Ein Gespräch mit Bénédicte Savoy
Die Restitution ist wie der Mauerfall
Die renommierte Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy ist Expertin für gewaltsame Aneignung von Kulturgütern durch Kriege und Kolonialismus, ein Forschungsgebiet, das in Europa alle betrifft. Dieser historische Moment ist eine Chance für Museen und ihre Besucher*innen.
Von Sarah Wollberg
„Die Besucher*innen sollten heute mit großen Augen ins Museum gehen“, lautet der wertvolle Ratschlag, den Bénédicte Savoy gibt. Bei jedem Besuch eines Museums mit afrikanischer Kunst, sollten wir uns fragen: „Was sind das für Objekte, wie sprechen sie uns an, was haben sie uns zu erzählen?“ Es ist nicht dasselbe, ob wir uns eine Figur aus dem 16. Jahrhundert, die durch präkolonialen Handel hierhergekommen ist, anschauen oder eine Figur aus dem 19. Jahrhundert, dem Höhepunkt der Kolonialzeit. In Forscherkreisen bezeichnet man diesen auch als den Nullten Weltkrieg, denn es war, so Savoy, eine Masse an Kriegen und bei jedem von ihnen wurden den afrikanischen Ländern gewaltsam Objekte geraubt und nach Europa gebracht. Das Publikum eines Museums sollte heute ein historisches Bewusstsein dafür entwickeln, was Europa ist und was afrikanische Länder durch die Extraktion von Kulturgütern verloren haben.
Humboldt Forum zwischen Transparenz und Entsetzen
Bénédicte Savoy stieg wegen Unstimmigkeiten aus dem Expertenbeirat des Humboldt Forums aus. Nun besuchte sie das neu eröffnete Museum in Berlins Mitte und war über die Transparenz der Informationen positiv überrascht. „Es ist eine Neuheit, wie explizit die Objekte zum Beispiel im Saal Kolonie Kamerun beschrieben werden!“, erklärt sie. „Man versteht, dass all das, was dort zu sehen ist, im Rahmen von großen blutigen Militärexpeditionen hierhergekommen ist.“ Also endlich Transparenz, aber nicht nur. Mit ihr geht eindeutig auch eine Art Schockzustand einher. Selbst die erfahrene Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy mit ihren langjährigen Recherchen zum gewaltsamem Kunstraub erzählt „mit großen Augen“: „Ich war entsetzt. Selbst mir war dieses Ausmaß im Vorfeld nicht klar. Ich hatte nicht erwartet, dass an jedem einzelnen Objekt, das da ausgestellt ist, Blut klebt.“ Die Klarheit der Gewalterfahrung wirkt so bedrückend, dass sie ganz alleine im Raum steht. Alles andere sowie die eigentliche Museumserfahrung an sich, gehen dabei verloren. Savoy fordert daher:„Es darf nicht nur bei diesen Feststellungen bleiben. Es muss jetzt ein weiterer Schritt getan werden!“
Der Mauerfall ist da
„Wenn einmal Restitution stattfinden wird, wird es wie der Berliner Mauerfall sein“, sagte der damalige Kulturminister der Republik Benin zu Bénédicte Savoy und ihrem Kollegen Felwine Sarr, während sie vor Ort den unabhängigen Leitfaden zur Restitution von kolonialem Raubgut für Frankreich entwarfen. Er zweifelte daran, dass es geschehen würde. Gleichzeitig war er sich im Klaren darüber, dass es eine riesengroße geopolitische Umstellung des Museumswesens und des Kulturerbes mit sich bringen würde. Die ersten Anfragen der afrikanischen Länder nach Restitution stammen aus den 60er Jahren. Jahrzehnte lang haben die europäischen Länder mit Widerstand reagiert und keinen einzigen Schritt in die Richtung getan. Schon 1972 verlangte Nigeria von Deutschland die Benin-Bronzen zurück. Damals wollten sie nur die Dauerleihgabe einiger weniger Stücke haben, aber selbst das wies Berlin damals durch die Verantwortlichen in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zurück. Deutschland und andere europäische Länder waren nicht bereit, die Diskussion zu führen.Doch nun ist es soweit. Im November 2021 hat die Republik Benin nach jahrelangen Verhandlungen als erster afrikanischer Staat südlich der Sahara wesentliche Teile seines Kulturerbes von einer ehemaligen Kolonialmacht zurückerhalten. Frankreich hat 26 sehr wertvolle Objekte an Benin zurückgegeben. Sie sind heute in der Großstadt Cotonou ausgestellt.
Deutschland spricht seit etwas mehr als einem Jahr intensiv mit Nigeria und wird einen Teil der seit 50 Jahren verlangten Benin-Bronzen zurückgeben.
Es hat mehr als ein halbes Jahrhundert gedauert, aber die Bresche in dieser Mauer ist nun da. Jetzt muss der Rest abgebaut werden. Jedes Land wird das nach seinem eigenen Zeitplan, mit den eigenen Tabus, den eigenen Schwierigkeiten, dem eigenen Budget tun, aber es wird geschehen. Es gibt kein Zurück mehr. „Ich bin sehr zuversichtlich. Es geht gar nicht mehr anders!“