Tragikomödie Nö - Mittwochskino

Nö Foto: FlareFilm_AlexSass

Mi, 22.05.2024

19:30 Uhr

Goethe-Institut Peru

Regie: Dietrich Brüggemann 2021, Farbe, 119 min,

Sieben Jahre einer Paarbeziehung, erzählt in 15 abgeschlossenen Kapiteln: Mal tragisch, mal komisch, von der sich einschleichenden Alltagsroutine bis zum Glücksmoment nach einer Geburt, von leidenschaftlichen Momenten der Zweisamkeit bis hin zu zermürbenden Trennungsgedanken. Seelenzustände von Großstädtern in ihren 30ern.

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In 15 Kapiteln und meist langen, statischen Einstellungen erzählt Regisseur Dietrich Brüggemann von der Schauspielerin Dina und ihrem Partner, dem Arzt Michael. Beide sind Anfang 30, die Paarbeziehung scheint intakt. Zumindest so lange, bis Michael anfängt, das alltägliche Glück zu hinterfragen. Denn eigentlich lebt man wunderbar in der großstädtischen Wohlstandsblase. Probleme gibt es mit Eltern oder Schwiegereltern, aber keine allzu gravierenden. Mit den eigenen Kindern verengt sich schließlich der Horizont, das System Familie zeigt dem Individuum Grenzen auf, der Alltag wird zur bedrohlichen Routine.
Über einen Zeitraum von sieben Jahren folgt der Film seinen Protagonisten, in heiteren wie in schweren Stunden, im kleinen Glück wie in der Krise, mit einem pointiertem wie lebensklugen Blick. Dabei öffnet sich der Film immer wieder dem Surrealen, das die Seelenzustände noch einmal in kongenialen Szenen reflektiert.

Frederik Lang (11.03.2022)

Kritiken, Empfehlungen, Presseschau:

"Auch wenn er das nicht geplant hat, Dietrich Brüggemann ist auf dem besten Weg, ein Porträt der Generation Mauerfall (West) zu schaffen. Nö ist bereits Teil drei. In seinem Neun Szenen (2006) heißen die beiden Magdalena und Rudi, und der eine ist in die andere verliebt. Beide haben gerade das Abitur geschafft und müssen nun hinaus ins feindliche Leben, das sich aber eher als eine Folge von fragilen Konstellationen zwischen Jugendlichen, Eltern, Großeltern und potenziellen Lebenspartnern herausstellt. Sechs Jahre später in 3 Zimmer/Küche/Bad gibt es bereits Dina und Michael. Sie sind Teil einer Clique, die sich in einer Berliner WG trifft, und Beziehungen gehen so schnell auseinander, wie sie zueinander kamen. Die Eltern haben ein paar schockierende Enthüllungen für ihre Kinder. Am Ende gibt es ein paar Paare, aber niemand würde darauf wetten, dass sie es bleiben. Dina (wieder: Anna Brüggemann) und Michael (wieder: Alexander Khuon) sind bis Nö zusammen geblieben. (…) Das klingt alltäglich. Ist alltäglich. Aber Dietrich Brüggemann macht daraus etwas ganz Besonderes. Die Amerikaner würden es romantic comedy labeln, aber im Grunde haben sie gar nicht, was Brüggemann über drei Filme entwickelt hat: die Romantische Tragikomödie. Vor allem schreckt Hollywood vor der formalen Strenge Brüggemanns zurück: Nö besteht aus 15 Szenen über die Zeit von acht Jahren, jede vor der Kamera durchgespielt ohne Schnitt. Die meisten sind auch noch Tableaus, bei denen sich die Kamera keinen Millimeter bewegt, höchstens die Personen im Bildausschnitt." (Hanns Georg Rodek, Die Welt, 30.9.2021)

"Man darf sich das aber nicht als quälende Szenen einer Ehe à la Bergman vorstellen, ganz im Gegenteil: immer wieder lässt Brüggemann das Unwirkliche in die Realität einbrechen. In einer der größten Szenen des Films erwacht ein Patient quasi unter dem Messer von Michael aus der Narkose, während die Zeit stillsteht, und erklärt dem jungen Mann mal, worauf es im Leben so ankomme. Der Patient wird übrigens gespielt von Rüdiger Vogler, und Hanns Zischler gibt Michaels Vater; die beiden spielten in Im Lauf der Zeit 1976 zusammen - ein schöner Besetzungscoup." (Rudolf Worschech, epd Film, 24.9.2021)

"Das versteht Brüggemann unter Kino: ‚Seelenzustände ausleuchten, die jenseits des Sichtbaren liegen, die aber nicht weniger real und ausschlaggebend für unseren Lebensweg sind.' (…)
Dieser Film ist in seiner Ästhetik, in seiner Denk-, Erzähl- und Spielweise ein mutiges und auch komisches Experiment, und er ist ein Dokument für das schnelle, radikale und bisweilen den Argumenten und den Konventionen enteilende, auf Gegenpositionen beharrende Denken von Dietrich Brüggemann. So frei können und so furchtlos sollten Künstler denken, bitte auch außerhalb ihrer Nischen, Podien und Blasen. Zwar kommt es, wenn sie ihre geschützten Räume und Rahmen verlassen, zu Missverständnissen, Irritationen und Nebenwidersprüchen. Aber diese sollte eine Gesellschaft mündiger Bürger und sollten auch die Künstler nicht nur aushalten, sondern nutzen, um von den Metaebenen herabzusteigen und einander im Eigentlichen zu begegnen." (Ulrich Seidler, Berliner Zeitung, 29.9.2021)
 

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