Umweltbewusstsein
Ist Nachhaltigkeit weiblich?
Frauen schultern immer noch oft den Großteil der häuslichen Arbeit. Ist Nachhaltigkeit im Alltag daher vor allem Aufgabe von Frauen? Ein Interview mit Gotelind Alber, Klimapolitik-Expertin mit Schwerpunkt Genderfragen.
Von Lena Kronenbürger
Gotelind Alber, es gibt einen Aspekt, den wir oft übersehen, wenn wir versuchen, nachhaltiger zu leben: die Geschlechterperspektive. Warum ist es so wichtig, dass wir diesen Blickwinkel ernst nehmen, wenn wir uns mit Nachhaltigkeit befassen?
Tatsächlich ist es eine Frage der Gerechtigkeit. Wir sind es gewohnt, in der Klimadebatte das Verhältnis zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden zu diskutieren. Es gibt ein Gerechtigkeitsproblem, da der Globale Norden überwiegend zum Problem beiträgt, während der Globale Süden tendenziell mehr darunter leidet. Interessanterweise ist die Situation in Bezug auf Geschlechterverhältnisse ähnlich. In jedem Land tragen Frauen im Durchschnitt weniger zum Problem bei, leiden aber tendenziell stärker darunter. Damit haben wir ein Gerechtigkeitsproblem in Bezug auf Geschlecht, und wir müssen damit umgehen.
Gibt es in Ihrer Beobachtung Unterschiede im Engagement und Einsatz für Nachhaltigkeit zwischen den Geschlechtern? Oder, um es provokant auszudrücken: Könnte man sagen, dass nachhaltige Verhaltensweisen weiblich sind?
In unserer Gesellschaft tendieren tatsächlich Frauen dazu, ein umweltfreundlicheres Verhalten an den Tag zu legen als Männer. Biologische Produkte sind ein gutes Beispiel: Frauen neigen dazu, bewusster und nachhaltiger einzukaufen. Oder schauen wir uns Mobilität an: Auch da treffen Frauen oftmals nachhaltigere Entscheidungen. Manchmal sind es bewusste Entscheidungen, beispielsweise die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen oder kleinere Autos zu fahren. Oft beeinflussen aber auch die Umstände diese Entscheidungen. Vielleicht ist das Budget knapper oder in der Familie steht nur ein Auto zur Verfügung, das vom Mann für den Arbeitsweg genutzt wird. Dann greifen Frauen auf Alternativen zurück, fahren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Fahrrad. Nachhaltigkeit ist einfach ein viel größeres Thema für Frauen als für Männer.
Wie kommt es, dass sich vor allem Frauen bewusst darum bemühen, ein umweltfreundliches Verhalten an den Tag zu legen?
Es ist keine Frage der Genetik, sondern scheint vielmehr mit der sozialen Rolle verbunden zu sein. Frauen werden in unserer Gesellschaft oft durch Rollenbilder geprägt und dazu erzogen, sich um andere und folglich auch um die Natur und die Umwelt zu kümmern. Dem gegenüber steht das traditionelle Bild der Männlichkeit, das sich zwar bei der jüngeren Generation langsam wandelt, aber immer noch tief in unserer Gesellschaft verankert ist. Denken wir nur an das stereotypische, dicke Auto oder den hohen Fleischkonsum – Dinge, die nicht unbedingt nachhaltig sind. Die Geschlechternormen spielen also definitiv eine Rolle dabei, wie wir uns gegenüber unserer Umwelt verhalten.
Frauen leben bereits umweltfreundlicher, aber es wird von ihnen erwartet, dass sie noch umweltfreundlicher werden.
In Familien sind es oft die Frauen, die wie eine Projektmanagerin die Verantwortung tragen. Inwieweit verstärkt die wachsende Notwendigkeit von nachhaltigen Lebensweisen den bereits bestehenden „Mental Load“ und erhöht damit den Druck auf Frauen?
Frauen, die Care-Arbeit leisten und Verantwortung im Haushalt tragen, sind häufig stärker von Zeitknappheit betroffen als Männer, da es für sie praktisch nie einen wirklichen Feierabend gibt. Und nachhaltige Entscheidungen erfordern zusätzliche Arbeit. Es wird also zu einer zusätzlichen Herausforderung, den Familienkonsum umweltfreundlich zu gestalten oder nachhaltige Entscheidungen in Bezug auf die Mobilität zu treffen. In der feministischen Umweltdebatte spricht man auch von der „Feminisierung der Umweltverantwortung“. Es bedeutet, dass die Personen, die in der Regel für die Sorgearbeit zuständig sind – und das sind meistens Frauen –, mit zusätzlichen Aufgaben belastet werden. Frauen leben bereits umweltfreundlicher, aber es wird von ihnen erwartet, dass sie noch umweltfreundlicher werden.
Was muss passieren, damit die Verantwortung für Nachhaltigkeit nicht vor allem auf den Schultern von Frauen lastet?
Wir brauchen eine gerechtere Aufteilung der Arbeit und eine höhere Wertschätzung der Care-Arbeit. Unbezahlte Care-Arbeit wird wirtschaftlich nicht bewertet und erscheint damit auch nicht im Bruttoinlandsprodukt. Als man beispielsweise in der Schweiz versucht hat, den Wert dieser Arbeit zu quantifizieren, hat man festgestellt, dass er den des Bankensektors übersteigt.
Care-Arbeit und Fürsorge müssen also höher bewertet werden.
Fürsorge bezieht sich aber nicht nur auf die Familie, sondern kann auch auf die Umwelt, die Demokratie und das Zusammenleben in der Gemeinschaft bezogen werden.
Indem Menschen zusammen essen, wird die Gemeinschaft gestärkt.
Wenn es darum geht, das Engagement für Nachhaltigkeit auf alle Mitglieder der Gesellschaft gerecht zu verteilen, was für eine Idee würden Sie vorschlagen?
Kollektives Essen könnte einiges zur Nachhaltigkeit beitragen. In Barcelona gibt es bereits Gemeinschaftsküchen, so eine Art Volksküchen. Die könnten einen echten Unterschied machen, nicht nur hinsichtlich der Nachhaltigkeit, sondern auch in Bezug auf soziale Aspekte. Indem Menschen zusammen essen, wird die Gemeinschaft gestärkt und der soziale Zusammenhalt gefördert. Ältere Menschen, die alleine leben, können so mehr soziale Interaktion haben. Es könnte auch die Belastung der Frauen in der Familie reduzieren, wenn die Verantwortung für das tägliche Kochen auf mehrere Schultern verteilt wird. Und nicht zuletzt spart es Energie. Solche Lösungen könnten dazu beitragen, den Druck auf Frauen zu verringern und zur Gleichstellung der Geschlechter fördern.
Sie sehen also Vorteile und Potenziale darin, wenn Nachhaltigkeit und soziale Belange gemeinsam betrachtet werden?
Für mich gehören das Soziale und das Ökologische immer zusammen. Umweltprobleme sind untrennbar mit sozialen Problemen verbunden. Wenn man – überspitzt formuliert – behauptet, dass wir das Klima retten müssen, aber die Menschen nicht, dann nützt uns das wenig. Wir brauchen eine wirkliche sozial-ökologische Transformation, die beide Themen gleichberechtigt nebeneinander sieht. Daher müssen Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen auch unbedingt auf ihre Folgen für die Geschlechterverhältnisse überprüft werden, damit die Politik nicht zu weiterer Ungleichheit beiträgt.
Wenn man sagt, dass wir das Klima retten müssen, aber die Menschen nicht, dann nützt uns das wenig.
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