Im Schatten von Böll und Grass
Siegfried Lenz
Siegfried Lenz war einer der großen westdeutschen Schriftsteller, der mit seinem Roman „Deutschstunde“ viele Leser*innen erreichte. Auch in Schweden war Lenz in den 1970er und 1980er Jahren ein hochgeschätzter Autor. Nicht weniger als zwölf Titel von Lenz sind ins Schwedische übersetzt worden, mehrere davon mit Hilfe der Übersetzungsförderung des Goethe-Instituts. Lenz ist damit der Autor (zusammen mit Friederike Mayröcker), dessen Bücher die meisten Übersetzungsförderungen erhalten hat.
Während der ersten 20 Jahre der Tätigkeit des Goethe-Instituts in Schweden wurde Siegfried Lenz oft zu verschiedenen Autorenabenden in Stockholm und Göteborg eingeladen, öfter als jeder andere deutsche Autor. So besuchte er Schweden beispielsweise 1964, 1970 und 1982 - oft im Zusammenhang mit der Veröffentlichung einer neuen Übersetzung. "Der westdeutsche Schriftsteller Siegfried Lenz ist derzeit zu Besuch in Stockholm", heißt es am 22. September 1970 auf der Titelseite des Svenska Dagbladet im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Deutschstunde. Wenn er gerade nicht in Schweden weilt, lädt das Goethe-Institut Literaturwissenschaftler ein, um Vorträge über sein Werk zu halten.
War Siegfried Lenz ein idealer Schriftsteller für das Goethe-Institut in einer politisch aufgeladenen Nachkriegszeit? Er war auf jeden Fall ein Schriftsteller, der sich in seinen Büchern mit der deutschen Vergangenheit auseinandersetzt, ohne die dunkelsten Seiten zu erkunden. Ein Schriftsteller, der sich politisch engagiert, ohne umstritten zu sein wie Heinrich Böll.
Wie dem auch sei, Siegfried Lenz war in dieser Zeit in Schweden sehr präsent - nicht nur physisch, sondern auch medial. Hörspiele wurden im Radio gespielt, Theater führten sein Stück Die Unschuldigen auf und er wurde mehrfach im Fernsehen und in der Tagespresse interviewt. Verfilmungen seiner Werke werden zur besten Sendezeit ausgestrahlt und in den Zeitungen ausgiebig besprochen. Vor allem aber sind es seine Bücher, die hier eine große Wirkung entfalten. Deutschstunde wurde von der Kritik gelobt und zu einer Art Bestseller, ebenso wie Das Vorbild (1975) und der dicke Roman Heimatmuseum (1982).
Sogar die Wahl des schwedischen Titels durch den Verlag ist in den Zeitungen umstritten. Nils Schwartz von Expressen ist der Meinung, dass der Roman Heimatmuseum auf Schwedisch Förhistorien heißen sollte, weil er sich zu viele Freiheiten herausnimmt, und macht sarkastische Vorschläge, wie man Werken der Weltliteratur andere Titel geben könnte. Der Verleger Norstedts, Thomas von Vegesack, verteidigt sich damit, dass er den Autor wegen des schwedischen Titels persönlich konsultiert habe - der deutsche Begriff Heimat und das schwedische hembygd hätten sehr unterschiedliche Konnotationen, ist das stärkste Argument.
Die darauffolgenden Jahrzehnte ist Lenz in Schweden dann nicht mehr so relevant. Der Verlag Norstedts stellte die Übersetzung seiner letzten Bücher ein und unternahm keinen Versuch, neue Ausgaben seiner älteren Werke zu drucken. Der Journalist Per Landin beklagt in Svenska Dagbladet, dass eine Reihe deutscher Autoren - darunter Siegfried Lenz, Botho Strauss und Guntram Vesper -, "die früher von ihren Verlegern treu betreut wurden", heute als Belastung für die großen Verlage angesehen werden. Die Möglichkeit, ausländische Autor*innen über einen längeren Zeitraum zu begleiten, sei immer schwieriger geworden, so Landin.
Wenn jedoch die großen Verlage beschließen, die Übersetzung eines bestimmten Autors einzustellen, eröffnet sich die Möglichkeit für kleinere Verlage, die Veröffentlichung zu übernehmen. Dies geschah beispielsweise, als der Verlag Tranan 2004 mit der Veröffentlichung von Thomas Bernhard begann - nachdem Norstedts und der zu Bonnier gehörende Verlag Alba ihn nicht mehr verlegten. Dies geschah auch bei Siegfried Lenz im Jahr 2010, als Thorén & Lindskog die Kurzgeschichte En tyst minut (Schweigeminute, 2008, übersetzt von Jörn Lindskog) veröffentlichte. Die Kurzgeschichte, eines der letzten Werke von Lenz, wurde in Deutschland zu einem Bestseller und zu einer Art Comeback für den 82-jährigen Autor.
Auch in Schweden wurde sie wohlwollend aufgenommen. Der Literaturkritiker Martin Lagerholm schrieb im Svenska Dagbladet, dass "die Geschichte gute Aussichten hat, ein künftiger Klassiker unter den literarischen Liebesgeschichten zu werden". Im folgenden Jahr erschien die Kurzgeschichte in einer Taschenbuchausgabe und ein weiterer Titel von Lenz wurde von Thorén & Lindskog veröffentlicht - Vilken teater! (Landesbühne, übersetzt von Jörn Lindskog).
Die Veröffentlichung von Siegfried Lenz auf Schwedisch erstreckt sich von 1967 bis 2011. Entgegen den Befürchtungen von Per Landin war es somit möglich, die künstlerische Entwicklung dieses Autors über einen sehr langen Zeitraum zu verfolgen - von den frühen Schifferromanen (Das Feuerschiff 1967) über den Durchbruch mit Deutschstunde (1970) bis hin zur letzten Etappe seiner schriftstellerischen Karriere.