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14:30–15:30 Uhr

Der Widerhall des bewaffneten Kampfes

Podiumsdiskussion | Die Rolle der Literatur und Geschichtsschreibung bei der Aufarbeitung der „Stragismo-Periode“

  • Auditorium des Goethe-Instituts, Rom

  • Sprache Deutsch und Italienisch mit Simultanübersetzung
  • Preis Der Eintritt ist kostenlos und wird nach Verfügbarkeit der Sitzplätze gewährt
Mit Francesca Melandri und Petra Terhoeven. Es moderiert Maurizio Franco.

„Triff einen, um hundert zu erziehen“ oder „Schlag ins Herz des Staates“ waren zwei der Slogans der Brigate Rosse (BR), der hegemonialen Organisation unter den Gruppen, die den bewaffneten Kampf in Italien wählten, während die abtrünnigen Staatsapparate und die Neofaschisten die 1970er Jahre mit Massakern und Anschlägen unterstützten und die Spannungen damit noch verstärken. In der Bundesrepublik Deutschland, dem durch die Berliner Mauer geteilten Westteil, griff 1977 die Rote Armee Fraktion (RAF) den Staat an. Am 5. September entführt sie Hanns Martin Schleyer, den Präsidenten des Westdeutschen Industrieverbandes, und fordert die Freilassung mehrerer Häftlinge. Am 13. Oktober entführt die mit der RAF verbündete Volksfront zur Befreiung Palästinas (FPLP) eine Lufthansa-Maschine. Bei der Landung in Mogadischu stürmte die GSG 9 das Flugzeug und befreite die Geiseln. Am 18. Oktober tötet die RAF Schleyer, während im Gefängnis Stuttgart Stammheim die leblosen Körper von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe gefunden werden.
43 Tage, die die deutsche Öffentlichkeit schockierten. In Italien dagegen waren es 55 Tage: Die Entführung, Inhaftierung und Ermordung des christdemokratischen Parteivorsitzenden Aldo Moro erschütterte das Land.

Karl Marx sagte, dass die Gewalt die Hebamme der Geschichte sei (und es gab viele Interpretationen dieser Annahme). Walter Benjamin stellte das Gewaltmonopol der Obrigkeit in Frage, indem er ihre Prinzipien in Frage stellte. Das Binom „Revolution und Reaktion“ prägte zweifellos das Europa der 1970er Jahre. Und eines der bestimmenden Elemente der politischen Dialektik dieser Zeit war eben die Gewalt.
Hat die italienische Gesellschaft mehr als 50 Jahre später den Konflikt der 1970er Jahre verarbeitet und historisiert? Hat sich die deutsche Gesellschaft dem Trauma des bewaffneten Kampfes gestellt? Wie wirkt es in der Gegenwart nach? Die Debatte ist noch offen. Ein Großteil der literarischen Produktion in Italien befasst sich mit eben diesen Jahren: von Ufo 78 des Kollektivs Wu Ming über Più alto del mare von Francesca Melandri bis hin zu Città sommersa von Marta Barone und Il tempo di vivere con te von Giuseppe Culicchia. Autoren mit unterschiedlichem Generations- und Erfahrungshintergrund.

Die Podiumsdiskussion „Die Echos des bewaffneten Kampfes“ will die Frage der Gewalt in den 70er Jahren untersuchen, indem sie die Auswirkungen dieser Ereignisse auf die Gesellschaft von damals und heute analysiert. Welche Berührungspunkte gab es zwischen Italien und Deutschland? Wo lagen die Unterschiede? Sind die Roten Brigaden und die RAF überlappende Organisationen? Reichen nationale Kontexte aus, um die Entstehung und Entwicklung des bewaffneten Kampfes zu erklären? Welche Unterschiede bestehen zwischen den „bewaffneten“ und den außerparlamentarischen linken Bewegungen? Wie reagierten die beiden großen linken Parteien SPD und IKP? Wie fügen sich staatliche Gewalt und Repression in diesen Kontext ein? Und welcher Logik folgte das faschistische Morden? Wie entstanden die beiden Demokratien?

Mit Hilfe der Schriftstellerin Francesca Melandri und der Historikerin und Expertin für linken Terrorismus Petra Terhoeven werden wir uns konkret die Frage stellen, welche Funktion die Literatur bei der historisch-kritischen Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit hat und welche Rolle die Geschichtsschreibung angesichts eines so lebendigen und brisanten Materials spielen kann. Wann lässt die Erfahrung Raum für eine klare historische und journalistische Reflexion, wenn die „Tyrannei des Egos“, um den Historiker Enzo Traverso zu paraphrasieren, immer um die Ecke lauert?

Biografien

Ihre Romane „Eva dorme“ (2010), „Più alto del mare“ (2012) und „Sangue Giusto“ (2017) sind alle bei Bompiani erschienen, ebenso wie der ganz aktuelle Roman „Piedi Freddi“ (2024). Ihre Bücher werden in viele Sprachen übersetzt. Sie arbeitet mit verschiedenen internationalen Zeitungen zusammen (Die Zeit, The Guardian und andere). Sie lebt zwischen Rom und Berlin.
 

1988−1996 Studium der Fächer Geschichte, Germanistik und Italienisch an den Universitäten Köln und Bologna; 1997−2000 Forschungsaufenthalt in Italien, Stipendiatin des DHI Rom, des DAAD und der italienischen Regierung; 2002 Promotion zum Dr. phil. an der Universität Darmstadt, Thema der Dissertation: „Liebespfand fürs Vaterland. Die Gold- und Eheringsammlung im faschistischen Italien 1935/36“ (Note: summa cum laude; ausgezeichnet mit dem Preis für hervorragende wissenschaftliche Leistungen der Vereinigung von Freunden der TU Darmstadt); April 2004 Wissenschaftliche Assistentin an der Universität Kiel; November 2004 Bestellung zur Juniorprofessorin für Europäische Kultur- und Zeitgeschichte an der Universität Göttingen; 2006/07 Gastlehrauftrag an der Universität Luzern, Schweiz; 2007/08 Gastwissenschaftlerin am Deutschen Historischen Institut in Rom; 2012 Ernennung zur Professorin für Europäische Kultur- und Zeitgeschichte an der Universität Göttingen; 2019/20 Richard von Weizsäcker-fellow, St Antonyꞌs College, Oxford; seit Oktober 2024 Direktorin des Deutschen Historischen Instituts in Rom.
Forschungsschwerpunkte: Deutsche und westeuropäische Geschichte des 20. Jahrhunderts; transnationale und vergleichende Geschichte; italienischer Faschismus; Geschlechtergeschichte; politische Gewalt und Terrorismus im 20. Jahrhundert; Visual History.

Er hat mit italienischen und internationalen Zeitungen zusammengearbeitet, darunter La Repubblica, Der Spiegel und Irpi Media. Er gewann die 5. und 8. Ausgabe des Roberto Morrione-Preises für investigativen Journalismus und ist Mitglied des Centro di giornalismo permanente (Cgp), eines Kollektivs unabhängiger Journalisten, Fotografen und Videofilmer mit Sitz in Rom. Mit dem Cgp und der Gewerkschaft Spi-Cgil hat er das Archiv Ruvide, storie di lotte e lavoro (Geschichten vom Kampf und Arbeit), ein audiovisuelles Projekt über die italienische Arbeiterbewegung zwischen den 1950er und 1970er Jahren mit über 200 Interviews, realisiert.

Agenda

  • Der Widerhall des bewaffneten Kampfes

    Podiumsdiskussion | Die Rolle der Literatur und Geschichtsschreibung bei der Aufarbeitung der „Stragismo-Periode“

    • Auditorium des Goethe-Instituts, Rom

  • Die Entdeckung von Radio Alice mit Wu Ming 4

    Podiumsdiskussion | Die alternative und militante Kultur in Bologna in den 70er Jahren

    • Auditorium des Goethe-Instituts, Rom

  • Mission erfüllt? Warum wir heute noch den Feminismus brauchen

    Podiumsdiskussion | Der aktuelle Stand des Feminismus in Italien und Deutschland

    • Auditorium des Goethe-Instituts, Rom

  • Ökologische Bewegungen gestern und heute

    Podiumsdiskussion | Die ökologischen politischen Strategien und die Wege, die von den Umweltbewegungen in Deutschland und Italien seit den 1970er Jahren eingeschlagen wurden

    • Auditorium des Goethe-Instituts, Rom

  • Die 70er Jahre. Revolutionäre Fragmente

    Führung und Ausstellungseröffnung | Ausstellung originaler Materialien: Flugblätter, Bücher, Plakate, Objekte einer hitzigen Ära

    • KunstRaum Goethe , Rom

  • Das Paradis ist immer woanders

    Theater | Im Rahmen von Vogliamo tutto

    • Auditorium des Goethe-Instituts, Rom