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Fragen der neuen Dramatik
Die 49. Mülheimer Theatertage

Theatertage 1
© Daniela Motzkus

Rund um den Sommer verdichten sich mehrere wichtige Theaterfestivals auf deutschen Bühnen – jedes mit einem eigenen Schwerpunkt und an einem anderen Ort in der Bundesrepublik stattfindend. Für Dramatiker*innen gibt es drei klare Leuchttürme in dieser bunten Landschaft: die Autor*innentheatertage in Berlin, den Heidelberger Stückemarkt und die Mülheimer Theatertage. Letzteres, zugleich das älteste der drei Festivals, lädt jedes Jahr im Mai ins Ruhrgebiet ein, um dort ein Fest der Worte zu erleben.

Von María Fernández-Aragón

Mülheim weist den Weg

Seit 1976 ist die erstaunlich grüne Stadt an der Ruhr Gastgeberin dieses Festivals für deutschsprachige Gegenwartsdramatik. Die Stücke werden in der Inszenierung der Uraufführung gezeigt, der Fokus liegt jedoch nicht auf der szenischen Darstellung, sondern auf dem Theaterstück selbst. Am letzten Wochenende des dreiwöchigen Festivals vergibt eine unabhängige Fachjury einen mit 15.000 Euro dotierten Dramatikpreis unter den sieben bis acht zur Wahl stehenden Stücken. Im Jahr 2010 wurde ein weiterer, ebenso hochdotierter Preis für Kinderstücke ins Leben gerufen, der von einer anderen Jury vergeben wird. Zusätzlich erhält jeweils ein Stück aus jedem Wettbewerb einen undotierten Publikumspreis. Etablierte Autor*innen wie Elfriede Jelinek, Roland Schimmelpfennig, René Pollesch, Dea Loher oder gar Heiner Müller wurden schon mehrmals nach Mülheim eingeladen und ausgezeichnet. 2007 entbrannte eine kleine Debatte, als das Kollektiv Rimini Protokoll (Helgard Haug/Daniel Wenzel) mit dem dokumentarischen Stück Karl Marx: Das Kapital, Erster Band gewann. Ist das immer noch Dramatik, wenn der Text vor allem aus Zitaten besteht? Was macht denn ein originelles, herausragendes Stück aus?

Theatertage 2 © Daniela Motzkus

Aus Vergangenem wird neu

Beim diesjährigen Festival stellten sich wieder ähnliche Fragen im Raum, wie die nach der Originalität des Stoffes. Einige der vom Auswahlgremium nach Mülheim geholten Stücke greifen auf bereits vorhandenes Material zurück, das in den jeweiligen Texten neu
interpretiert oder hinterfragt wird.

Ein Beispiel hierfür ist Thomas Köcks Verwendung des Ödipus-Mythos’ in forecast:ödipus – living on a damaged planet, um eine Botschaft über die Klimakrise zu vermitteln. In Laios, zweitem Teil der Pentalogie Anthropolis, versucht Roland Schimmelpfennig eine Leerstelle des Mythos zu ergründen, indem er verschiedene Facetten dieser widersprüchlichen Figur beleuchtet. Lena Beckmann interpretiert die verschiedenen Rollen im Stück so meisterhaft, dass die Jury Zweifel an der Nachspielbarkeit des Stückes hegte. Und nicht zuletzt wurde Sivan Ben Yishai für ihre Kritik am weißen Feminismus anhand von Ibsens meistgespieltem Stück in Nora oder wie man das Herrenhaus kompostiert mit dem Dramatikpreis ausgezeichnet.

Die Frage der Nachspielbarkeit war auch bei Falk Richters autofiktionaler Familiengeschichte The Silence ein wichtiger Einwand, obwohl das Thema der stillen bzw. schweigenden Nachkriegsgeneration durchaus interessante und universelle Aspekte zu bieten hat.

Theatertage 3 © Daniela Motzkus

Theater übersetzen

In diesem Jahr fand die Werkstatt “Theater übersetzen” bereits zum 25. Mal im Rahmen der Mülheimer Theatertage statt, organisiert vom ITI Zentrum Deutschland in Zusammenarbeit mit den Mülheimer Theatertagen. Die Gruppe von zehn eingeladenen Übersetzer*innen aus verschiedenen Ländern (China, Japan, Russland, Slowenien, Polen, Frankreich, Spanien/Katalonien und Mexiko), hatte Wochen vor ihrer Ankunft schon an Textstellen aus zwei Stücken gearbeitet: forecast:ödipus von Köck und Bondi Beach von Rebekka Kricheldorf, welches es schließlich nicht in die Endauswahl geschafft hatte.

Unter der Leitung der Übersetzerin Barbara Christ und begleitet von Andrea Zagorski vom ITI Deutschland tauschten sich die Übersetzer*innen über unterschiedliche Probleme der Textübertragung und der Kontextualisierung der Stücke in den jeweiligen Ländern aus und erfuhren Hintergrundinformationen über das Festival, das Auswahlverfahren und die Beziehung zum Heidelberger Stückemarkt. Diese Gelegenheit stellte eine absolute Einzigartigkeit dar, welche die Teilnehmenden sehr zu schätzen wissen. Am Ende stellte sich jedoch die Frage, welche Stücke sich in welche Sprachen übersetzen ließen und auf welche Art und Weise. Die Antwort hinge nicht nur von der Verständlichkeit des geschriebenen Textes ab, sondern vielmehr von dem Kontext, in dem das Theaterstück aufgeführt werden soll.

Fazit

Die Mülheimer Theatertage stellen jedes Jahr ein bedeutendes Schaufenster für zeitgenössische Dramatik dar und laden Publikum und Fachleute zugleich ein, sich sowohl inhaltlich als auch formal mit den Stücken auseinanderzusetzen. Eine Vielzahl von Veranstaltungen trägt dazu bei, das Festival in einen lebendigen Resonanzraum zu verwandeln, in dem die Grenzen zwischen Bühne und Zuschauenden verschwimmen: Publikumsgespräche, eine offene Jury-Debatte zur Preisverleihung, das vom Theaterportal nachtkritik.de kuratierte Online-Festivalmagazin, die Werkstatt “Theater übersetzen” sowie weitere Kooperationen mit anderen Bildungseinrichtungen im Ruhrgebiet. Die rege Teilnahme an all diesen Angeboten zeigt, dass das Festival in Mülheim schon lange ein Begriff für Theatergänger*innen ist, die sich immer wieder von den mit Worten geschaffenen Welten der Autor*innen überraschen lassen. Auf ein glänzendes 50. Jubiläum im Jahr 2025 und viele weitere Jahre voller beeindruckender Theatererlebnisse!

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