Film Shahid

Shahid Foto: © Michael Kalb Filmproduktion / Felix Pflieger

Mo, 10.06.2024

20:30 Uhr

Palermo, Cinema Rouge et Noir

Im Rahmen von Altre Rive 2024

Deutschland 2024 / 84’ / Originalfassung mit italienischen und englischen Untertiteln / Italienische Erstaufführung

Regisseurin Narges Kalhor wird anwesend sein.
Einführung durch Heidi Sciacchitano, Leiterin des Goethe-Institut Palermo


Einige Männer in schwarzen traditionellen Gewändern bewegen sich um den nackten Körper einer Frau, während religiöse Gesänge aus der Moschee die Luft erfüllen. Diese werden von der Frau selbst geflüstert, während sie sich anzieht, das Haus verlässt und zum Standesamt geht. Ihr Ziel ist es, ihren Namen zu ändern, um einen Geist loszuwerden, den diese Männer symbolisieren, und den Ballast einer Herkunft abzulegen, die zu einer Last geworden ist – den Nachnamen "Shahid", der "Märtyrer" bedeutet. Doch sie ist keine Märtyrerin, sondern ihr Urgroßvater war es, in einer Glaubensrichtung, an die sie nicht glaubt.

Das Schicksal will jedoch, dass es in Deutschland nicht einfach ist, ihren Namen zu ändern, insbesondere nicht als politische Flüchtlinge. Zum Gewicht einer Vergangenheit, die Narges nie erlebt hat, kommt die unbarmherzige bürokratische Last eines Landes hinzu, das nie wirklich ihr eigenes war, das sie nicht adoptieren will und ihr nicht erlaubt, sich von den Ketten zu befreien. Narges "Shahid" Kalhor, die nicht länger "Shahid" sein möchte, befindet sich in einem Dilemma, auf das die Regisseurin mit einem weiteren Paradoxon antworten möchte: einem Film zwischen Dokumentar- und Spielfilm, einem Kurzschluss, bei dem die Grenzen zwischen Inszenierung und Improvisation, zwischen Konstruktion und Spontaneität, ebenso unklar sind wie die Rolle der eigenen Herkunft und deren Bedeutung in einer völlig anderen Gegenwart. Dieser Kurzschluss wird ein fruchtbarer Boden sein, um zu erkennen, wo die wahren Dilemmata ihres Lebens aufkeimen.

Narges Kalhors freiformatige Dokumentarkomödie rekonstruiert die Gegenwart, indem sie sich mit den Traumata der Vergangenheit auseinandersetzt: die Jugend einer unterdrückten Filmemacherin und Gefangenen in Teheran, die Flucht nach Deutschland und das schnelle Asyl dank des Nachnamens Kalhor, der mit Mehdi Kalhor, Berater des ehemaligen iranischen Präsidenten Ahmadinejad, verbunden ist. Die Auseinandersetzung mit einer traumatischen Vergangenheit und einer Gegenwart, die das teilweise Privileg nicht rechtfertigt, ist der letzte Schritt eines Films der Selbsttherapie, der in der semipermeablen Membran, die Wahrheit und Fiktion trennt, denselben Filter findet, der Privates und Öffentliches, die Geschichte des Einzelnen und die Geschichte der Gemeinschaft trennt. Kalhor ist unschlüssig, ob sie ihre Gegenwart mit dem pedantischen Ernst einer bürokratisch-dokumentarischen Vorgehensweise oder mit der entspannten Gelassenheit angehen soll, die der Geschichte und den Geschichten ihren Lauf lässt. Daher wird ihr "Shahid" zu einem aufrichtigen Kartenhaus, das sich wieder aufbaut, sobald ein Hauch von polemischem Wind oder ein unbeabsichtigter Fehltritt eine oder mehrere Ebenen des Gleichgewichts zum Einsturz bringt.

Die Experimente mit Animation, Drohnenaufnahmen, Musical, Performance und Videoessay werden zu menschlichen Notwendigkeiten, zu der Suche nach einer eigenen Sprache, der Konstruktion einer Grammatik, die jedes Dogma und jede frühere Entscheidung ablehnen möchte. Und selbst wenn die Schauspielerin, die sie in der Fiktion verkörpert, enthüllt, dass das Misstrauen schon ihr eigenes Set und ihr eigenes Projekt infiziert, nimmt Narges den Fehler, das Chaos und den Unsinn als Gegenmittel und Wiederherstellung an, als kraftvolle Antwort auf die Fesseln der Tradition und die graue Unverständlichkeit der sie umgebenden Welt.

Narges Kalhor wurde 1984 in Teheran geboren und besuchte ab 2001 in derselben Stadt einen Regiekurs unter der Leitung von Abbas Kiarostami und anderen. Ab 2007 studierte sie Visuelle Kommunikation an der Kamalolmolk University of Applied Sciences und drehte ihre ersten Kurzfilme – bereits kritisch gegenüber der iranischen Regierung – und arbeitete als Cutterin in einer Werbeagentur. Bei der Vorstellung ihres Kurzfilms Die Egge auf dem Nuremberg International Human Rights Film Festival (NIHRFF) im Jahr 2009 beantragte sie politisches Asyl in Deutschland und erregte die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit als Tochter von Mehdi Kalhor, dem ältesten Kulturberater des damaligen iranischen Präsidenten Ahmadinejad. Sie erhielt politisches Asyl und besuchte anschließend die Hochschule für Fernsehen und Film München, wo sie Shoot Me (2014) drehte, der den Preis für Nonfiction bei den Deutschen Kurzfilmpreisen gewann. Die vielseitige und interdisziplinäre Künstlerin stellte mehrfach Werke der Videokunst und Videoinstallationen auf verschiedenen Festivals und in Museen in Deutschland aus, darunter Kafan (2014), das auf dem UNDERDOX-Festival in München mit dem Best Video Art ausgezeichnet wurde, und das kollektive Werk Nosferatu Is Not Dead (2016), das im Lenbachhaus in München gezeigt wurde. In the Name of Scheherazade or the First Beergarden in Tehran ist ihr Abschlussfilm und feierte seine Weltpremiere auf dem Visions du Réel Festival in Nyon und dem DOK Leipzig, wo er den Dokumentarfilmpreis des Goethe-Instituts und den Bayerischen Kulturpreis gewann und ab Februar 2020 in der Schweiz vertrieben wird. Ihr neuer Film Shahid feierte in der Sektion Forum der Berlinale 2024 Premiere.


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Regie: Narges Kalhor
Drehbuch: Narges Kalhor, Aydin Alinejad
Kamera: Felix Pflieger
Schnitt: Frank J. Müller, Narges Kalhor
Musik: Marja Burchard
Ton: Philip Hutter, Jesus Casquete Gonzales, Andreas Goldbrunner
Besetzung: Baharak Abdolifard, Nima Nazarinia, Narges Kalhor, Thomas Sprekelsen, Carine Huber, saLeh roZati, Noah Schuler, Lili Pongratz, Alon Bracha, Zuki Izak Ringart, Roman Singh, Ludger Lamers, Nina Wesemann
Produktion: Michael Kalb
Produktionsfirmen: Michael Kalb Filmproduktion, ZDF / Das kleine Fernsehspiel

Webseite des Verleihs: zdf.de
E-Mail des Verleihs: zuschauerservice@zdf-service.de


Altre rive ist eine Initiative der Deutschen Botschaft Rom und des Goethe-Institut Palermo.

In Zusammenarbeit mit den 
Internationalen Filmfestspiele Berlin, dem Harun Farocki Institut Berlin und dem Cinema Rouge et Noir

Unter Schirmherrschaft der Stadt Palermo

Mit Unterstützung von Flixbus

Organsation von SudTitles

Eintritt 3,50 Euro, wenn nicht anders angegeben

Info: altrerivefestival@gmail.com
Cinema Rouge et Noir, Tel. +39 091 6613507

Altre rive 2024 - Partner Graphik: © Goethe-Institut Palermo

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