Julia Franck, (geb. 1970 in Berlin-Lichtenberg) schreibt Lyrik und Prosa.
Julia Franck studierte Altamerikanistik, Germanistik und Philosophie. Für ihre Texte und acht Bücher erhielt Julia Franck zahlreiche Auszeichnungen, Preise und Stipendien. Für den Roman "Die Mittagsfrau" wurde sie 2007 mit dem deutschen Buchpreis (dbp) geehrt. Der Roman verkaufte sich eine Million Mal. Er wird u.a. in unterschiedlichen Bühnenbearbeitungen aufgeführt. Der Roman ›Lagerfeuer‹ wurde 2013 in der Regie von Christian Schwochow unter dem Titel "Westen" verfilmt.
Der Roman „Die Mittagsfrau“ spielt vor dem Hintergrund zweier Weltkriege. Zentrale Figur des Romans ist die Halbjüdin Helene, die viele Schicksalsschläge hinzunehmen hat und daran zerbricht. Auch die Liebe ihres Sohnes hilft ihr nicht; sie verlässt ihn schließlich.
Antje Korsmeier, TAZ, 29.09.2007
„Mit der Protagonistin dieses Romans Helene, hat die Literatur eine komplexe Frauenfigur hinzugewonnen. Dass Julia Franck das Abgründige im Weiblichen, die gesellschaftliche Außenseiterrolle der Frau an einer Mutterfigur verhandelt, findet die Rezensentin dabei besonders bemerkenswert.“
Jury des dbp 2007
„Das Buch „Die Mittagsfrau“ überzeugt durch sprachliche Eindringlichkeit, erzählerische Kraft und psychologische Intensität. Ein Roman für lange Gespräche".
Sprache gelangt dorthin, wohin kein Auge sehen kann und entfaltet insbesondere in ihrer literarischen Form Welten, die anders weder erfahrbar noch dem inneren Auge sichtbar werden könnten. So kann Sprache eine akustisch nicht hörbare Stimme erzeugen, eine verborgene Seele erkunden, aber auch im Außen nicht sichtbare Bilder vor dem inneren Auge entstehen lassen. Auf diese Weise lassen sich Lieder dichten und zeitlich komplexe Geschichten zugleich vom Vergangenen und Zukünftigen, von Erfahrung und Erwartung, ja Imagination erzählen, indem sie verborgenen Schmerz wie auch Verlangen im Sinne von Lust, Gier, Begehren diesseits des Menschen und jenseits des Materiellen erfahrbar macht, zur Kenntnis bringt.
Literatur reizt, sie stimuliert und provoziert, erregt Glück, Assoziation und Denken. Sie lässt ihre Liebhaber in der Reduktion und Verdichtung teilhaben am Unbekannten, das mit der vertrauten Erfahrungswelt des Lesers korrespondiert. Sie stiftet Erkenntnis, doch Erklärung und Einordnung, Deutung und Wertung des Erfahrenen überlässt sie dem Leser.
Im Unterschied zur Realitätsabbildung erzeugt Literatur Freiheit, da sie die Wahrnehmung und Erkenntnis von Schönheit und Wahrheit induziert. Wo sie sinnlich, moralisch und intellektuell keinem vorgegebenen Format und keiner Beschränkung unterliegt, kann sie leicht zwischen dem Historischen mit dem Chaotischen der Gegenwart oszillieren.
In der deutschen Literatur kennen wir Goethes Faust ebenso wie Kafkas Prozess, Grimms und Hauffs Märchen, eine Jahrhunderte währende Tradition von Gedichten und alte Volkslieder, doch ist die Referenzwelt der Literatur nicht allein sie selbst. Sprache wird von der Gegenwart bestimmt, sie unterliegt Veränderungen und wird nicht nur kulturell sondern auch politisch geprägt. Durch Krieg und Gewalt verliert sie ihre Leichtigkeit und Unschuld. Sprache ist ein Organismus, dessen Lebendigkeit und Beweglichkeit entlang repressiver Einflüsse vorübergehend erlahmen und nachhaltig seine Codes verändern kann. Sprache erfüllt nicht nur Nutzen, sie kann je nach Nutzung auch missbraucht, abgenutzt und ihrer Bedeutung entleert, verkehrt, verändert werden.
Wie und worüber konnten deutsche Schriftsteller nach dem zweiten Weltkrieg noch schreiben? Welche Geschichte wollten sie sich selbst und der Welt erzählen, und welche Lieder einander singen? Die Stimme des Deutschen aus dem Land der Dichter und Denker, „hatte einen Riss bekommen“, und dieser Riss war nicht ihr erster und nicht schuldlos entstanden, wie etwa die Welt von Büchners Lenz einen Riss bekommen hatte. Es verwundert also nicht, dass die deutsche Sprache und Literatur in den Jahrzehnten nach dem Krieg von einem veränderten Bewusstsein und neuer Umsicht, Rücksicht wie Vorsicht geprägt war, wenn nicht verstummt. Es ist vielleicht ein Glück für die deutsche Literatur, dass der höchste Ehrenpreis, der Büchner-Preis, in den Jahren des Nationalsozialismus von 1933 bis 1944 nicht vergeben wurde. Die deutschen waren zu Nationalisten und Mördern geworden und die Literatur jener Jahre hatte ihre Freiheit wie ihre Schönheit verloren.
Selbst wenn es eine Aufarbeitung geben sollte, kam sie nur mühsam voran. Joseph Roth und Stefan Zweig waren im Exil gestorben. Nach Anna Seghers und Paul Celan, um den es zuvor einen bitteren Streit gegeben hatte, erhielten die exilierten und herausragenden deutsch-jüdischen Schriftstellerinnen wie Mascha Kalecko, Else Lasker-Schüler und Rose Ausländer für Ihr Werk auch nach dem Krieg keine Ehre. Nicht einmal Ilse Aichinger wurde in Deutschland geehrt. Einzig Nelly Sachs wurde – wenn auch nicht in Deutschland – so von ihrem Zufluchtsort in Schweden mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Ihr Mut wie auch der Celans lag in der genauen Sprache, dem Benennen von Auschwitz, in der Klage, in der Trauer. Zugleich wurden die jüdischen Autoren für Jahrzehnte auf dieses Thema festgelegt und politisch-literarisch für die Aufarbeitung vereinnahmt.
Dieser kurze Ausflug zum politischen Einfluss auf Literatur und deren Vereinnahmung soll zeigen wie wenig Literatur vor der Gesellschaft und ihrer Politik geschützt werden kann. Sprache wird vereinnahmt (siehe auch die unrühmliche Geschichte deutscher Gedichte für Nationalhymnen), missbraucht für Gesetze und Befehle, die Mord veranlassen und ethisch rechtfertigen.
Die deutsche Sprache, mein Werkzeug der Kunst, wird sich weiter verändern, erholt sich und gewinnt Freiheit zurück, doch ist ihre Eichung und ihr Wesen wohl nie mehr ohne jene Narben denkbar.
Literatur ist Gedächtnis, keine starre Konserve, aber lebendiges Gedächtnis und schafft Gegenwart. Indem wir schreiben und lesen, erfahren wir Zeit in ihrer erstaunlichsten Eigenschaft, der Kontinuität.
Wenn Sprache sich allein in den Dienst des dokumentarisch Ermittelbaren stellt, verpasst sie ihre zeit- und raumüberwindenden Qualitäten. Das Dokumentarische und Journalistische ist in seiner zweifellos wichtigen Funktion am besten im Video aufgehoben, wo es mithilfe von Bildern und Worten Informationen zu Ereignissen in Echtzeit liefern kann.
Literatur wie Kunst ist das zutiefst subjektiv Menschliche, Wahrheit entspricht allein der subjektiven Erfahrung. Sie ist erkennbar und ermittelbar, sie ist Widerhall auf das Kontinuum von Wirklichkeit und Denken, Subjekt und Kunst.