Transnationale europäische Medien sind essenziell für die Ausbildung einer europäischen Öffentlichkeit und Identität – gerade angesichts der angespannten politischen Lage. Welche Angebote gibt es schon und wie gut funktionieren sie?
Eine gewisse europäische Öffentlichkeit gibt es bereits: in den Netzwerken von Kultur, Kunst, Sport, Film, Pop Musik, Mode und natürlich Wirtschaft. Man denke nur an die Champions League, den Eurovision Song Contest, die Biennale Venedig, die Internationalen Filmfestspiel Berlin und natürlich die täglichen Wirtschafts- und Handelsverbindungen, europäischen Firmenzusammenschlüsse oder zivilgesellschaftlichen Netzwerke.
In einer ganz anderen Situation sind wir, wenn es um die Reflexion politischer Fragen geht. Hier fällt eine transnationale Berichterstattung offenbar um einiges schwerer. „Über politische Entscheidungen, die ganz Europa betreffen, wird innerhalb der nationalen Öffentlichkeiten nur sehr eingeschränkt berichtet und dies stets mit einer klar nationalen Perspektive“, so Anja Herzog vom Hans-Bredow-Institut in Hamburg im Online-Portal Eurotopics. „Entsprechend häufig sind Bürger unzureichend informiert über wichtige politische Entscheidungen, die auf EU-Ebene getroffen werden.“ Schon 2014 benannte der damalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz das Problem sehr klar: „Wenn im Europäischen Rat etwas passiert, dann gibt es danach 28 Pressekonferenzen. Wenn eine Einigung erzielt wurde, heißt es in 23 Sprachen der EU: Ich habe das für mein Land erreicht.“
Zu wenig Breitenwirkung
Dennoch: In Ansätzen gibt es eine transnationale Berichterstattung schon heute. Seit 1993 informiert
Euronews, ein TV-Sender mit dezidiert paneuropäischer Ausrichtung, in dreizehn Sprachen über die aktuelle Nachrichtenlage. Auch der Kultursender Arte richtet sich mit seinem Programm an ein gesamteuropäisches Publikum. Ein weiteres Beispiel ist das US-amerikanische Medienportal
Politico, das seit 2015 in einem Joint Venture mit dem deutschen Axel Springer Verlag eine eigene Europa-Ausgabe veröffentlicht. Weitere Online-Portale haben sich auf paneuropäische Berichterstattung spezialisiert, etwa das bereits 1999 gegründete
Euractiv. Beim schon erwähnten Projekt
Eurotopics handelt es sich um eine tägliche Presseschau, die Meinungsartikel aus 30 Ländern Europas auf Deutsch, Englisch und Französisch bereitstellt.
Das Problem ist nur: Im Vergleich zu den nationalen Medien, entfalten all diese Angebote noch keine nennenswerte Breitenwirkung. Dies wiederum habe ein fehlendes Bewusstsein für die Bedeutung Europas in der Mehrheit der Bevölkerung zur Folge, wie Anja Herzog vom Hans-Bredow-Institut konstatiert. Fehle ein breites Publikumsinteresse, hätten es nationale Medien wiederum schwerer, über EU-Themen zu berichten. „Es gibt dann manchmal auch eine Ignoranz gegenüber den politischen Vorgängen in Brüssel”, äußerte der langjährige ARD-Korrespondent in Brüssel, Rolf-Dieter Krause, im Deutschlandfunk.
Krise als Katalysator
Angesichts der Krisen, in denen sich Europa befindet, und die durch den aktuellen Trend zur Re-Nationalisierung vieler Mitgliedstaaten noch weiter verschärft werden, sind dies keine guten Nachrichten. Andererseits könnten wiederum gerade die Krisen eine Katalysatorwirkung entfalten: Sie haben dazu geführt, dass dieselben Themen zeitgleich in Europa diskutiert werden, dass sich öffentliche Meinungen bilden zu Fragen wie Sparpolitik, Steueroasen, Datensicherheit, Welthandel oder die Flüchtlingsfrage. Begünstigt wird dieser Trend durch zwei weitere Faktoren: der fundamentale Umbruch der Medienbranche sowie neue Sprachtechnologien.
Die Medienhäuser suchen und testen neue Geschäftsmodelle, um im digitalen Zeitalter mit journalistischen Inhalten Geld zu verdienen. Dabei ist auch die Erschließung neuer geografischer Märkte eine ernste wirtschaftliche Option. Eine Eigenschaft der Digitalisierung ist es, nationale Schranken zu ignorieren und damit eine ideale Basis für eine transnationale Öffentlichkeit zu schaffen.
Neue Möglichkeiten durch Digitalisierung
Dies wird potenziert durch soziale Medien, die schon jetzt als übernationale Plattformen funktionieren – auch wenn es in diesem Sektor dringenden Nachholbedarf für europäische Angebote gibt. Noch kommen die Treiber für diese Innovation, etwa Facebook Instant Article, Apple News und Google News Initiative, ausschließlich aus dem Silicon Valley. Europa wäre dringend in der Pflicht, eigene Medieninitiativen zu fördern und sich bei Fragen wie Medienfreiheit, Identität und Öffentlichkeit, aber auch Datensicherheit und Datenmonopole alle Optionen offen zu halten.
Bisher haben Versuche, europäische Medien zu etablieren, auch wegen der Sprachbarrieren nicht funktioniert. Doch in den nächsten Jahren könnten neue Sprachtechnologien eine sofortige Qualitätsübersetzung von Inhalten möglich machen. Wenn sich Sprachtechnologien so rasant weiterentwickeln wie sie derzeit von Amazon, Google und Facebook mit Hochdruck vorangetrieben werden, wird es bald möglich sein, die
Frankfurter Allgemeine Zeitung in Französisch oder
Le Monde in Rumänisch zu lesen. Und natürlich können sich dann auch neue europäische Medien etablieren, die sofort paneuropäisch konzipiert, kuratiert und online in der jeweiligen Sprache des Lesers vertrieben werden.
Die Krisen Europas, der Umbruch in der Medienlandschaft sowie die rasante Entwicklung von Sprachtechnologien können so europäische Medien hervorbringen, die aus einer europäischen Perspektive für ein europäisches Publikum berichten. Es gibt also Anlass für Optimismus.