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KI-Startups
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ IN POLEN

AI
© Colourbox

Ende 2024 veröffentlichte das Forschungszentrum StartupBlink eine Rangliste der attraktivsten Länder für KI-Start-ups*. Auf dem ersten Platz befinden sich mit großem Vorsprung die USA. Dahinter liegen Israel und Großbritannien. Unter den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist Estland führend, das weltweit auf dem sechsten Platz liegt. Direkt dahinter befindet sich Deutschland, das nach der Einschätzung von StartupBlink Länder wie China, Frankreich und die Schweiz überholt hat. Weitere EU-Länder, die im Ranking genannt werden, sind Rumänien, Finnland, die Schweiz, Dänemark und Irland. Polen ist in dieser Liste nicht vertreten, ebenso wenig wie in der Liste der 50 attraktivsten Städte für KI-Start-ups. Ohnehin tauchen nur acht EU-Städte in diesem Ranking auf, darunter Berlin, München, Bukarest und Tallinn.

Von Magda Roszkowska

Polnische Wissenschaftler*innen und Unternehmer*innen nennen mehrere Ursachen für die mangelnde Attraktivität Polens für KI-Start-ups. Piotr Sankowski – Leiter des Warschauer Forschungs- und Entwicklungszentrums IDEAS NCBR, Professor am Institut für Informatik der Universität Warschau und Mitbegründer von MIM Solutions – erklärte in einem Interview mit dem Forbes Magazin, der Hauptgrund für Polens mangelnde Präsenz auf dem KI-Markt sei die Abwanderung qualifizierter Fachkräfte ins Ausland. Polen besitze keine langfristige Strategie zur Förderung von Innovationen. Das Land formuliere keine Entwicklungsstrategien und biete zu wenig Investitionsanreize für vielversprechende KI-Projekte. Die an polnischen Hochschulen beschäftigten KI-Spezialisten und -Spezialistinnen würden zudem deutlich schlechter bezahlt als ihre Kollegen und Kolleginnen an ausländischen Hochschulen. Außerdem betonte Sankowski, dass die polnischen Hochschulen sich zu einem integralen Bestandteil des europäischen Hochschulnetzwerks entwickeln sollten.

Jarosław Królewski – der Gründer eines der vielversprechendsten KI-Start-ups in Polen – betonte hingegen in einem Interview mit dem Internetportal Bankier.pl**, wie wichtig die Zusammenarbeit der polnischen Forschungszentren mit privaten Unternehmen sei. Nur auf diese Weise könnten wissenschaftliche Innovationen mit der Zeit in konkrete, praktische Lösungen umgewandelt werden. Außerdem behauptet Królewski, dass Polen nicht über die notwendige Rechenleistung (Grafikprozessoren) verfüge, um innovative Forschung auf dem Gebiet der KI zu leisten. Ein weiteres Problem sei die europäische Verordnung über künstliche Intelligenz (der AI Act), der seiner Ansicht nach die Entwicklung der Branche in der Region behindere.

Polnische Wissenschaftler*innen und Unternehmer*innen erklären einhellig, dass es Polen nicht an gut ausgebildeten Mathematiker*innen und Informatiker*innen mangele – man müsse ihnen lediglich Anreize bieten, in Polen zu bleiben oder nach Polen zurückzukehren.

Ein polnisches Einhorn

Unmittelbar nach ihrem Abitur nahmen Mateusz Staniszewski und Piotr Dąbkowski ein Studium in Großbritannien auf. 2022 gründeten sie das Start-up ElevenLabs, das sich auf die Entwicklung von Sprachsynthesesoftware mithilfe von Deep Learning spezialisiert. Ihre Produkte sollen nicht nur die entsprechenden Töne produzieren, sondern auch das Gefühl eines echten Gesprächs vermitteln. Die von ElevenLabs veröffentlichte Apps ermöglichen unter anderem die Entwicklung von sogenannten Sprachagenten, die eigenständig Gespräche mit Nutzer*innen führen können, sowie die Generierung von Stimmen für Computerspiele und Bildungssoftware. Eine der Apps ist in der Lage, Sprachausgaben anhand einer kurzen Beschreibung zu generieren. Die Nutzer*innen geben zum  Beispiel „ein 60-jähriger Waliser mit Raucherhusten“ in ein Textfeld ein und erhalten wenige Sekunden später einige entsprechende Sprachproben. Eine weitere App generiert auf die gleiche Weise unterschiedliche Geräusche. Anhand einer kurzen Textbeschreibung, wie z. B. „ein krähender Hahn mit einem bellenden Hund im Hintergrund“, erstellt die App automatisch die entsprechenden Geräusche. Außerdem bietet ElevenLabs Lösungen für die Konvertierung von E-Books, Zeitschriftenartikeln und PDF-Dateien in Audiodateien sowie die Generierung von Dubbings und Voice-Overs für Filme an. Derzeit unterstützt das Tool 32 Sprachen. Der Wert des Unternehmens, das mehrere Dutzend Mitarbeiter*innen beschäftigt, liegt bei über drei Milliarden Dollar. ElevenLabs ist das einzige polnische Start-up, das (mit einer Bewertung von 1.1 Milliarden US-Dollar) den Status eines Einhorns erreicht hat.

Bevor Mateusz Staniszewski sich ganz der Entwicklung von Sprachsynthesesoftware verschrieb, hatte er bereits ein anderes Start-up gegründet. Das Unternehmen entwickelte eine Visual-Cognition-Software für sehbehinderte Menschen. Die App sollte Bilder auf Internetseiten in Beschreibungen konvertieren und anschließend in Sprachausgaben umwandeln. Staniszewski gründete das Start-up gemeinsam mit Filip Kozera, der zu jener Zeit in Cambridge studierte. Schließlich gaben Staniszewski und Kozera die Arbeit an diesem Projekt jedoch auf, um sich auf den Abschluss ihres Studiums zu konzentrieren. Heute ist Filip Kozera einer der Mitbegründer und Leiter eines der interessantesten Projekte im Silicon Valley: des Start-ups Wordware. Das Unternehmen machte Mitte des vergangenen Jahres Schlagzeilen, als es eine Software veröffentlichte, die psychologische Profile von X-Nutzer*innen (ehemals Twitter) anhand der von ihnen erstellten Posts erstellte. Mit dieser humorvollen Marketingstrategie zogen sie zahlreiche Nutzer*innen auf ihre Plattform. Wenige Tage später präsentierte das Start-up seinen Fans das eigentliche Endprodukt: eine App, die in natürlicher Sprache formulierte Ideen in leistungsstarke KI-Anwendungen umwandelt. Auch der oben erwähnte Persönlichkeitstest wurde mithilfe künstlicher Intelligenz erzeugt. Mithilfe von Wordware kann praktisch jeder zum Programmierer werden und eigene Tools erstellen. Zum Beispiel Apps, die Posts für einen Blog generieren, eine Sammlung von Textdokumenten nach bestimmten Informationen durchsuchen oder eine Analyse von Konkurrenzunternehmen durchführen. Bereits nach wenigen Monaten konnte das Start-up 30 Millionen US-Dollar einsammeln.

Das Weltall ruft

Doch weder ElevenLabs noch Wordware befanden sich auf der Liste der 69 erfolgreichsten polnischen KI-Start-ups, die vom Internetportal SeedTable veröffentlicht wurde, denn ihre Unternehmenssitze befinden sich im Ausland.*** Diese Liste wird von dem Unternehmen Satim angeführt, das seit zwölf Jahren KI-Tools zur Erkennung von Objekten auf Satellitenfotos entwickelt. Das Start-up entstand aus einem Forschungsprojekt zweier Wissenschaftler der Berg- und Hüttenakademie Krakau. Es beschäftigt Datenanalysten sowie Spezialisten aus den Bereichen Fernerkundung und Nachrichtenwesen. Zu den strategischen Partnern des Start-ups zählt der polnisch-finnische Satellitenhersteller und -betreiber ICEYE, der die entsprechenden Satellitenfotos bereitstellt. Die von Satim entwickelte Technologie zur Erkennung und Klassifizierung von Objekten hat sowohl militärische als auch zivile Anwendungsmöglichkeiten. Dank ihr konnte ICEYE bereits Informationen über russische Truppenbewegungen an die Ukraine weitergeben und Flutwellen während der Hochwasserkatastrophe im September 2024 in Polen lokalisieren.

Ein Brandwarnsystem

Ein weiteres vielversprechendes polnisches Start-up, das sich ebenfalls der Bekämpfung von Naturkatastrophen verschrieben hat, ist das Unternehmen SmokeD, das 2020 in Warschau von einem Forstwirt und einem Mathematiker gegründet wurde. Die von SmokeD entwickelte Software ermöglicht es, Brände anhand der Analyse von Fotos, die von Drohnen und fest installierten Kameras geliefert werden, innerhalb von zehn Minuten nach ihrer Entstehung zu identifizieren. Jede der Kameras ist mit einem Computer ausgestattet. SmokeD verwendet Deep Learning-Algorithmen: Je mehr Aufnahmen die KI analysiert, desto genauer ist sie in der Lage, mögliche Gefahren zu erkennen. Auf ihrer Website informieren die Unternehmensgründer, dass SmokeD bereits eine Fläche von drei Millionen Hektar mithilfe von 190 intelligenten Kameras überwacht: in Polen, Frankreich, Indonesien und in den USA. Im Rahmen ihres neuesten Projekts stattet SmokeD die Region um das texanische Austin mit intelligenten Kameras aus. Diese erkennen frühzeitig Rauchentwicklungen in einem Umkreis von 15 Kilometern und verbinden sich automatisch mit einer Warn-App, die die aufgenommenen Fotos zusammen mit den exakten Positionsdaten anzeigt.

KI-Ärzte

In Polen werden KI-gestützte Technologien vor allem im Marketing und – was wesentlich interessanter ist – in der Medizinbranche eingesetzt. Die im vergangenen Jahr vom polnischen Unternehmen Infermedica entwickelte Software Symptomate wurde als erste App dieser Art vom polnischen Gesundheitsministerium zertifiziert. Nutzer*innen können mithilfe dieser Technologie kostenlos ihre Symptome überprüfen lassen und sich beraten lassen, ob sie einen Arzt aufsuchen sollten. Das 2012 gegründete Unternehmen verfolgte von Beginn an das Ziel, Methoden der künstlichen Intelligenz zur Unterstützung von Ärztinnen und Ärzten und medizinischen Mitarbeiter*innen beim Patientengespräch und bei der Erstdiagnose zu nutzen. Die Patientenplattform von Infermedica unterstützt 24 Sprachen und wurde bisher circa 17 Millionen Mal genutzt. Das Unternehmen beschäftigt 200 Mitarbeiter*innen – seine Dienste werden von Versicherungsgesellschaften, Krankenhäusern und auch der größten deutschen Krankenversicherung, der Techniker Krankenkasse, genutzt.

Ein weiteres KI-Start-up in der Medizinbranche ist das Unternehmen Labplus, das 2018 von einem Arzt und einem Informatiker in Breslau gegründet wurde. Nach fünfjähriger Forschung und Entwicklung einer KI-gestützten Technologie präsentierte das Unternehmen eine App zur Interpretation von Blutwerten. Nutzer*innen geben ihre Ergebnisse einfach in die App ein und füllen anschließend einen medizinischen Fragebogen aus. Die KI erstellt daraufhin anhand dieser Daten eine Diagnose. Labplus arbeitet bereits mit 40 Prozent der polnischen medizinischen Labore, in denen Blutanalysen durchgeführt werden, zusammen. Die App erstellte bereits über 100.000 Diagnosen – in 900 Fällen erkannte sie lebensgefährliche Erkrankungen.

Auch das in Posen ansässige Start-up StethoMe entwickelte eine innovative, KI-gestützte Technologie im Bereich Medizin. Mithilfe eines intelligenten elektronischen Stethoskops und einer zugehörigen App erkennt die Technologie abnorme Atemgeräusche wie Pfeifen, Brummen und Rasseln. Die App zeichnet diese Geräusche auf und sendet sie – zusammen mit einer Erstdiagnose – an einen behandelnden Arzt. Auch diese Technologie basiert auf Deep Learning: Um abnorme Atemgeräusche zu identifizieren, musste sich die künstliche Intelligenz zunächst mit einer ganzen Bibliothek von entsprechenden Geräuschen vertraut machen. Die Kosten des intelligenten Stethoskops belaufen sich inklusive einer Jahreslizenz für die zugehörige Software auf circa 240 Euro. Weitere polnische Start-ups verwenden ähnliche Lösungen zur Analyse von Magnetresonanz- und Computertomografie.

KI hilft beim Kinderwunsch

Das Warschauer Start-up MIM Fertility entwickelte zwei Apps, die die Effektivität der In-vitro-Fertilisation erhöhen sollen. Auch diese Technologie basiert auf Deep Learning: Die App EMBRYOAID analysiert Embryoskopie-Aufnahmen und beurteilt, welche der Embryonen die besten Chancen auf eine gesunde Entwicklung haben. Die Start-up-Betreiber behaupten, dass die von ihrer App erstellten Prognosen genauso zuverlässig sind wie die eines Embryologen oder einer Embryologin mit 30-jähriger Berufserfahrung. Eine weitere App mit dem Namen FOLLISCAN analysiert Ultraschall-Aufnahmen und unterstützt Gynäkolog*innen bei der Einschätzung der Eierstockreserve.

Ein KI-Ministerium

In dem bereits oben erwähnten Interview mit dem Forbes Magazin forderte Jarosław Królewski, der Leiter des Start-ups Synrise, die sofortige Einrichtung eines polnischen Ministeriums für Künstliche Intelligenz. Dieses solle eine langfristige Entwicklungsstrategie für diese Branche entwerfen und ihre Umsetzung koordinieren. In näherer Zukunft solle dieses Ministerium auch – gemeinsam mit dem polnischen Verteidigungsministerium – über Fragen der nationalen Sicherheit entscheiden.

 


 

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