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Renaturierung und Hochwasserschutz
Mehr Natur, weniger Beton

Eine Flusslandschaft mit Kiesstrand, an dem sich Menschen aufhalten. Im Bildhintergrund eine Kirche.
Die Isar in München zeigt, dass in dicht bebauten Städten naturnahe Flusslandschaften möglich sind. | Foto (Detail): ©picture alliance / RosaRot/Shotshop | RosaRot

Wie können Städte besser auf Extremwetter vorbereitet werden und gleichzeitig an Lebensqualität gewinnen? Der Wasserbau-Experte Prof. Dr. Boris Lehmann spricht über innovative Renaturierungsprojekte in Europa und über die Vision einer nachhaltigeren urbanen Zukunft.
 

Von Lena Kronenbürger

Herr Prof. Dr. Lehmann was begeistert Sie an Flüssen?

Flüsse sind mit ihren Auen der Inbegriff der natürlichen Dynamik und Entwicklung: Sie umspülten und nährten die Wurzeln unserer menschlichen Kultur! Die vier ältesten Kulturen entstanden alle an Flüssen und ihren fruchtbaren Schwemmebenen: Mesopotamien am Euphrat und Tigris im heutigen Irak, die Harrapan-Kultur am Indus im heutigen Pakistan, China am Jangtse und am Gelben Fluss und Ägypten am Nil.

Wie veränderte sich der Umgang mit Flüssen, als der Mensch sesshaft wurde?

Mit der Sesshaftigkeit wuchsen auch die Nutzungsanforderungen an die Flüsse: Sie dienten fortan als Nahrungsquelle (Trinkwasser, Fischerei), als Transportpfad (Flößerei, Schifffahrt), als Material- und Energielieferant (Wasserkraftnutzung), als Entsorgungswege (Abwasser, Müll) sowie als Erholungsraum. Mit der Kultivierung veränderte sich das Empfinden für unsere Flüsse: Sie galten als gefährlich und wurden daher „gebändigt“ oder begradigt. Doch die Zeit hat gezeigt, dass diese Maßnahmen oft nicht die erhoffte Stabilität brachten: Statt eines beherrschbaren Systems entstanden durch solche Eingriffe monotone, unnatürliche Wasserläufe, die ihre eigene Dynamik verloren. Dadurch konnten sich Hochwasserwellen nicht mehr in ihre ursprünglichen Überflutungsräume ausbreiten und wanderten schneller und heftiger stromabwärts.
 
Die Folgen sind mittlerweile dramatisch spürbar: Jahrhundertfluten treten immer häufiger auf.

Die rapide Veränderung unseres Klimas führt zudem zu immer heftigeren Niederschlägen, was die Situation zusätzlich verschärft. Den Ansatz „Raum für die Flüsse“ sehe ich als Fachmann daher nicht als eine lediglich schöne Vision an – ich erachte diesen Ansatz als existenziell wichtige Maßnahme, um unsere Kulturräume zu sichern und an die klimatischen Veränderungen anpassen zu können. 

Renaturierung klingt nach einem großen Versprechen: Natur zurückbringen, mitten in die Stadt. Was genau versteht man darunter, und wie kann das in dicht bebauten Städten wie Paris oder Frankfurt funktionieren?

In Paris wurde beispielsweise die Seine-Uferzone renaturiert und für Fußgänger geöffnet – das verbessert nicht nur die Wasserqualität, sondern lockt auch Menschen zum Verweilen an. Renaturierung umfasst also Maßnahmen, die Gewässer wie Bäche und Flüsse naturnaher gestalten, indem ihre Struktur und Strömung vielfältiger und dynamischer werden.

Warum sollten wir Flüssen wieder ihren natürlichen Raum zurückgeben?

Flüsse formen seit jeher Landschaften und brauchen dazu Platz. Ein lebendiger Fluss ist nicht nur Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten, sondern auch eine wertvolle Wasserquelle in Trockenzeiten und ein effektiver Wasserableiter bei Hochwasser. Die Niederlande zeigen eindrucksvoll, wie dieser Ansatz in dicht besiedelten Regionen umgesetzt werden kann. Das Projekt „Room for the river“ hat durch gezielte Deichrückverlegungen an Rhein und Maas Überflutungsflächen geschaffen. Diese Flächen dienen als natürliche Pufferzone bei Hochwasser und haben gleichzeitig neue Freizeit- und Naturräume geschaffen.

Wie können renaturierte Flüsse konkret dazu beitragen, Städte besser vor Überschwemmungen zu schützen?

Renaturierte Flüsse wirken als natürliche Hochwasserschutzmaßnahmen. Durch die Anbindung von Altarmen und überflutbaren Auebereichen kann sich Hochwasser ausbreiten und abgebremst werden. In Wien wurde beispielsweise die Donauinsel geschaffen, die nicht nur als Erholungsgebiet dient, sondern vor allem den Hochwasserschutz der Stadt verbessert.

Was müssen Städte tun, um besser auf extreme Wetterereignisse wie Starkregen vorbereitet zu sein?

Starkregen stellt viele Städte vor Herausforderungen. Durch das Abfließen heftiger Niederschläge können sich in sehr kurzer Zeit Sturzfluten bilden – also Abflusskorridore, die entlang topographischer „Talwege“ verlaufen und durch starke Strömungen gekennzeichnet sind. Starkregenabflüsse führen zu Überschwemmungen, die sich durchaus weit weg von Gewässerläufen befinden können und daher andere Eigenschaften als gewässergebundene Hochwasser aufweisen. Ein bewährtes Konzept ist die sogenannte „Schwammstadt“. Durch viele kleine Maßnahmen soll möglichst viel Regenwasser im Gelände zurückgehalten und dann dort auch versickert werden. Kopenhagen hat dieses Konzept in mehreren Stadtteilen umgesetzt. Gründächer, Versickerungsanlagen und begrünte Flächen sorgen dafür, dass Regenwasser nicht sofort abfließt, sondern im Boden verbleibt. Das reduziert nicht nur die Überschwemmungsgefahr, sondern hilft auch, Trockenperioden besser zu überstehen.

Städte sind oft dicht bebaut. Wie gehen sie mit dieser Herausforderung um?

Lyon beispielsweise hat sich mit der Renaturierung der Rhône-Ufer erfolgreich gegen dichte Bebauung behauptet. Durch die Verlagerung von Parkplätzen und Straßen entstand Raum für Erholungsflächen und naturnahe Gewässerabschnitte. Großräumige innerstädtische Renaturierungen an Flüssen benötigen in jedem Fall Platz – daher gehen solche Projekte häufig mit aufwendigen Umordnungen der vorhandenen Infrastrukturen und Bebauungen einher. Solche kostenintensiven Projekte benötigen besondere Förderquellen – in Deutschland werden dazu Landes- oder Bundesgartenschauen genutzt.

Wie würde eine Stadt im Jahr 2040 aussehen, wenn Renaturierung ein zentraler Bestandteil der Stadtplanung wäre?

Sichtbar wäre ein Korridor, der sich durch die Stadt windet – ähnlich wie in Kopenhagen oder München, wo solche grünen und blauen Korridore bereits Realität sind. Die Isar in München zeigt erfolgreich, wie auch in dicht bebauten Städten naturnahe Flusslandschaften geschaffen werden können. In jedem Fall fände man im Jahr 2040 innerhalb dieses Korridors in vielen weiteren Städten ein gut zugängliches Gewässer, das von vielfältiger Vegetation umgeben ist und eine hohe Wasserqualität aufweist. Eher weniger sichtbar wären die vielen einzelnen dezentralen Maßnahmen eines zugehörigen Schwammstadtkonzepts, die helfen, Regenwasser zu speichern und Sturzfluten bei Starkregen zu verhindern. Ökologisch betrachtet würde der strukturreiche Gewässerlauf zahlreichen Tieren die Möglichkeit geben, die Stadt zu durchwandern oder dort zu leben. Renaturierung – ob an der Seine, der Donau oder der Rhône – bedeutet für Tiere und Menschen einen spürbaren Gewinn an Lebensqualität.
 

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