Ideenflüge

Wir sagen oft, dass „etwas in der Luft liegt“ oder dass gewisse Gedanken „emporsteigen“. Konzepte „bleiben in der Schwebe“, solange sie nicht realisiert sind – auch wenn sie möglicherweise das Potenzial haben, den Menschen „Auftrieb zu geben“ oder ihnen „Flügel zu verleihen“. Die Moderne hat eine ganze Reihe von Verbindungen zwischen „frei schwebenden“ Gedanken und „wie im Flug erhaschten“ Ideen aufgezeigt. Wie sehen die Instrumente aus, die es uns ermöglichen, unsere Gedanken frei zwischen uns schweben zu lassen?
Von Antoni Michnik
Was in der Luft schwebte, galt jedoch lange Zeit in erster Linie als etwas Flüchtiges, Unbeständiges und somit als etwas Instabiles, Trügerisches und Unseriöses. Ein visuelles Zeugnis dieser Vorstellung sind die Darstellungen von Seifenblasen in der Ikonografie der modernen europäischen Malerei. Im Topos des Homo Bulla verbanden sich Leichtigkeit und Luftigkeit mit der – überwiegend als Makel empfundenen – Vergänglichkeit der menschlichen Existenz sowie mit Naivität und mangelnder Erfahrung. In der Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts waren es somit überwiegend Kinder, die Seifenblasen in die Luft steigen ließen.
I’m not flying, I’m floating
Interessanterweise sind manche Historikerinnen und Historiker der Meinung dass das Motiv des Homo Bulla in der Malerei der Zeit der ersten Polnischen Republik eine andere Funktion hatte: Es beinhaltete ein gewisses ludisches Element und nahm als solches bereits den spielerischen Umgang mit aufblasbaren Objekten in der Epoche der Spätmoderne vorweg. Die ersten Vorführungen von Heißluftballons gerieten zu festlichen gesellschaftlichen Spektakeln, in denen sich Wissenschaft und Unterhaltung miteinander vermischten.

Aufblasbare Rutsche, Abridge Village Weekend, Essex, 2022 | © Foto: Acabashi, Quelle: wikimedia.commons
Der Aufstieg kühner Ideen
Erst seit der Erfindung der Gebrüder Montgolfier, die die Eroberung des Luftraums mit wissenschaftlichem Fortschritt und einer Kühnheit des Denkens verbanden, assoziieren wir den Zustand des Schwebens mit Mut und Unerschrockenheit.Das späte 18. Jahrhundert war eine Zeit, in der das Ballonfahren das Denken der Menschen eroberte und regelmäßig große Zuschauermengen anzog. Der Traum vom Fliegen versetzte ganz Europa in einen regelrechten Begeisterungstaumel. Die Zeitungen überschlugen sich mit Meldungen über die neuesten aeronautischen Experimente und beschrieben die heftigen Erregungen, die das Aufsteigen und Landen der ersten Luftfahrzeuge in den Menschen auslösten. Die Ballons waren oft reich verziert, ihre Aufstiege wurden mit Gedenkmedaillen geehrt, und die Pionierinnen und Pioniere der Luftfahrt gehörten zu den bekanntesten Gestalten ihrer Epoche.
Der Einfluss der Ballonfahrt auf die Kultur war weitreichend und dauerhaft. Der Blick von oben veränderte rasch die visuelle Kultur und bereicherte sie um Ausdrucksformen wie Rundgemälde und Dioramen, die die Erfahrung von Landschaft ein für alle Mal veränderten. Und die im Luftraum herrschende Stille wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem kulturellen Kontrapunkt gegen den zunehmenden Großstadtlärm. Das Ballonfahren entzündete schon bald auch die Vorstellungskraft der Schriftsteller und wurde zu einem wichtigen Impuls für die Entstehung der modernen fantastischen Literatur: Fast augenblicklich entstand zum Beispiel (auch in der polnischen Literatur) die Idee einer Ballonfahrt auf den Mond. Im 19. Jahrhundert wurde das Motiv des Ballonfahrens in der Literatur insbesondere von Jules Verne popularisiert und weiterentwickelt, der vor allem die kommunikationstechnischen und geografischen, aber auch die neokolonialen Veränderungen der damaligen Welt thematisierte. Im Laufe der Zeit machte das Motiv zahlreiche Wandlungen durch – an der Wende zum 20. Jahrhundert wurden Luftschiffe zum Beispiel zu einem beliebten Gegenstand von Spionageromanen.

Ein von Jacques Charles und den Gebrüdern Robert gebauter Versuchsballon ging 1783 bei Gonesse nieder und wurde anschließend von den Einwohnern als Teufelsgerät angegriffen, Flugblatt aus dem Jahre 1783 | © Quelle: wikimedia.commons
Schon bald dachte man intensiv darüber nach, wie man Heißluftballons auch auf anderen Gebieten einsetzen könnte: Die ersten militärischen Aufklärungsballons schwebten bereits während der Französischen Revolutionskriege, in der Schlacht von Fleurus im Jahr 1794, am Himmel, und auch die Wissenschaft machte sich die Erfindung der Gebrüder Montgolfier rasch zu eigen. Als Folge kam es zu einer Neuinterpretation der oben erwähnten ikonografischen Motive: Man erinnerte daran, dass bereits Galileo Galilei mit Luft gefüllte Schweineblasen für seine wissenschaftlichen Experimente verwendet hatte, und auch das Spiel mit Seifenblasen wurde schon bald in den Kontext der wissenschaftlichen Erforschung der Wirklichkeit gerückt. Die Heldentaten der Ballonpionierinnen und -pioniere wurden zum Ausdruck des Innovationsgeistes jener Zeit.
Das Ballonfahren wurde auch zu einem Instrument der Verbreitung von Ideen – durch das Abwerfen von Flugblättern (eine führende Rolle auf dem Gebiet der aerostatischen Selbstreklame spielte der Ballonfahrer Jean-Pierre Blanchard) und die Verbreitung von Propaganda. In gewissen Situationen wurden Ballons auch im wörtlichen Sinne zu Informationsträgern: Besondere Berühmtheit erlangten die Postballons die 1870 während des Deutsch-Französischen Krieges Briefe aus dem belagerten Paris transportierten.
2018 organisierte die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst in Berlin eine Ausstellung mit dem Titel Floating Utopias, die unterschiedlichen Formen der aufblasbaren Kunst (Inflatable Art) gewidmet war. Im Mittelpunkt der Ausstellung befanden sich vor allem die künstlerischen Experimente der Neo-Avantgarde – insbesondere solche mit einem utopischem Anstrich – und ihre zeitgenössischen Neuinterpretationen. Die präsentierten Arbeiten und Projekte befanden sich im Dialog mit dem technologischen Optimismus der Nachkriegszeit, der Eroberung des Weltraums und der Entwicklung leichter, moderner Werkstoffe. Ein besonderer Platz wurde der Bubbletecture, eingeräumt, die mithilfe von aufblasbaren Objekten mobile, oft durchsichtige Wohnräume erschafft. Leichtigkeit und Futurismus verbinden sich in ihren Entwürfen mit einer gewissen Verspieltheit, die nicht zuletzt in den seit den 50er-Jahren bekannten, aufblasbaren Hüpfburgen ihren Ausdruck findet. Einerseits zeigt die Bubbletecture Wege zur Durchbrechung des traditionellen Architekturbegriffs auf, andererseits entwickelt sie eine eigentümliche Anthropologie einer persönlichen Bubble, die Schutz und Komfort in einer Welt voller potenzieller Gefahren gewährt. Nicht ohne Grund gerieten die Entwürfe der Bubbletecture während der Covid-19-Pandemie erneut ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

Der erste unbemannte Heißluftballon der Gebrüder Montgolfier stieg am 19. September 1783 in Versailles in die Lüfte | © Quelle: wikimedia.commons
Aufblasbare Objekte und janusköpfige Materialien
Die ersten Heißluftballons bestanden aus unterschiedlichen Materialien: von diversen Tüchern bis hin zu Tierinnereien. Für die Konstruktion seines Gasballons, der sogenannten Charlière, verwendete Jacques Charles Seidenlaken, die miteinander vernäht und anschließend mit in Terpentin gelöstem Kautschuk beschichtet wurden. Naturkautschuk wurde schon bald zum wichtigsten Material für die Entwicklung von Ballons und anderer aufblasbarer Objekte. 1824 stellte der Physiker Michael Faraday im Rahmen seiner Experimente mit Wasserstoff die ersten Gummiballons her, indem er zwei runde Scheiben Naturkautschuk aufeinanderlegte und an den Rändern zusammendrückte. Die Massenfertigung aufblasbarer Objekte wurde jedoch erst durch den Prozess der Vulkanisierung möglich, der Ende der 30er-Jahre von Charles Goodyear entwickelt wurde.
Die 4. Ausgabe des Ballonsportwettbewerbs Gordon-Bennett-Cup, Schweiz, 1909, aus dem Fotoarchiv Fortepan.hu | © Quelle: wikimedia.commons
Diese Entwicklung hatte weitreichende wirtschaftliche Konsequenzen und führte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Kautschukboom in der Amazonas-Region und zum sogenannten Kongogräuel – brutalen Auswüchsen kolonialer und postkolonialer Expansion. Naturkautschuk wurde zu einem flüssigen Gold, das massenweise auf Plantagen angebaut wurde und exorbitante Gewinne versprach, aber auch zur Ausbeutung und Versklavung der indigenen Bevölkerung und zur Zerstörung ihrer Kultur führte. Der Pioniergeist der frühen Ballonfahrer und die Synthese von Wissenschaft und Unterhaltung gerieten in die Mühlen einer Massenproduktion, die in die Staaten und Kolonien des globalen Südens „outgesourct“ wurde.
Spekulationsblasen, Informationsblasen, aufgeblasene Erwartungen und aufgeblähte Probleme: Mit solchen und ähnlichen Begriffen bezeichnen wir Phänomene, die fragil erscheinen, zu zerplatzen drohen, oder eine trügerische Isolation versprechen. In einer Zeit der allgemeinen Krise und einer halb fatalistischen Erwartung der weiteren Folgen des Klimawandels, wird das, was eigentlich frei schweben sollte, werden Gedanken und Träume auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt – wie bei dem zum Symbol gewordenen Absturz des Luftschiffes Hindenburg. Wetterballons, die schon seit über hundert Jahren auch von diversen Geheimdiensten verwendet werden, wecken heutzutage eher die Angst vor Spionage (oder rufen geradezu „ufologische“ Emotionen hervor) als eine Begeisterung für die Errungenschaften der Wissenschaft. Und auch die Materialien selbst, aus denen Ballons hergestellt werden, gelten heutzutage ökologisch als fragwürdig: Die Gewinnung von Naturkautschuk verbindet sich mit einem ungezügelten Extraktivismus, und die Produktion von Synthesekautschuk, Plastik und anderen Kunststoffen mit der zunehmenden Verschmutzung unseres Planeten. All dies führt dazu, dass wir heutzutage kritisch auf Veranstaltungen wie das Balloonfest 86 in Cleveland – ein Event, um das sich geradezu katastrophenhafte Mythen ranken. Damals ließ eine Wohltätigkeitsorganisation im Rahmen eines Weltrekordversuchs 1,5 Millionen Ballons gleichzeitig in die Luft steigen und verursachte damit (der ausgelassenen Atmosphäre des Events zum Trotz) eine Reihe von Umweltproblemen.

Die polnische Luftfahrtzeitschrift „Lot i Obrona Przeciwlotniczo-Gazowa“ veranstaltete 1935 anlässlich des Gordon-Bennett-Cups einen Wettbewerb für Kinder, die Luftballons mit Grußkarten in die Luft steigen ließen. Einer der Gewinner des Wettbewerbs holt seinen Preis ab. | © Quelle: wikimedia.commons
Der Beginn der Ballon-Ära fiel in die Epoche des Kohleabbaus und einer radikalen, industriellen Beschleunigung des Anthropozäns (ich persönlich stimme jenen zu, die die Anfänge des Anthropozäns bereits in der neolithischen Revolution sehen). Gleichzeitig mit den Ballons stieg immer mehr Schmutz in die Luft auf. Die Atmosphäre und Stratosphäre wurden zunehmend annektiert, militarisiert und der Logik von Herrschaft und Gewinn unterworfen. Heutzutage rufen Ballons in ihren unterschiedlichen Ausformungen eine Reihe widersprüchlicher Emotionen hervor, schon deshalb, weil sie so eng mit den unterschiedlichsten – sowohl positiven als auch negativen – Aspekten und Erscheinungen unserer Moderne verbunden sind.
Die allgemeine Verbreitung von Luftballons führte dazu, dass sie zu einem wichtigen Instrument einer bedeutenden Strömung der Avantgarde-Musik der 60er- und 70er-Jahre wurden. Für die (Anti-)Künstler des Kollektivs Fluxus (mit George Maciunas an der Spitze) waren Ballons potenzielle, im Meer des Alltäglichen verborgene Instrumente einer neuen Musik. Die im Geiste konzeptuellen Partituren zum Thema Alltagsgegenstände (darunter auch Ballons) sollten einen neue konkrete Musik nach dem Vorbild der konkreten Poesie und der konkreten bildenden Kunst der Zwischenkriegsjahre begründen. Musiker wie Anthony Braxton wiederum nutzten Ballons als eine preiswerte Alternative zu den zu jener Zeit teuren elektronischen Instrumenten. Mithilfe von Luftballons, die man quietschen, rauschen oder knistern ließ, war es möglich, Avantgarde-Klänge für jeden Geldbeutel zu produzieren. Daneben entstanden Projekte, bei denen Ballons dazu genutzt wurden, Musikerinnen und Musiker oder auch Lautsprecher in den Himmel steigen zu lassen. Die bedeutende amerikanische Avantgarde-Violoncellistin Charlotte Moorman führte über mehrere Jahre hinweg das von Jim McWilliams speziell für die Musikerin komponierte Stück Sky Kiss auf, bei dem sie von heliumgefüllten Wetterballons herabhing. Die Generalprobe des Stücks 1968 in Philadelphia geriet noch zu einem Misserfolg, da die Musikerin trotz der Ballons nur geringfügig vom Boden abhob. Bei späteren Aufführungen arbeitete Moorman mit Otto Piene, einem Wegbereiter der „Sky Art“, zusammen.

Das Labor für Glücksforschung, Naturnachbarschaft in Bialystok. Das „Cyklarium Słoboda“ auf dem Campus der Technischen Universität in Bialystok, ein Projekt in Zusammenarbeit mit der Galeria Arsenał | © Foto: Maja Kunicka, 2024
Ideen in der Luft, Ideen in Bewegung, Gestalt gewordene Ideen
Die Metaphorik frei schwebender Ideen gewann in der Epoche der Moderne eine solch diskursive Energie, dass sie schließlich sogar in den Fokus der Philosophie geriet. Francis Herbert Bradley, einer der bedeutendsten Vertreter des britischen Idealismus fragte sich zum Beispiel zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seinem Essay On Floating Ideas and the Imaginary, wie diese Phrase genau zu verstehen sei. In Abkehr von seinen früheren Auffassungen schrieb Bradley, dass Ideen nicht so sehr in der Wirklichkeit schweben, sondern vielmehr in einer Welt der Vorstellung, im „Imaginären“, verankert sind.Obwohl Bradley, wie die meisten Vertreter des britischen Idealismus, inzwischen weitgehend vergessen ist, enthalten seine Ausführungen doch einige interessante Überlegungen. Einen besonderen Eindruck macht auf mich zum Beispiel der zweite Teil von Floating Ideas and the Imaginary, in dem er den spielerischen Charakter betont und damit ein zutiefst performatives Verständnis der Erfahrung von Wirklichkeit und auch des Ideenbegriffs nahelegt. Ich interpretiere dies als einen Hinweis, dass das „Schweben lassen“ von Ideen eine performative Handlung darstellt: Wir selbst füllen diese Ideen mit Inhalten und verankern sie tief in unserer Wirklichkeit.
Bradley schrieb seine Überlegungen in einer Zeit nieder, in der Gedanken, Kommunikate, Worte und Töne wortwörtlich durch die Luft schwirrten: in der Epoche des Rundfunks. Die Entwicklung der Radiotechnologie veränderte auf radikale Weise das Denken der Menschen über Raum und Entfernung, über Kommunikation und Navigation. Diese Veränderungen gingen auch mit neuen Verwendungsmöglichkeiten für Ballons einher. Zum Beispiel können wir seit der Entwicklung von Radiosenden in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts metaphorisch davon sprechen, dass Wetterballons es uns ermöglichen, in den Äther zu lauschen – die aufgezeichneten Daten wurden zunächst per Morsealphabet übermittelt und später direkt an die entsprechenden elektronischen Rechenanlagen gesendet.
Der weitreichende kulturelle Einfluss der Radiotechnologie machte auch vor der Architektur nicht halt. Buckminster Fuller, einer der legendären Architekten des 20. Jahrhunderts, gewann während seiner Zeit als Marinefunker im Ersten Weltkrieg, die Überzeugung von einem fundamentalen Wandel des modernen Raumbegriffs. In den darauffolgenden Jahren kam er zu dem Schluss, dass der Begriff der „Durchlässigkeit“ in der traditionellen Architektur angesichts der Entwicklung der Radiotechnologie einer radikalen Neuinterpretation bedürfe. Anfang der 60er-Jahre stellte Fuller sein Konzept Cloud Nine vor: Städte, die aus riesigen geodätischen Kugeln bestanden, die in der Luft schwebten wie Radiowellen, Ballons, Asteroiden oder Planeten. Die Menschheit sollte zu großen Teilen in den Luftraum übersiedeln, um auf diese Weise eine Rekultivierung der frei gewordenen Erdoberflächen zu ermöglichen.
Neben seiner Tätigkeit als Architekt engagierte sich Fuller für die Förderung des Wissensaustauschs und der Generierung von Ideen, des gemeinsamen Denkens und der Entwicklung unkonventioneller Projekte. Er besuchte zahlreiche Vorlesungen, Kongresse, Seminare, Brainstormings und Projektbesprechungen, um eine Gesprächskultur zu etablieren, die ich mit dem Begriff „Ideenflüge“ bezeichnen möchte: es geht um die Entwicklung von Instrumenten zur Förderung eines schwebenden Denkens. Ideenflüge geben Ideen Auftrieb, sie bieten ihnen den nötigen Raum, um sie „aufzupumpen“, mit Inhalten zu füllen. Sie entfachen ein Feuer, das es ihnen erlaubt, sich in die Stratosphäre der Gedanken zu erheben und zwischen Individuen und Umfeldern zu kreisen, bevor sie schließlich in konkreten Lösungen verankert werden.
Ideen sind in der Tat flüchtig und zerbrechlich – und dies betrifft auch die Ausstellung „Ideenlese“. Es sind Steigflüge des Denkens, die nicht nur in Konzepte gefasst, sondern anschließend auch in Form von Prototypen und Realisierungen fixiert werden müssen. Die Idee des „Komforts“ erscheint heutzutage besonders fragil: Das gesamte Projekt des Glückslabors beruht auf der Überzeugung, dass die naive Vorstellung, man könne den Begriff Komfort auch im 21. Jahrhundert noch als ein Set von allgemeinen, transparenten und naturalisierten Lebenserwartungen verstehen, eine Seifenblase darstellt, die nicht mehr aufrechtzuerhalten ist.
Ich denke an die symbolischen Formen der einzelnen Arbeiten der Ausstellung – daran, auf welche Weise sie an das Bedürfnis anknüpfen, Ideen zu materialisieren, sie zu Formen „aufzupumpen“ (auch „diskursiv aufzupumpen“) und anschließend in konkreten Umsetzungen zu „verankern“. Das gesamte Projekt war von Anfang an darauf ausgerichtet, Ideen auszutauschen und in Umlauf zu bringen, ein Feuer zu entfachen, dass es Gedanken erlaubt, in die Stratosphäre aufzusteigen, bevor sie schließlich in konkreten Lösungen verankert werden. Projekte wie dieses sind für mich „Ideenflüge“ – Instrumente zur Förderung des schwebenden Denkens. Dazu zählen für mich Seminare und Bibliotheken, Räume zum Austausch von Ideen und Wissen.
Die derzeit bedeutendste Ballonvirtuosin ist die Komponisten, Musikerin und Klangkünstlerin Judy Dunaway, die Ballons zu ihrem Hauptinstrument gemacht hat. Dunaway verweist in ihren theoretischen Texten auf die Verwendung von Ballons in der Neo-Avantgarde, betont jedoch gleichzeitig auch die körperliche Dimension ihres Spiels: Die Ballonmusik ist für sie eine Performance zur Dekonstruktion der traditionellen Ordnung der ernsten/ zeitgenössischen/ experimentellen Musik, eine körperliche Umsetzung progressiver Ideen. Ihre Musik ist sinnlich und intim und lädt zu einer spielerischen Fetischisierung unterschiedlicher Elemente des musikalischen Lebens (Konzerte, Werke, Instrumente, Interpretinnen und Interpreten) ein. Gleichzeitig beruht sie auf einer vibrationalen Ontologie (oder auch Vibrontologie) des Klangs – man kann die Klänge unmittelbar spüren, wenn man den vibrierenden Ballonkörper berührt. Dieser Ansatz beruht auf der Post-John-Cage-Maxime, dass Musik überall ist und dass sie ihrem Wesen nach Idee ist.
Kehren wir zum Schluss noch einmal zu dem oben aufgeführten Zitat von Charlotte Moorman zurück. Der Verweis auf den Unterschied zwischen dem Schweben und dem Fliegen verweist auf die Beziehung zwischen der Atmosphäre und dem Wasser – eine zentrale Metaphorik für die Eroberung des Luftraums und schließlich des Kosmos. Wir reden auch heute noch von Raumschiffen, während uns die Luftfahrzeuge des 19. Jahrhunderts als Luftschiffe erschienen, die durch den Äther schwebten. Moorman betonte mithilfe ihres ironischen Vergleichs die Absurdität der Forderung nach einer Pilotenlizenz für ihre Performance – doch welche Bedeutung hat dies für unsere Überlegungen zum Thema Ideen?
Schon Francis Herbert Bradley ahnte, dass Ideen nicht so sehr „fliegen“, sondern vielmehr „schweben“, „in der Luft hängen“. Auch ich denke, dass sie manchmal geradezu „vor sich hin treiben“ und unerwartete Formen annehmen. Das „Sich-Treiben-Lassen“ oder „Umherschweifen“ (das Dérive) war schließlich eine der Strategien der Situationistischen Internationalen zur Wiederaneignung des öffentlichen Raums und zur punktuellen Transformation des Alltags. Es bezeichnet ein besondere Art der Fortbewegung, insbesondere in städtischen Räumen, bei der man ausgetretene Pfade verlässt, ohne Rücksicht auf Bedürfnisse und gesellschaftliche Regeln. Der Dériveur weicht bewusst vom täglichen Weg zur Schule oder zur Arbeit ab, sucht „dunkle Ecken“ auf, bisweilen durchquert er sogar abgesperrte Bereiche oder absolviert Proto-Parkours. Ein ähnliches „Schweifen lassen“ von Gedanken erscheint angesichts der aktuellen Herausforderungen unabdingbar. Eben diesem Zweck dienen die hier beschriebenen, gemeinsam geschaffenen Ideenflüge.

Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele 1968 in Mexiko, aus dem Fotoarchiv Fortepan.hu | © Quelle: wikimedia.commons
ANTONI MICHNIK
Doktor der Geisteswissenschaften (am Institut für Kunst der Polnischen Akademie der Wissenschaften), Kulturhistoriker, Forscher im Bereich Sound Studies, Performance-Künstler und Kurator. Mitbegründer der Forschungs- und Performancegruppe ETC. Seit 2013 Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Glissando“. Seine Texte erschienen unter anderem in den Zeitschriften „Dialog“, „Dwutygodnik“, „Konteksty“, „Kwartalnik Filmowy“, „Ruch Muzyczny“ und „Zeszyty Literackie“. Mitherausgeber der Publikationen „Fluxus w trzech aktach. Narracje – estetyki – geografie Grupy ETC“ (Wydawnictwo Krytyki Politycznej, 2014) und „Poza Rejestrem. Rozmowy o muzyce i prawie autorskim“ (Fundacja Nowoczesna Polska, 2015). Seit 2020 ist er Mitglied des Kuratorenteams des Festivals für improvisierte Musik Ad Libitum. Außerdem arbeitete er als Kurator mit der Kunsthalle Trafo in Stettin, der Plattform Curie City und dem Festival NeoArte zusammen. Gemeinsam mit der Gruppe ETC trat er auf zahlreichen Festivals und Retrospektiven zeitgenössischer Kunst und Musik auf, wo er neo-avantgardistische Kompositionen interpretierte und eigene Performances präsentierte.