.
Von Sina Bahr
Was treibt Sie an, deutschsprachige Literatur so rege in Ihr Verlagsprogramm zu integrieren?
Keller: Ich glaube, dass dies vor allem auf die Identität des Verlags zurückzuführen ist, der von Anfang an positiv mit dem Thema Grenzen umgehen wollte. Und die nächstliegende oder vertrauteste Grenze für diejenigen, die in Trentino-Südtirol leben, ist natürlich die deutschsprachige Welt. Aber dann gibt es noch viele andere Gründe.
Zunächst einmal möchte ich Aufmerksamkeit schaffen für die europäischen Literaturen. In der deutschsprachigen Welt gibt es mittlerweile viele Autor*innen, die aus Ländern des Balkans oder aus Russland stammen und auf Deutsch schreiben, und dabei die Welt, aus der sie kommen, mit sich bringen. Und dann hat die deutsche Sprache Verzweigungen, die uns oft nach Osteuropa führen, wie zum Beispiel nach Rumänien (Herta Müller) oder in die Welt der Prager Literatur. Ganz zu schweigen von Autor*innen, die mit ihren Reportagen nach Osten gehen und die tiefen Verbindungen dieses Kontinents aufdecken: Martin Pollack, Karl-Markus Gauß…
Welche Rolle spielt dabei die Übersetzungsförderung des Goethe-Instituts?
Keller: Ich denke, dass der italienische Buchmarkt äußerst positive Seiten hat, beispielsweise die Dynamik der unabhängigen Verlage. Aber er ist auch ein kleinerer Markt als der deutsche und stark auf die anglo-amerikanische Literatur ausgerichtet. Die Übersetzungsförderung ist sehr nützlich, einerseits aus wirtschaftlicher Sicht, andererseits, weil sie es ermöglicht, an wichtigen Büchern zu arbeiten, die in erster Linie qualitativ hochwertig sind, aber kein breites Lesepublikum ansprechen.
Was wird Ihrem Verlag durch die Übersetzungsförderung neben dem Übersetzen von Büchern noch ermöglicht?
Keller: Dank der Unterstützung bei den Übersetzungskosten haben wir mehr Ressourcen für die Bewerbung der Bücher. Außerdem war das Goethe-Institut in diesen Jahren sehr aktiv bei der Förderung der deutschen Literatur und hat mit den großen Festivals und den wichtigsten Buchmessen in Italien – wie zum Beispiel dem Salone del Libro in Turin und Più libri più liberi in Rom – zusammengearbeitet.
Welche Themen oder Stile deutschsprachiger Literatur interessieren Ihre Leser*innen besonders?
Keller: Zunächst einmal Romane, die in der Lage sind, wichtige Dinge mit einer gewissen Intelligenz und einer Mischung aus Tiefe und Leichtigkeit zu erzählen: Ich denke an „Emmas Glück“ von Claudia Schreiber, an „Was man von hier aus sehen kann“ von Mariana Leky oder an die Bücher von Alina Bronsky. Dann gibt es das große Thema der ehemaligen DDR. Außerdem die Literatur der Autor*innen, die auf Deutsch schreiben, aber aus anderen Ländern und somit aus anderen Kulturen stammen, wie zum Beispiel Saša Stanišić. Schließlich gibt es auch die Bücher, die die Geschichte Mitteleuropas mit ihren Licht- und Schattenseiten erforschen.
Gerade erschien bei Ihnen Shelly Kupferbergs „Isidor“, ein Buch, das von jüdischem Leben zur Zeit des Nationalsozialismus in Wien handelt. Wie gefragt sind solche Geschichten?
Keller: Das Thema Mitteleuropa hat in Italien ein sehr aufmerksames Publikum. Es ist nicht sehr zahlreich, aber kompetent und neugierig. So wecken auch die deutschsprachigen Länder großes Interesse, weil das 20. Jahrhundert eine Zeit war, die die italienische und die deutsche Welt manchmal getrennt und manchmal vereint hat.
Einige Regionen im Nordosten Italiens haben zudem historisch eine kulturelle Vertrautheit mit der mitteleuropäischen Literatur und Geschichte, da sie tatsächlich Teil des Habsburgerreichs waren. Darüber hinaus konfrontiert uns diese Vergangenheit mit den großen Themen der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Ich denke jedoch, dass neben der Geschichte an sich der Wert eines Buches wie „Isidor“ in seiner Qualität, seiner Stärke und der Tatsache liegt, dass es sehr gut geschrieben (und übersetzt) ist.
Wonach wird die Entscheidung getroffen, welches deutschsprachige Werk für Ihren Verlag zur Übersetzung in Frage kommt?
Keller: Ich habe immer gedacht, dass es sich als unabhängiger Verlag lohnt, Werke zu veröffentlichen, die man selbst gerne lesen würde. Werke, die ich in einer Buchhandlung finden möchte. Die Hoffnung ist, dass meine Neugierde mit der der Leser*innen übereinstimmt. Mit der Zeit versteht man besser, was man vorschlagen kann und was nicht.
Mich interessierte und interessiert es, den positiven Aspekt der Grenze zu erfassen: ein durchlässiges Gebiet zu sein, ein Ort des Übergangs, des Wissens, der Begegnung.
Roberto Keller
Inwiefern profitiert Ihr Verlag von Übersetzungen aus anderen Sprachen und Ländern?
Keller: Der Keller Verlag wurde als Verlag gegründet, der sich ausschließlich mit Übersetzungen beschäftigt. Motivation dafür war seine Lage in einer Grenzregion, dem Trentino-Südtirol. Mich interessierte und interessiert es, den positiven Aspekt der Grenze zu erfassen: ein durchlässiges Gebiet zu sein, ein Ort des Übergangs, des Wissens, der Begegnung. Mit Büchern bedeutet das Entdecken, Übersetzen, Lernen.
Ich sage immer, dass sich ein Verleger wie ein lebenslanger Schüler fühlt. Ich glaube, dass Übersetzungen im Allgemeinen von Vorteil sind: Sie konfrontieren uns mit neuen Welten, unterschiedlichen Stimmen, wenig bekannten Szenarien, stellen Dinge in Frage, die wir als selbstverständlich erachten, und gleichzeitig – das habe ich im Laufe der Jahre entdeckt – ermöglichen sie es uns, leidenschaftliche Leser*innen bestimmter literarischer Bereiche und Regionen der Welt zu entdecken und mit ihnen in Kontakt zu treten.
Können Sie uns von einer besonders schönen Erfahrung im Rahmen Ihrer Tätigkeit als Verleger erzählen?
Keller: Als Herta Müller den Nobelpreis für Literatur gewann, hatte der Keller Verlag die italienische Ausgabe von „Herztier“ im Katalog. Sowohl wegen des Preises als auch wegen der Tatsache, dass der Roman von einem damals (2009) sehr kleinen Verlag veröffentlicht wurde, bestellten viele Leser*innen und Buchhandlungen das Buch. Wir sahen uns gezwungen, viele Tausend Exemplare zu drucken. Damals haben wir die Aufkleber mit Bild auf dem Buchcover noch von Hand angebracht. Als ich die vielen Paletten mit Büchern sah, die etikettiert werden mussten, bekam ich Angst. Aber alles lief glatt, weil viele Menschen aus Rovereto – der Stadt des Verlags – spontan kamen, um uns zu helfen. Es gab eine Art Mundpropaganda. Ich erinnere mich auch, dass eine kleine Firma schloss und ihre Angestellten schickte, um uns zu helfen, die Aufkleber auf die Buchcover zu kleben.
Kommentare
Kommentieren