Dunkelnacht
Kirsten Boie: Dunkelnacht
| © Oetinger 2021, Hamburg
Eine wahre, aber wenig bekannte historische Begebenheit hat Kirsten Boie zu dieser schmalen Novelle inspiriert: Sie will die Erinnerung wach halten an die so genannte Mordnacht von Penzberg. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, am 28. April 1945, wurden in der oberbayerischen Bergarbeiter-Stadt 16 Frauen und Männer von fanatischen Nazis ermordet, weil sie ihre Stadt kampflos den Amerikanern übergeben wollten.
Kirsten Boie schildert die Ereignisse chronologisch und stringent auf den Willkür-Akt zulaufend. Dabei flicht sie geschickt Hintergrundinformationen zum Zeitgeschehen ein und erläutert diese im Anhang mit Nachwort, Glossar und einer Liste der Opfer. Im Zentrum ihrer Erzählung stehen indes drei fiktive Jugendliche: Schorsch und Marie, zum ersten Mal verliebt; außerdem Gustl, der entschlossen ist, sein Leben für den Sieg zu geben. Deren durchaus gegensätzliches Erleben wird in reduzierter Sprache und erlebter Rede geschildert, wodurch eine – nie voyeuristische – Spannung entsteht. Die Lesenden fiebern mit, hoffen wider besseren Wissens doch noch auf einen anderen Ausgang, bleiben fassungslos zurück. Denn verurteilt wurde bis heute keiner der Täter.
Dunkelnacht
Kirsten Boie
Hamburg: Oetinger, 2021
www.oetinger.de
In viaggio con Destino
Fabrizio Altieri: In viaggio con Destino
| © Feltrinelli 2020, Mailand
In einem (fiktiven) Ort in der Garfagnana macht sich der zwölfjährige Fredo mit einem Packen geklauter Wahlzettel auf in ein Dorf, das nach einem Erdrutsch von der Außenwelt abgeschnitten ist. Die Erwachsenen meiden den gefährlichen Weg, und so sind es Elsa und ihr anarchischer Großvater, die den jungen Helden – zunächst gegen dessen Willen – begleiten. Ihre Familie wird aufgrund eines unguten Zwischenfalls zu Zeiten der Resistenza geächtet. Der Großvater lebt wie ein Einsiedler und ist blind, aber er wird geleitet von seinem Esel namens Destino (Schicksal), der die abschüssigen Wege bestens kennt.
Wir befinden uns im Jahr 1946 und am 2. Juni steht Italien vor der Entscheidung zwischen Monarchie oder Republik. Zum ersten Mal können auch Frauen mit abstimmen. Fredo weiß, wie wichtig dieses Referendum gerade nach den dunklen Zeiten des faschistischen Regimes ohne jede Mitbestimmung ist. Und er will mit dafür Sorge tragen, dass wirklich alle abstimmen können. Die Handvoll Wähler, die er einbeziehen will, wird den Wahlausgang, sicherlich nicht beeinflussen, der alles andere als eindeutig ist, aber Fredo fühlt sich geradezu verpflichtet, weiter zu machen.
Die schlichte, einschneidende Sprache macht die Qualität dieses Romans aus, der in seiner abenteuerlichen Handlung grundlegende Fragestellungen zu Bürgerrechten und zum Wahlrecht aufwirft.
In viaggio con Destino
Fabrizio Altieri
Mailand: Feltrinelli, 2020
Fabrizio Altieri stellt seinen Roman vor.
Leseprobe:
flipbook.cantook.net