Möge der Herbst nie enden! Weinfeste in der Pfalz.
Parade Neustadt an der Weinstrasse | © Detlef Haag
Es stört hier niemanden, dass dunkle Wolken die Sonne verdecken und der Wind gelbrote Blätter über die gepflegten mittelalterlichen Gassen fegt. Nichts ist in der Lage, die fröhliche, erwartungsvolle Stimmung zu trüben, die über den weinbewachsenen Hügeln der Pfalz liegt. Es ist schließlich Freitag, und gleich beginnt das Fest! Zum wievielten Mal eigentlich schon?
Von Joanna Strzałko
Ernte Dank! Zum Wohl die Pfalz!
Die Parkplätze in Edenkoben sind eng gefüllt mit Autos, Campingwagen, Motorrädern und Fahrrädern. Die lokalen Winzer treffen die letzten Vorbereitungen. Jetzt muss nur noch der Federweiße in Kanister umgefüllt, der Zwiebelkuchen aus dem Ofen geholt und die Weinfässer der letzten Jahrgänge auf den Hof gerollt werden. Zur selben Zeit blasen auf dem städtischen Marktplatz die tätowierten Musiker des Orchesters „Paelzer 5“ mit allem, was die Lungen hergeben, in ihre Kornette, Tuben, Klarinetten und Tenorhörner. Für den nötigen Rhythmus sorgen ein Schlagzeuger sowie die Festbesucher, die mit den Händen auf die Tische schlagen, mitsummen und mit den Füßen stampfen, sich jedoch noch nicht auf die Tanzfläche wagen – noch nicht.Plötzlich gerät die Menge in Bewegung. „Sie kommen, sie kommen!“, erklingen aufgeregte Rufe. Das Orchester verstummt, und aus der mit Kopfsteinen gepflasterten Klosterstraße ertönt ein lautes Knirschen, Quietschen und Stöhnen. Nein, es ist nicht das Knarren der Holzblöcke, in die man hier einst die Füße der Ungläubigen einspannte. Es ist das Ächzen der mit Weinfässern beladenen Wagen, die von den lokalen Winzern mit ihren traditionellen blauen Kitteln, Hüten und Mützen gezogen werden. Begleitet werden sie von einigen jungen Frauen, die weiße, tief ausgeschnittene Blusen mit Puffärmeln, bunte Kleider mit bestickten Miedern und Kronen auf dem Kopf tragen. Es sind die Weinprinzessinnen der Stadt Ebenkoben und der Südlichen Weinstraße, die einmal im Jahr gewählt werden.
Die Männer rollen die Fässer auf den Marktplatz und stechen – unter lautem Jubel – das erste von ihnen an. Jetzt verstehe ich, warum die an einer Marktbude verkauften Getränkehalter zum Umhängen, die sogenannten „Dubbeglashalter“, sich so großer Beliebtheit erfreuen. Wann immer eine der Weinprinzessinnen den mit einem Hammer in das Fass geschlagenen Zapfhahn betätigt, halten ihr die Besucher ihre Gläser entgegen. So will es die Tradition hier: Zum Abschluss der Weinernte sollen die Menschen es sich gut gehen lassen, es gilt, zu trinken und zu feiern. Zum Wohl die Pfalz!
Das Orchester kommt wieder in Schwung, und die Festbesucher reihen sich, angelockt vom Duft der regionalen Spezialitäten, in die Schlangen vor den Imbisswagen und Ständen ein. Ein Stück Zwiebelkuchen mit Federweißem kostet 9 Euro, eine Portion Pfälzer Dampfnudeln mit Weinsoße 6 Euro, und für das Fleisch vom Grill bezahlt man zwischen 7 und 10 Euro. Als es dunkel wird, leuchten auf dem Marktplatz und den umliegenden Gassen bunte Lampions auf. Sie führen die Besucher, Glühwürmchen gleich, durch verschlungene Gassen entlang der Klostermauer zu einem großen Zelt, aus dem laute Musik schallt. Der DJ muss niemanden auffordern, die Tanzlustigen strömen von selbst auf das Parkett. Und so geht der Abend allmählich in eine laue Nacht und schließlich in einen kalten Herbstmorgen über.
Das größte Fass der Welt
Auf der Internetseite „Pfalz Weinfeste“* lese ich, dass es im September fast 20 Feste derartige Feste in der Region gibt. Im Oktober noch weitere, und auch der November hat noch einiges zu bieten! Eines dieser Feste, der Dürkheimer Wurstmarkt, der bereits seit 1417 im Kurort Bad Dürkheim stattfindet, gilt als das älteste Weinfest der Welt. Neun Tage lang werden in den 36 „Schubkärchlern“, historischen, mit Stoffplanen überdachten Weinständen, deren Name sich von den einstigen Schubkarren der Marktbeschicker ableitet, jeweils bis zu 120 Besucher mit über 300 lokalen Weinsorten bewirtet. Das Fest zieht jedes Jahr rund 700.000 Besucher an, die über 300.000 Liter Wein trinken. Damit ist der Dürkheimer Wurstmarkt offiziell das größte Weinfest der Welt! Ebenso einzigartig ist das Dürkheimer Riesenfass mit einer Länge von 15 Metern, einem Durchmesser von 13,5 Metern und einem Fassungsvermögen von 1,7 Millionen Liter. Auf einer Grundfläche von 300 Quadratmetern ruht es unweit des Bad Dürkheimer Gradierwerks, in der Nähe der Brühlwiesen, wo seit 1577 auch der Dürkheimer Wurstmarkt abgehalten wird. Das Fass wurde 1934 von dem Bad Dürkheimer Küfermeister Fritz Keller gebaut. Zu diesem Zweck wurden im Nordschwarzwald nahezu 200 Tannen gefällt, von denen jede an die 40 Meter hoch war. Das Dürkheimer Riesenfass war allerdings nie mit Wein gefüllt. Es beherbergt stattdessen eine Gaststätte, die auf zwei Ebenen, dem Erdgeschoss und der Empore, knapp 430 Gästen Platz bietet.Die deutsche Toskana
All diese Attraktionen befinden sich entlang der Deutschen Weinstraße***, im Südosten von Rheinland-Pfalz. Die 85 Kilometer lange Route verbindet 130 Weinorte, in denen mehrere Hundert unterschiedliche Rebsorten angebaut werden. Die 6550 Weinbaubetriebe der Pfalz produzieren jedes Jahr rund 6 Millionen Hektoliter Wein. Die Deutsche Weinstraße beginnt im Norden bei Bockenheim und endet im Süden in Schweigen-Rechtenbach, kurz vor der französischen Grenze. Von dort verläuft sie weiter als Elsässer Weinstraße (Route des vins d'Alsace). In dem milden und trockenen, fast schon mediterranen Klima der Pfalz (mit angeblich 1800 Sonnenstunden pro Jahr), gedeihen nicht nur Weinreben, sondern auch Feigen, Kiwis und Bananen sowie Kiefern, Zypressen, Palmen und Kastanienbäume.Es gibt nur eine Weinkönigin!
Das Klima allein reicht jedoch noch nicht für eine gute Ernte – auch die höheren Mächte gilt es zu beschwören! Schon seit Jahrhunderten schmücken die Landwirte und Winzer der Region zum Abschluss der Erntezeit ihre Traktoren, beladen ihre Anhänger, holen ihre Festtagskleidung aus dem Schrank und fahren nach Neustadt an der Weinstraße – zum Winzerfestumzug.In diesem Jahr fällt der Umzug auf einen Sonntag, den 13. Oktober. Seit dem frühen Morgen sind die Neustädter Straßen für den Verkehr gesperrt, um Platz für die 200.000 Besucher sowie die 150 Festwagen zu schaffen. Wie in jedem Jahr sind nicht nur Winzer aus ganz Deutschland und die Landwirte der Region vertreten, sondern auch die lokalen Musik-, Tanz- und Sportvereine sowie die Weinprinzessinnen der einzelnen Dörfer, Städte und Regionen.
Der Applaus und die Jubelrufe der entlang der Straße aufgereihten Umzugsbesucher nehmen kein Ende. Die Menschen rufen aus vollem Hals und strecken ihre Hände zaghaft nach den von den Wagen verteilten Gaben aus: Bonbons, Autogramme der Weinprinzessinnen und hin und wieder auch ein Schluck Wein. Die Winzer zeigen sich der Situation gewachsen und füllen den goldenen Rebensaft eifrig in die bereitgehaltenen Gläser.
Doch nichts und niemand löst eine so lebhafte, enthusiastische und ehrerbietige Reaktion der Menge aus, wie der Abschlusswagen mit dem Thron, auf dem die deutsche Weinkönigin Platz genommen hat!**** In diesem Jahr ist es die 25-jährige Charlotte Weihl aus der Pfalz. Im großen Finale, das erst wenige Tage vor dem Umzug stattfand, besiegte sie ihre Rivalinnen aus den anderen Bundesländern im großen Stil – durch ihren Charme, ihre Allgemeinbildung und ihr umfassendes Wissen über den Weinanbau und die Weinherstellung. Ein ganzes Jahr lang, bis zur Wahl der nächsten Weinkönigin, wird sie den deutschen Wein auf Festen, Messen und Festivals im In- und Ausland repräsentieren.
Es ist dunkel geworden, der Umzug ist vorbei, doch die Straßen sind noch immer mit begeisterten Menschen gefüllt, die einander zulächeln, ins Gespräch kommen und miteinander anstoßen. Das Winzerfest neigt sich dem Ende zu, doch die nächsten Ereignisse werfen bereits ihre Schatten voraus. Schließlich stehen bereits die Kastanientage und das Kürbisfest vor der Tür! Bald ist auch schon Halloween! Und dann dauert es auch nicht mehr lange, bis die Weihnachtsmärkte ihre Tore öffnen!