Deutsch nach Englisch
Wenn mehr doch besser ist

Andere Fremdsprachenkenntnisse unterstützen das Deutschlernen.
Andere Fremdsprachenkenntnisse unterstützen das Deutschlernen. | Foto: © Marco2811 - adobe stock

Im Physikunterricht werden Mathematikkenntnisse zugrunde gelegt, im Sport wird beim Basketball das Werfen vorausgesetzt, im Politikunterricht wird auf Geschichte zurückgegriffen. Nur der Fremdsprachenunterricht scheint für sich zu stehen. Damit geht dem DaF-Unterricht wichtiges Potenzial verloren.

Die Scheu vor sprachenübergreifendem Arbeiten hat meistens zwei Gründe. Während die Physiklehrkraft keine Befürchtung hat, dass ihre Schülerinnen und Schüler Physik und Mathematik vermischen und deswegen Fehler machen, tauchen gerade solche Bedenken bei Fremdsprachenlehrenden auf. Dies mag ein Relikt aus den Tagen der Kontrastivhypothese sein, ist jedoch durchaus hartnäckig und wird für Lernende des Deutschen als Folgefremdsprache nach der ersten Fremdsprache Englisch (DaFnE) anekdotisch immer wieder durch Fehler wie „Es war *auf einmal“ (Englisch „once upon a time“) oder „*Ich“ (auf Englisch  mit großem „I“) belegt (Beispiele aus Marx 2000). Man fürchtet sich vor Interferenzen, die sich nicht nur aus der Erstsprache, sondern auch aus schon gelernten Fremdsprachen in das Deutsche einschleichen.

Aber auch Lehrende, die gerne auf das Englische zurückgreifen würden, haben manchmal Bedenken. Denn viele fühlen sich verunsichert, wenn es um eine andere Fremdsprache geht. Die Deutschlehrkraft will schließlich auch keine Fehler im Englischen machen.

Lernvorteile durch Englischkenntnisse

Dass ein Rückgriff auf andere (Fremd-)Sprachen gerade lernförderlich sein kann, zeigt uns ein Blick in die Forschungslage der letzten Jahrzehnte. Es wird immer wieder nachgewiesen, dass Lernende, die Englisch als erste Fremdsprache gelernt haben oder noch lernen, viele Vorteile beim Deutschlernen haben. Diese Vorteile liegen nicht nur in sprachlichen Merkmalen, sondern gehen auf bereits erworbene Lernstrategien und Lerntechniken zurück.

Sprachliche Ähnlichkeiten

Nicht nur im Wortschatz gibt es Gemeinsamkeiten. Nicht nur im Wortschatz gibt es Gemeinsamkeiten. | Foto: © Maranso - adobe stock Offensichtlich sind dabei Hilfen beim Wortschatz. Deutsch und Englisch teilen sich einen großen Fundus, der auf Internationalismen aus dem Lateinischen (Universität, informieren), auf den gemeinsamen germanischen Hintergrund (Haus, Apfel) oder auf Anglizismen (cool, City) zurückzuführen ist. Solche Wörter können Lernende sogar in ihrer allerersten Deutschstunde problemlos erkennen und sie werden meistens als Erstes genannt, wenn es um die Rolle von Englisch beim Deutschlernen geht. So konnten zum Beispiel Lay und Merkelbach (2011) für taiwanesische Deutschlernende zeigen, dass ein Großteil der Befragten die hilfreiche Unterstützung der ersten Fremdsprache Englisch hervorhebt. Sie haben vor allem den Wortschatz für ein unterstützendes Merkmal gehalten. Dies ist auch zweifelsohne die einfachste, schnellste und ergiebigste Möglichkeit, von den eigenen Englischkenntnissen zu profitieren.

Aber auch strukturelle Merkmale sind oft hilfreich. Das gilt besonders für Lernende mit Erstsprachen wie Chinesisch, Arabisch oder Russisch, die etymologisch weiter entfernt von Deutsch liegen. Die Satzstellung bei Ergänzungsfragen (Wer kennt die Geschichte?: Fragewort im Vorfeld – linke Klammer – Mittelfeld) und bei Entscheidungsfragen (Beginnt die Geburtstagfeier um 15 Uhr?: Linke Klammer – Subjekt – restliches Mittelfeld) ist in beiden Sprachen ähnlich. Weitere grammatische Erscheinungen wie die Komparation (schnell – schneller; fast – faster) oder Vokaländerungen bei starken Verben (singen – sang – gesungen; sing – sang – sung) zeigen auch Ähnlichkeiten. Sogar dem Grammatikunterricht ist geholfen, wenn viele Termini wie Verb oder Artikel aus dem Englischunterricht bereits bekannt sind und nicht gesondert eingeführt und erklärt werden müssen. Und schließlich spielen textuelle Merkmale eine wichtige Rolle: Wer einmal eine Figurenbeschreibung auf Englisch schreiben musste, weiß Einiges über den Aufbau und den Inhalt solcher Textmuster.

Fremdsprachenlernerfahrungen

Ein weiterer Vorteil beim Lernen einer Folgefremdsprache ergibt sich daraus, dass man bereits viele Erfahrungen mit dem Fremdsprachenlernen gemacht hat. So konnte Mißler schon 1999 nachweisen, dass man – bis zur siebten oder achten Sprache – mit jeder neuen Fremdsprache immer mehr und immer zielgerichteter Lernstrategien anwendet. Außerdem sind Lernende einer zweiten oder weiteren Fremdsprache sensibler Sprachen gegenüber, unter anderem sind sie erfolgreicher bei der Erkennung von Mustern und pragmatischen Nuancen, und deswegen auch erfolgreicher beim Lernen neuer Strukturen (Jessner 2006).

Man darf sich natürlich nicht nur die Rosinen herausauspicken: Wer im Englischunterricht schlechte Erfahrungen gesammelt hat, kann durchaus mit einer eher negativen Haltung in den DaF-Unterricht kommen. In diesen Fällen obliegt es den Deutschlehrkräften, besonders sensibel mit dem Thema Fremdsprachenlernen umzugehen und den Lernenden zu zeigen, dass man im DaF-Unterricht Erfolge feiern kann.

Methodik des Folgefremdsprachenunterrichts

Grundsätzlich ist es wichtig, dass Lernende den Nutzen ihrer bereits gewonnenen Fremdsprachenkenntnisse wahrnehmen und diese beim Lernen des Deutschen einsetzen. Denn obwohl Lernende Sprachkenntnisse und Lernfähigkeiten aus einer ersten Fremdsprache mitbringen, verkennen sie diese oft beim Lernen der zweiten (De Angelis 2011). Um sich diese zunutze zu machen, benötigen Lernerinnen und Lerner offenbar einen gezielten Folgefremdsprachenunterricht beziehungsweise DaFnE-Unterricht (Marx 2005).
Ein guter DaFnE-Unterricht steht auf zwei Säulen: Zum einen sollen Lernende dazu befähigt werden, selbstständig über Sprachen und über das Erschließen und Systematisieren interlingualer Parallelen zu reflektieren. Zum anderen sollen sie sich den Prozess des Sprachenlernens immer wieder bewusst machen, um sich so weitere Strategien anzueignen und diese sinnvoll einzusetzen. Das Team um Neuner und Hufeisen (2009) gibt folgende Richtlinien für die Praxis an:
  1. Wo es sinnvoll ist, sollte sprachen- und sprachfachübergreifend gearbeitet werden. Es sollte nicht davor gescheut werden, auch kreativ Parallelen zwischen Sprachen entdecken zu lassen. Das hilft Lernenden, auch selbstständig die eigenen Vorkenntnisse zu reflektieren.
  2. Sprachliche Strukturen sollten inhaltlich und textuell eingebettet werden. DaFnE-Lernende haben bereits eine Fremdsprache gelernt. Es ist daher nicht nötig, Inhalte stark zu vereinfachen.
  3. Zu Beginn des Lernens sollten insbesondere rezeptive Kompetenzen ausgebaut werden. Das ermöglicht Lernenden, sich sehr schnell mit Texten auseinanderzusetzen, die eigentlich weit über ihrem Niveau liegen müssten – das schafft Motivation (Kursiša 2014).
  4. Auf Tempo lernen: Da meistens weniger Zeit dem DaFnE-Unterricht zur Verfügung steht, muss darauf geachtet werden, möglichst zügig relevante Inhalte, insbesondere im Anfängerunterricht, zu erarbeiten. Gerade da kann das Englische Propellerfunktion haben.

Unterrichtspotenziale nutzen

Die inzwischen recht umfangreiche Forschung und die Erfahrung mit dem Lernen des Deutschen als Folgefremdsprache sowie dem auf diese Lernsituation ausgerichteten Unterricht sind in der Summe eindeutig: Wer den Blick für bereits erworbene Kenntnisse und Erfahrungen aus anderen Sprachen öffnet, kann von diesen beim Lernen einer neuen Sprache profitieren. Grundlegend dafür ist eine unterstützende Lehrperson, die Lernenden beim sprachenübergreifenden Agieren hilft und selber keine Angst vor dem Einfluss des Englischen im Deutschunterricht hat. Das Ergebnis ist ein Unterricht, der die Lernenden auch auf das Lernen noch weiterer Sprachen vorbereitet.
 

Literaturhinweis

Wer sich umfangreicher zum Thema informieren möchte, wird auf die Fernstudieneinheit 26 von Neuner et al. (2009) verwiesen. Einen kurzen Einblick in forschungs- und praxisbezogene Fragen erhält man unter anderem bei Marx (2016, 2018). Sofort einzusetzende Unterrichtsmaterialien für niedrigere Lernniveaus finden sich bei Kursiša/Neuner (2006).

Angelis, Gessica de (2011): Teachers' beliefs about the role of prior language knowledge in learning and how these influence teaching practices. In: International Journal of Multilingualism 8. Jg., H. 3, S. 216-234.

Jessner, Ulrike (2006): Linguistic awareness in multilinguals: English as a third language. Edinburgh: Edinburgh University Press.

Kursiša, Anta (2014): Lesen und verstehen, "ohne das Deutsche so besonders gut zu können". Lesetexte im schulischen Anfangsunterricht DaFnE. In: Fremdsprache Deutsch H. 50, S. 30–35.

Kursiša, Anta/Neuner, Gerd (2006): Deutsch ist easy! Lehrerhandreichungen und Kopiervorlagen "Deutsch nach Englisch" für den Anfangsunterricht. Ismaning: Hueber.

Lay, Tristan/Merkelbach, Chris (2011): Deutsch als Tertiärsprache in Taiwan. Eine empirisch quantitative Erhebung zur Einschätzung vorhandener Sprachkenntnisse und Sprachlernerfahrungen für den Lernprozess des Deutschen. In: Renate Kärchner-Ober (Hg.): Mehrsprachigkeit und multiples Sprachenlernen = Multilingualism and multiple language acquisition and learning: Vol. 7. Multilingual thumbprints. Different perspectives of multilingualism in South-East Asia. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 25-55.

Marx, Nicole (2000): Denglisch bei nicht-indoeuropäischen Muttersprachlern? In: Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachenunterricht 5. Jg., H.1, S. 1-16.

Marx, Nicole (2005): Hörverstehensleistungen im Deutschen als Tertiärsprache: Zum Nutzen eines Sensibilisierungsunterrichts in "DaFnE". Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.

Marx, Nicole (2016): Lernen von zweiten und weiteren Fremdsprachen im Sekundarschulalter. In: Burwitz-Melzer, Eva/Mehlhorn, Grit/Riemer, Claudia/Bausch, Karl-Richard/Krumm, Hans-Jürgen (Hg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 6. Aufl. Tübingen: Francke, S. 295–300.

Marx, Nicole (2018): Von DaF zu DaFnE zu DaT zu DimK und zurück zu DaF (bzw. DaZ)? Ein Streifzug durch die Tertiärsprachenforschung und -didaktik in Deutsch als Fremdsprache. In: Merkelbach, Chris/Sablonty, Martin (Hg.): Darmstädter Vielfalt – 10 Jahre Fachgebiet Sprachwissenschaft – Mehrsprachigkeit. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.

Mißler, Bettina (1999): Fremdsprachenforschung und Lernstrategien. Eine empirische Untersuchung. Tübingen: Stauffenburg.

Neuner, Gerd/Hufeisen, Britta/Kursiša, Anta/Marx, Nicole/Koithan, Ute/Erlenwein, Sabine (2009): Deutsch als zweite Fremdsprache (=Fernstudienangebot; 26).