Das Leben einer Dichterin zwischen Ost und West
Helga Novak
Helga Novak war Wolf Biermann zufolge eine der größten Lyriker*innen der DDR, obwohl das Regime ihr nicht erlaubte, ihre Gedichte im Land zu veröffentlichen – bereits 1966 wurde ihr die ostdeutsche Staatsbürgerschaft aberkannt und sie übersiedelte nach West-Berlin. In den 1980er Jahren wurden ihre autobiographischen Romane über ihre Kindheit im Berlin des Zweiten Weltkriegs und das Aufwachsen im jungen ostdeutschen Staat übersetzt.
An einem Dienstagabend im August 1985 wird auf TV 1 der letzte Teil der Sendung Författarinna idag ausgestrahlt. Auf dem Sendeplan ist ein großes Porträt der Autorin zu sehen, um die es in dieser Folge geht – die deutsch-isländische Helga M. Novak, die von Madeleine Gustafsson in ihrer Wohnung in Kreuzberg, West-Berlin, interviewt wird. Weitere Sendungen des Abends: Rapport, Sportnachrichten, Aktuelles, Begegnung in Tönen, Wahlbotschaft für Einwanderer auf Türkisch, Serbokroatisch und Arabisch und einige Wiederholungen. Mit anderen Worten: Wenn man sich an diesem Sommerabend für einen Abend vor dem Fernseher entschieden hat, hat man mit großer Wahrscheinlichkeit die Sendung über Helga Novak gesehen. Am nächsten Tag ist sie das selbstverständliche Gesprächsthema in den Spalten Gesehen im Fernsehen der Tageszeitungen.
Helga Novak besuchte Stockholm am 9. November 1981.
| © Goethe-Institut
Novak raucht während des Interviews ununterbrochen. Im Gespräch mit Intellektuellen und politisch aktiven West-Berliner*innen über die politische Situation in der DDR und der Bundesrepublik ist sie von der Notwendigkeit eines wiedervereinigten und neutralen Deutschlands überzeugt – eine Idee, die damals für viele noch eine wilde Fantasie war. Sie erzählt von ihrem Heimweh nach Berlin-Köpenick, dem Ostberliner Stadtteil, in dem sie aufgewachsen ist und den sie von ihrer neuen Wohnung in Kreuzberg aus nur aus der Ferne sehen kann. Sie hatte die DDR nicht nur einmal, sondern zweimal verlassen. Zunächst zog sie 1961 nach Island, entschied sich aber 1964 für die Rückkehr und nahm eine Stelle in einer Fabrik außerhalb Berlins an. 1966 wurde ihr die DDR-Staatsbürgerschaft aberkannt, nachdem sie ein Visum für Island beantragt hatte, und sie war gezwungen, das Land für immer zu verlassen. Zehn Jahre zuvor war Wolf Biermann aus der DDR ausgewiesen worden.
Drei Bücher von Novak sind ins Schwedische übersetzt worden. Geselliges Beisammensein wurde 1970 in der Reihe Bonniers Panache veröffentlicht. Der erste Teil ihrer autobiographischen Romanserie wurde 1981 veröffentlicht (Die Eisheiligen, auf Schwedisch unter dem Titel Järnnätterna), der zweite Teil mit dem schwedischen Titel Fågel vinglös (Vogel federlos) folgte 1984 – beide in der Übersetzung von Lars W. Freij. In den Romanen beschreibt sie das Aufwachsen in Köpenick während des Krieges, den Einmarsch der Roten Armee in Berlin, den ständigen Hunger, Plünderungen und Massenvergewaltigungen. Novak beschreibt auch, wie sie als überzeugte Kommunistin gegen den Willen ihrer Adoptiveltern in die DDR-Jugendorganisation FDJ eintritt. Schließlich schildert sie die verlorene Illusion des ostdeutschen Sozialismus und den Bruch mit der DDR.
Aus dem Programmheft des Goethe-Instituts für November 1981
| © Goethe-Institut
Nach dem Erscheinen von Järnnnätterna schreibt der Kritiker Johan Günther vom Svenska Dagbladet, dass “man in Helga Novak moderne westliche Prosa in ihrer besten Form findet”. Madeleine Gustafsson schreibt in Dagens Nyheter, sie habe selten eine so klare Darstellung der Kindheit gelesen wie die von Novak. Die Nachkriegszeit in der Ostzone werde in einer Weise geschildert, wie es Schriftsteller*innen, die noch in der DDR lebten und arbeiteten, nicht vermochten – zum Beispiel Christa Wolf, meint Gustafsson.
In Deutschland ist Novak heute vor allem für ihre Lyrik bekannt. Wolf Biermann zum Beispiel nannte sie „die größte Dichterin der DDR”.