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Berlinale-Blogger*innen 2021
„Zivilengagement ist kein Genre“

Modane Europa - aus dem Film von Enrico Masi Shelter - Farewell to Eden (2019)
Modane Europa - aus dem Film von Enrico Masi Shelter - Farewell to Eden (2019) | Foto (Detail): © Filmstill

Der aus Bologna stammende Regisseur Enrico Masi, Jahrgang 1983, ist Gründer und Mitglied von Caucaso Factory, einer Produktionsfirma für Undergroundfilme. Er wurde für die Berlinale Talents 2021 ausgewählt.

Von Lucia Conti

Enrico, wie ist dein Verhältnis zur Berlinale und zu Berlin?

Ich besuche die Berlinale seit 15 Jahren, und Berlin kenne ich noch länger. Ich erinnere mich an meine ersten Reisen zu Beginn des neuen Jahrtausends, als die Stadt und Europa noch den Geist der Prä-Internet-Ära atmeten, Berlin zutiefst vom Underground geprägt war.

Deine Arbeit ist zweifellos durch starkes zivilgesellschaftliches Engagement geprägt. Wie würdest du dieses Engagement definieren?

Zunächst einmal ist Engagement kein Genre, sondern eine Spannung, die sich durch die gesamte Kulturproduktion zieht. Es ist wesentlich für mich, das klarzustellen, weil in der kapitalistischen westlichen Kultur eine an die Genres geknüpfte Ideologie vorherrscht. Auch die italienischen Regisseure Francesco Rosi und Elio Petri, Meister des politischen Kinos, wurden in einen Topf geworfen, geschluckt von dieser Notwendigkeit, alles mit einem Label zu versehen. Ich glaube nicht, dass ich mich innerhalb eines Genres bewege, ich engagiere mich weiterhin für ein hybrides Kino, das die Unterscheidung zwischen Dokumentation und Fiktion zur Diskussion stellt.

Wie steht es deiner Ansicht nach um das Engagement im zeitgenössischen Kino?

Ich glaube, dass wir heute eine Rückkehr zum engagierten Kino erleben, eine Rückkehr, bei der noch alles im Fluss ist. Aber es gibt ermutigende Signale. Ich möchte hier die Filmschau „Fuori Norma“ erwähnen, die von Adriano Aprà kuratiert wird, aber wir können auch „Captain Fantastic“ mit dem großartigen Viggo Mortensen als Beispiel nehmen, einen Blockbuster, der sich darum bemüht, viele Forderungen von Umweltschützern aufzugreifen.

Und wie „engagiert“ ist die Berlinale?

Ash Ashaninka im Film von Enrico Masi Lepanto - Ultimo Cangaceiro (2016) Ash Ashaninka im Film von Enrico Masi Lepanto - Ultimo Cangaceiro (2016) | Foto (Detail): Filmstill Hinsichtlich des politischen Engagements ist sie weltweit das wichtigste aller großen Festivals. Ich vermag nicht zu sagen, welches Festival in Sachen Engagement an zweiter Stelle steht, vielleicht Rotterdam, in Italien wahrscheinlich Turin. Darüber hinaus aber legt die Berlinale, vor allem durch die Arbeit der Kuratoren in den Nebensektionen, insbesondere im Forum, immer sehr großes Augenmerk auf ein politisches Kino aus aller Welt.

An was arbeitest du gerade?

Nachdem ich mich zehn Jahre lang den Auswirkungen von Megaevents auf Metropolen gewidmet habe, arbeite ich jetzt an einem Film über ein Thema von ökologischer Dringlichkeit, die postatomare Energiewende. Der Film ist eine Zäsur in der Entwicklung unserer Ausdrucksformen, wir loten damit die Grenze einer Hybridisierung der Formate aus. Vom Mikrokosmos eines biografischen Ereignisses kann man zum Makrokosmos des wissenschaftlichen Denkens gelangen. Oder zur Krise des wissenschaftlichen Denkens.

Was bedeutet die Factory für dich?

Bewegung, Wirbel. Ich habe diese Idee der Factory seit meinem 16. Lebensjahr in die Tat umgesetzt. Ich war ständig auf Reisen, in Sankt Petersburg und im Kaukasus, in Kinematheken und an Stätten der Alternativkultur, in Rom, in Berlin, in Paris, wo ich meinen ersten Film gemacht habe, in Sarajevo, in Genua. Und die Factory nach Warhols Vorbild, in die wir viel Arbeit und Zeit gesteckt haben, hat mit dem Hauptquartier in den Giardini Margherita in Bologna konkrete Gestalt angenommen. Ich glaube ans Kino als kollektives Handeln und als Ausprobieren einer Sprache, die noch Möglichkeitscharakter hat, in Teilen unentdeckt ist.
Manifestazione nel bosco (2021, Kamera: Tomas Rigoni) Manifestazione nel bosco (2021, Kamera: Tomas Rigoni) | Foto: Zuschnitt aus einem Filmstill

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