Humboldt Forum
Neue Perspektiven für die Kultur heute
Der Generalintendant des Humboldt Forums in Berlin Hartmut Dorgerloh war zu Gast auf der Ausstellungseröffnung „L’inarchiviabile“ im Kunstraum Goethe in Rom. Wir haben mit ihm über das Humboldt Forum, über die Aufarbeitung des Kolonialismus in Europa, über die Restitution von Raubgut und den dringend nötigen Perspektivenwechsel in der Kultur gesprochen.
Von Sarah Wollberg
Herzlich Willkommen im Goethe-Institut Rom. Sie haben unsere Ausstellung „L’inarchiviabile“ im KunstRaum gesehen. Wie war Ihr Eindruck?
Es sind sehr spannende künstlerische Positionen, die zeigen, wie unterschiedlich die Zugänge in der Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Erbe sind, sowohl mit den musealen Sammlungen, als auch mit den ganz aktuellen Fragestellungen und Problemen.
Das Goethe-Institut steht weltweit unter dem Motto „Sprache – Kultur – Deutschland“. Wie kann insbesondere Sprache dazu beitragen, Diskriminierung, Rassismus und einseitige Sichtweisen zu vermeiden?
Sprache reflektiert immer den Zustand der Gesellschaft und unserer gesellschaftlichen Debatte. Als vor zwanzig Jahren die Beschlüsse über das Humboldt Forum getroffen wurden, sprach man von den „außereuropäischen“ Sammlungen, die in die Nähe der Berliner Museumsinsel kommen sollten, um dort ein großes universales Museum zu bilden. Ich benutze den Begriff der „außereuropäischen“ Sammlungen heute nicht mehr. Wenn es uns mit dem Verlassen des eurozentrischen Standpunkts wirklich ernst ist, dann müssen wir mit unserer Sprache darauf reagieren.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte bei der Eröffnung des Humboldt Forums: „Wenn es um die Kolonialzeit geht, haben wir sonst so geschichtsbewussten Deutschen allzu viele Leerstellen. Wir haben blinde Flecken in unserer Erinnerung und unserer Selbstwahrnehmung." Wieso ist das so?
Ich glaube, das hängt in Deutschland damit zusammen, dass wir uns in den vergangenen Jahrzehnten aus nachvollziehbaren Gründen sehr intensiv mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus beschäftigt haben. Dann auch mit der jüngeren deutschen Geschichte: die Aufarbeitung der Stasi und der DDR-Diktatur waren ein großes Thema. Die deutsche Kolonialgeschichte endete offiziell 1918 mit dem Ende des Ersten Weltkriegs, der übrigens auch zu wenig im Bewusstsein der Deutschen ist. Jetzt gibt es bestimmte globale Entwicklungen: Migration als großes Stichwort, aber auch die Globalisierung, die Vernetzung unserer Wirtschaftssysteme und vor allem die Erkenntnis, dass wir heute bis hin zum Klimawandel die großen globalen Fragen unserer Zeit lösen müssen.
Die Autorin Chimamanda Ngozi Adichie hat in ihrer Rede zur Eröffnung des Humboldt Forums klare Worte gefunden. Sie fragte danach, ob deutsche Schüler*innen von dem Völkermord an den Herero und Nama in Namibia wissen und sagte, ihnen nur ein Teil der Geschichte zu erzählen, sei letztendlich eine Lüge. Wie kann das Humboldt Forum dazu beitragen, diese Geschichte ganz zu erzählen?
Im Humboldt Forum haben wir in einer Sonderausstellung unter anderem auch Schulbücher ausgestellt. Der Titel der Ausstellung ist Ansichtssache. Da sieht man, dass in Schulbüchern bis heute sehr westliche, weiße, postkoloniale Perspektiven zu finden sind. Das muss sich klar ändern. Wir dürfen in unseren Schulbüchern nicht wieder aus einer deutschen Perspektive über andere schreiben, sondern müssen diese Form von Lehr- und Lernmittel für die Positionen anderer öffnen, indem wir nicht mehr über andere reden, sondern anderen zu hören.
An welchem Punkt sind wir in der Restitutionsdebatte der Benin-Bronzen aus dem Humboldt Forum?
Die Staatlichen Museen in Berlin haben die grundlegende Entscheidung getroffen, dass es substanzielle Rückgaben geben wird, übrigens auch aus anderen deutschen Museen. Das Humboldt Forum ist sicherlich eine Art Katalysator für diesen Prozess gewesen, weil klar ist, dass die Benin-Bronzen nicht mehr so ausgestellt werden können wie noch vor zwanzig, dreißig oder vielleicht sogar noch vor fünf Jahren. Es ist eine internationale Debatte, die jetzt zu konkreten Ergebnissen gelangt. Es ist ein Prozess, der gemeinsam mit den Partner*innen in Nigeria entschieden wird. Ich bin sehr offen, was diese Ergebnisse angeht. Ich denke, dass erfolgreiche Restitutionen immer der Beginn einer neuen Kooperation sind. Es geht nicht darum, sich der Kolonialgeschichte zu entledigen, indem man restituiert. Damit ist das Thema nicht erledigt! Manche Partner*innen, nicht nur in Nigeria, sagen aber auch: „Das sind wichtige Zeugen unserer Kultur, unserer Tradition und unserer Geschichte. Wir wollen, dass sie in Museen, im Westen, in Europa, in Amerika ausgestellt bleiben.“ Aber welche Stücke gezeigt werden und wie das geschieht, das entscheiden dann die Partner*innen, in diesem Falle aus Nigeria. Es gibt neben der materiellen Rückgabe auch die digitale Repatriierung, die Möglichkeit der Zirkulation oder der unbefristeten Leihgabe. Ich bin sicher, dass das Humboldt Forum ein Ort sein wird, wo viele dieser Möglichkeiten in den nächsten Jahren zu erleben sein werden.
Berlin ist (mal wieder) das Zentrum einer weltweiten Debatte, in der sich gerade sehr viel bewegt. Das ist anlehnend an die Berliner Konferenz von 1884/85 eine große Verantwortung. Wo werden das Humboldt Forum und unsere Debatten um Kolonialismus in zehn Jahren stehen?
Ich hoffe, dass die Aufarbeitung des kolonialen Erbes in zehn Jahren nicht nur in den Museen, sondern insgesamt in der Gesellschaft einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht hat. Dass man davon weiß, dass man sich intensiv damit auseinandersetzt, dass man sich vor allen Dingen auch mit den Auswirkungen der kolonialen Ausbeutung und Unterdrückung in der Welt bis heute beschäftigt. Es geht nicht nur um den Blick zurück, sondern es geht auch um die Frage „Wie können wir heute zu einem gerechteren und besseren Leben auf unserer gemeinsamen Welt kommen?“. Ich hoffe, dass die ethnologischen Museen so eine Art Vorreiterrolle dabei einnehmen können.
Wie geht es Ihnen in der Position des Generalintendanten eines der am meisten kritisiertesten Großprojekte Deutschlands, dem Humboldt Forum?
Wir haben als Humboldt Forum die Chance dieses Thema wirklich an ein breites Publikum zu bringen. Gerade auch weil der Ort, auch im Spannungsfeld zur Architektur mit den rekonstruierten Schlossfassaden, so problematisch ist. Ich glaube, dass das Humboldt-Forum viel mehr Chancen als Risiken hat.
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