Interview mit Renata Prokurat, unserer Beauftragten für Kulturprogramme
Meine 33 Jahre mit Goethe
Renata Prokurat blickt kurz vor Ihrer Pensionierung auf ihre 33-jähriger Tätigkeit am Goethe-Institut Warschau und auf ihre vielfältigen Erfahrungen in der Kulturarbeit im deutsch-polnischen Kontext zurück. Das Goethe-Institut Warschau dankt Renata Prokurat für ihre hervorragende Leistung und ihr außerordentliches Engagement und wünscht ihr für den neuen Lebensabschnitt alles Gute und den Leser*innen spannende Einblicke in die Arbeit des Instituts.
Von Carolina Zawada. Das Interview mit Renata Prokurat wurde im März 2024 geführt.
Liebe Renata, Du arbeitest seit Bestehen des Goethe-Instituts in Warschau und hast in 33 Jahren Arbeit am Institut vieles erlebt. Wie würdest Du diese Zeit beschreiben?
Ich habe meine Arbeit am Warschauer Goethe-Institut am 1. September 1991 aufgenommen, nur wenige Monate nachdem Dr. Stephan Nobbe, der erste Leiter des Instituts nach Warschau gekommen war. Für mich persönlich war dies nicht der erste Kontakt mit einer deutschen Institution, da ich zuvor bereits zwei Jahre im ARD-Studio in Warschau und fünf Jahre in der Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gearbeitet hatte. Es waren sehr turbulente politische Zeiten in Polen, Zeiten der Arbeiterstreiks, der kommunistischen Unterdrückung und des Aufstiegs der Solidarność. Über diese Themen hatten wir in der ARD und in der FAZ berichtet.
Der Arbeitsbeginn am Goethe-Institut war für mich ein Einstieg in ganz neue Themen, in die vielfältige Welt der deutschen Kultur und Kunst. Obwohl in Polen noch wichtige politische und wirtschaftliche Transformationsprozesse stattfanden, wurde mir klar, dass Kultur ein Medium ist, um die Welt um uns herum besser zu verstehen. Und das ist bis heute so geblieben. Jeder Kontakt mit Künstler*innen, Schriftsteller*innen, Musiker*innen, Filmemacher*innen, Philosoph*innen, Journalist*innen und Wissenschaftler*innen aus Deutschland und mit ihren Werken war und ist für mich bis heute eine unglaublich attraktive Möglichkeit, die Komplexität der modernen Welt zu verstehen und meinen Horizont zu erweitern. Sicherlich hat mir die Arbeit am Goethe-Institut auch einen tieferen Einblick in die Gestaltung der historisch belasteten deutsch-polnischen Beziehungen gegeben. Kurzum, es war eine faszinierende Zeit, und das Goethe-Institut ist in meiner DNA verankert.
Am Institut erlebt man Dich als eine tatkräftige Person, die mit Ihrem Engagement viele tolle Projekte auf die Beine stellt. Welche Projekte liegen Dir besonders am Herzen?
Während meiner Zeit am Goethe-Institut habe ich viele Projekte in den Bereichen Film, zeitgenössischer Tanz und darstellende Kunst sowie zahlreiche Ausstellungen, Konferenzen und groß angelegte Werbekampagnen realisiert.
Darunter waren von der Europäischen Union geförderte Projekte, regionale und internationale Projekte. Jedes von ihnen war auf seine Art einzigartig. Ein unvergessliches und sehr emotionales Ereignis war für mich die Debatte über die Zukunft der deutsch-polnischen Beziehungen anlässlich des 80. Geburtstags von Günter Grass. An der Debatte nahmen neben dem Jubilar selbst auch Lech Wałęsa, der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Stefan Meller, der damalige Leiter des Außenministeriums, teil. Während meiner Arbeit am Goethe-Institut lernte ich auch eine für mich neue Kunstform kennen: den zeitgenössischen Tanz, der mich mit seiner einzigartigen künstlerischen Ausdrucksform verzauberte.Mit großer Freude habe ich Aufführungen von Pina Bausch Tanztheater Wuppertal, Sascha Waltz & Guests, Susanne Linke, Helena Waldmann und vielen anderen realisiert. Dies waren in vielen Fällen auch die ersten begeisterten Begegnungen des Warschauer Publikums mit dieser Kunstform.
© Goethe-Institut Warschau
Schließlich möchte ich noch „Das Kabinett“ erwähnen, eine multimediale mobile Kunst- und Filminstallation in drei Schiffscontainern mit dem ersten in Polen produzierten volumetrischen Film. Das Projekt wurde anlässlich des 100. Jahrestages des Films „Das Cabinet des Dr. Caligari“ ins Leben gerufen. Der volumetrische Film wurde mit polnischen Schauspielern im legendären Filmstudio Babelsberg gedreht.
Seit Jahren bist Du Mitorganisatorin der Deutschen Filmwoche in Polen – ein sehr erfolgreiches Projekt. Welche Filme sind bei Dir hängen geblieben und welche siehst Du als besonders relevant für die deutsch-polnische Zusammenarbeit?
Seit Beginn meiner Arbeit am Goethe-Institut war der Film eines der wichtigsten Themen für mich. Keine andere deutsche Institution in Polen verfügt über ein so großes Filmarchiv, das Vorführungen außerhalb Deutschlands ermöglicht. Ich habe damit begonnen, Retrospektiven deutscher Filmklassiker zu organisieren, gefüllt mit Kultfilmen und Filmen, die zum Kanon gehören. Die Vorführung von Fritz Lang „Metropolis“ mit Live-Musik in der 2 800 Zuschauer fassenden Kongresshalle des Warschauer Kulturpalasts war ein unvergessliches Ereignis, ebenso wie die Vorführung von Wim Wenders’ „Pina 3D“ in der Warschauer Oper. Ich mache keinen Hehl daraus, dass der Film meine Leidenschaft ist, und die Arbeit in diesem Bereich ist für mich eine Auszeichnung und Befriedigung. Die Deutsche Filmwoche ist das Vorzeigeprojekt des Goethe-Instituts, das sich auf die Vorführung aktueller Spiel- und Dokumentarfilme konzentriert. Gerade haben wir die 30. Ausgabe abgeschlossen, die in zehn Städten Polens stattfand und einen Besucherrekord erzielte. Das liegt sicherlich auch daran, dass zwei Filme auf dem Programm standen, die bei der Oscarverleihung 2024 in der Kategorie bester internationaler Film nominiert waren: „Das Lehrerzimmer“ von İlker Çatak und „Perfect Days“ von Wim Wenders.
Der zeitgenössische deutsche Film ist für die Arbeit des Goethe-Instituts in den Gastländern seit jeher von großer Bedeutung, denn er ist ein Medium, das sich durch politische und gesellschaftliche Authentizität auszeichnet. Die Filme, die wir im Rahmen der Deutschen Filmwoche zeigen, vermitteln in ausgezeichneter Weise ein aktuelles, glaubwürdiges und reales Bild von Deutschland und der deutschen Gesellschaft. Sie tun dies mit Sicherheit besser als die konservativen oder rechtsgerichteten Medien in Polen. Das zeitgenössische deutsche Kino ist das Produkt vieler unterschiedlicher Sichtweisen, denn die kulturellen Hintergründe seiner Macher*innen sind vielfältig. Es besteht daher kein Zweifel daran, dass die Deutsche Filmwoche dazu beiträgt, das Wissen darüber zu vertiefen, wie unsere westlichen Nachbarn mit ihrer schwierigen Geschichte und den Problemen der Gegenwart umgehen. Und dass sie zu einem besseren Verständnis zwischen Polen und Deutschen führt und die freundschaftlichen Beziehungen fördert.
Das Goethe-Institut Warschau hatte seinen ersten Sitz im Kulturpalast, einem Wahrzeichen des Warschauer Stadtbildes. Der aktuelle Standort ist ebenfalls im Herzen der Stadt, in der Chmielna-Straße – was kannst Du uns über diese beiden Standorte erzählen?
Im September 1990, etwa ein Jahr nach dem Fall der Berliner Mauer, kam es nach einem Versöhnungsgottesdienst in Kreisau, an dem der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl und der polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki teilnahmen, wenige Tage vor der deutschen Wiedervereinigung, zu einem historischen Moment: der Gründung des Goethe-Instituts in Warschau. Interessanterweise gab es bereits in den 1980er-Jahren Gespräche zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über ein entsprechendes Institut. Diese sahen die Einrichtung eines bundesdeutschen Kultur- und Informationszentrums in Polen vor, analog zum Kultur- und Informationszentrum der DDR. Doch dann kam es zum Zusammenbruch des kommunistischen Systems, und die DDR-Kulturzentren wurden geschlossen. Der Warschauer Sitz in der Świętokrzyska-Straße blieb jedoch, und eben hier nahm das Goethe-Institut seine Arbeit auf.
Die Situation war etwas heikel, denn die Belastung durch die Vormieter war deutlich zu spüren. Nach einem Jahr zog das Institut in den Palast der Kultur und Wissenschaft um, wo es im zehnten Stock eine beachtliche Fläche von 1 700 Quadratmetern belegte. Der Kulturpalast, das berühmte „Geschenk der russischen Nation an die polnische Nation“, war einerseits ein umstrittener Ort, um das Goethe-Institut zu beherbergen, andererseits wurde er zu einem Symbol der sich wandelnden Zeiten in Polen: Coca-Cola, eine Bank, ein Einkaufszentrum und das Queens Casino zogen damals hierher. Das Interesse am Institut war riesig, es herrschte große Begeisterung und Tatkraft. Im ersten Jahr organisierten wir 11 Ausstellungen, 12 Diskussionen, 7 Filmretrospektiven und zahlreiche Konzerte. Im folgenden Jahr begann das Institut mit der Organisation von Sprachkursen und eröffnete eine Bibliothek. Sehr schnell wurde die Adresse des Goethe-Instituts ein Teil der Warschauer Kulturlandschaft. Im Jahr 2004 zog das Goethe-Institut in neue Räumlichkeiten in der Chmielna-Straße um, die zwar kleiner und intimer, aber für Besucher*innen besser zugänglich waren. Ich denke, dass es uns nach nur einem Jahr gelungen war, das Interesse der Warschauer Einwohner*innen an unserem Angebot neu zu erwecken. Die attraktiven, multifunktionalen, freundlichen und modernen Räumlichkeiten im Erdgeschoss ermöglichten es uns, viele klassische und ungewöhnliche Kulturveranstaltungen zu organisieren.
Renata Prokurat, 2024
| © privates Archiv
Du hast auch die digitale Transformation des Goethe-Instituts miterlebt – eine große Veränderung. Heute steht das Goethe-Institut vor neuen Herausforderungen. Wie siehst Du die zukünftige Arbeit für Deine*n Nachfolger*in?
Die Werkzeuge, die wir für unsere Arbeit verwenden, spielen eine wichtige Rolle. IT-Programme und -Anwendungen sowie intelligente digitale Technologien erleichtern uns die Arbeit und die Kommunikation. Wir gewöhnen uns auch sehr schnell an diese technologischen Errungenschaften. Ich denke aber, dass die Arbeit am Goethe-Institut auf anderen Werten basiert: dem Dialog, dem Verständnis, der Sensibilität für die Kulturen und Probleme anderer Menschen und Nationen. Wir leben in turbulenten Zeiten: Konflikte werden mit Waffen ausgetragen, die Klimakrise verlangt nach Antworten, die sozialen Fragen sind angespannt, und die Migrationskrise ist im Gange. Wir müssen daher Projekte schaffen, die die Kraft haben, das Bewusstsein zu schärfen und die Menschen zu bewegen, sich intensiver damit zu beschäftigen, wie wir leben und wie wir alle besser leben können.
So sehr Du dich sicherlich auf den wohlverdienten Ruhestand freust – wird Dir die Arbeit nicht auch fehlen?
Eine schwierige Frage. Aber ich gehe davon aus, dass ich nach den vielen Herausforderungen, die ich in meiner Arbeit am Goethe-Institut zu bewältigen hatte, diese neue Phase wie ein neues Projekt behandeln werde, das gut geplant, so gut wie möglich durchgeführt und eventuell noch evaluiert werden muss.