Provenienzforschung
Das koloniale Erbe

Das für 2020 geplante Humboldt-Forum soll mit seinen außereuropäischen Exponaten ein Ort der Begegnung der Kulturen werden. Doch wie gehen deutsche und europäische Kulturinstitutionen mit kritischen Fragen nach der Restitution von Kolonialerbe um? Sollten sie Kulturgüter aus anderen Weltteilen überhaupt besitzen und ausstellen dürfen?
Von Christoph Schmälzle
Bald ist es soweit, dass das Berliner Humboldt-Forum seine Pforten öffnet: Bisher waren die außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin im etwas außerhalb gelegenen Stadtteil Dahlem untergebracht, fernab von den touristischen Hotspots der Hauptstadt. Ab 2020 sollen sie nun im wiederaufgebauten Stadtschloss zu sehen sein. Die Berliner Museumsinsel mit ihren reichen Beständen wird so zum universalen Schauplatz der Weltkulturen. Doch das Projekt ist höchst umstritten. Das liegt vor allem an einer neuen Sensibilität im Umgang mit den Relikten des Kolonialzeitalters: Welche Art der Präsentation wird diesen Objekten gerecht? Und wie kamen sie überhaupt in den Besitz einer europäischen Institution?
Die Frage, wie europäische Museen mit kolonialzeitlichen Exponaten aus anderen Kulturkreisen umgehen sollen, hat in den letzten Jahren zu heftigen Diskussionen geführt. In Deutschland entlädt sich die Debatte am Beispiel des Humboldt-Forums. Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy trat 2017 aus dem Expertenbeirat des Forums aus und erhob weitreichende Vorwürfe: Sie verglich das geplante Museum mit dem Reaktor von Tschernobyl; blutiges Unrecht werde unter einer bleiernen Decke begraben. Savoy zählt zu den Beratern des französischen Präsidenten, der in den kommenden Jahren umfassende Restitutionen in die Wege leiten will – also Kulturgüter an die Ursprungsländer zurückgeben möchte.
Die Provenienzforschung – ein Hilfsmittel mit Grenzen
Einen Teil der Antwort auf die Fragen vermag die Provenienzforschung zu geben. Dieser relativ neue Zweig der Kunstgeschichte rekonstruiert die Herkunftsgeschichte von Objekten. Mithilfe dieser Informationen, so hofft man, kann ermittelt werden, ob sie rechtmäßig oder illegal in den Besitz der Kulturinstitutionen gelangten. Der Deutsche Museumsbund hat 2018 einen Leitfaden zum Umgang mit Objekten aus der Kolonialzeit publiziert, dessen Autoren jedoch zugleich darauf hinweisen, dass für die Herausgabe strittiger Objekte meistens die Rechtsgrundlage fehle.
Als wissenschaftliche Disziplin kann die Provenienzforschung ohnehin nicht alle Erwartungen erfüllen, die an sie herangetragen werden. Die Prüfung der Quellen braucht Zeit und führt keineswegs immer zu eindeutigen Ergebnissen. Dazu kommt, dass bei weitem nicht alle Exponate in den Museen einen unmittelbar kolonialen Hintergrund haben. Einige der prominentesten Streitfälle beispielsweise betreffen legale Rechtsgeschäfte zu Friedenzeiten. Weder bei der Nofretete, einer ägyptischen Büste, die auf der Berliner Museumsinsel ausgestellt wird, noch bei den Elgin Marbles – Marmorskulpturen von der Athener Akropolis, die heute im British Museum in London zu sehen sind – ist daher Bewegung zu erwarten.
Teil einer gemeinsamen Vergangenheit
Die Ausgestaltung unseres Verhältnisses zu den ehemaligen Kolonialgebieten ist ein Problem, das sich nicht auf der Arbeitsebene eines Museums lösen lässt. Mit Ausnahme weniger klarer Fälle verlangt die Restitutionsdebatte eine politische Entscheidung zwischen konkurrierenden Interessen und Meinungen. Entsprechend unversöhnlich stehen sich die Akteure gegenüber. Horst Bredekamp, einer der Gründungsintendanten des Humboldt-Forums, klagt: „Nicht die Wertschätzung der Exponate fremder Kulturen, sondern die hypostasierte Schuld, diese zu besitzen, steht gegenwärtig im Fokus.“ Bénédicte Savoy fordert Umverteilung: „Es geht nicht darum, ob Objekte legal oder illegal in der Kolonialzeit nach Europa gekommen sind, es geht um eine gerechtere, um eine faire Verteilung des Kulturerbes in den Regionen, aus denen die Objekte stammen.“