Fatma Aydemir (*1986 in Karlsruhe) ist eine deutsch-türkische Journalistin und Schriftstellerin. Sie lebt in Berlin. Ihre Großeltern kamen als Gastarbeiter nach Deutschland, als ihre Eltern Teenager waren.
Sie studierte Germanistik und Amerikanistik in Frankfurt am Main. Seit 2012 lebt Aydemir in Berlin und arbeitet als Redakteurin bei der Tageszeitung taz, wo sie sich mit den Themen Popkultur, Literatur und der Türkei beschäftigt. Sie initiierte das zweisprachige Webportal taz.gazete als Reaktion auf die staatlichen Repressionen gegen die Pressefreiheit in der Türkei. Als Freie Autorin schreibt sie daneben für Spex und Missy Magazine.
Ihr 2017 erschienener Debütroman Ellbogen handelt von einer Gewalteskalation in einer U-Bahn-Station.
Die Kritik reagierte gespalten.
Rezensent Philipp Bovermann schätzt in der Süddeutschen Zeitung Aydemirs klare Sprache und empfindet das Buch als zwei Tritte in den Magen: „Einer für die misogyne türkische Gesellschaft. Und einer für die Verlogenheit der ach so liberalen Deutschen.“
Andrea Diener von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dagegen hätte sich differenziertere Beobachtungen der deutsch-türkischen Protagonistin Hazal gewünscht: „Die Autorin legt nicht besonders großen Wert darauf, dass uns diese Hazal im Laufe des Buches sympathisch wird, und so entgleitet sie dem Leser“.
Für Ellbogen erhielt Aydemir 2017 den mit 10.000 Euro dotierten Klaus-Michael-Kühne-Preis des Harbour-Front-Literaturfestivals für den besten Debütroman des Jahres sowie als deutsche Preisträgerin den Franz-Hessel-Preis für 2017.
Die Autorin Joan Didion schrieb mal in einem Essay: „Ich schreibe, um herauszufinden, was ich denke.“ Vielleicht kommt diese Definition meiner Motivation zum Schreiben am Nächsten. Zu dem Verb „denken“ würde ich allerdings noch das Verb „fühlen“ ergänzen. Ich kann mich erinnern, dass ich als Kind ein Tagebuch führte, indem ich über viele Dinge schrieb, von denen ich eigentlich nicht viel verstand – Erwachsene, Krieg, Liebe. Aber Texte darüber zu formulieren, half mir dabei meine Gefühle zu diesen Themen zu ordnen. Und daran hat sich bis heute nur wenig geändert.
Ich glaube, mittlerweile fällt es mir schwieriger die Dinge so direkt und unverblümt aufzuschreiben, wie ein Kind es tun würde. Denn natürlich schreibe ich nicht nur für mich, sondern auch für einen Leser. Immer wieder mache ich den Umweg über Sätze, von denen ich denke, dass andere sie gerne lesen wollen. Diese Sätze sind nur einen Augenblick lang schön, aber dann funktionieren sie nicht mehr, ich muss sie korrigieren, immer wieder, bis ich sie lösche und zum Kern der Sache komme: bis ich einen Satz so schreibe, wie ich selbst ihn gerne lesen würde. Weil er für mich eine Wahrheit beschreibt. Eine Wahrheit, die man in keinem Lexikon nachschlagen kann. Die man nur in der Literatur, in der Kunst, im Film, oder im Theater finden kann. Eine emotionale Wahrheit.
Ich versuche meine eigene Leserin zu sein. Ich suche die Geschichten, die mich interessieren, ich verwende eine Sprache, die mich fasziniert, ich versuche einen Roman zu schreiben, der in meinem Bücherregal fehlt. So habe ich es bei meinem ersten und einzigen bisher veröffentlichten Roman getan. Ich bin Tochter von türkischen Einwanderern in Deutschland und habe mich oft gefragt: Warum werden in der deutschen Literatur muslimische Migranten und vor allem ihre Töchter immer so einseitig dargestellt? Wieso sind die Figuren immer so langweilig und flach, dass ich mich überhaupt nicht mit ihnen identifizieren kann? Warum sind sie immer so passiv und nett? Niemand ist immer nur nett. So entstand die Geschichte um eine wütende 17-jährige Migrantentochter, die einen deutschen Mann vor die U-Bahn schubst und es nicht bereut.
Es geht beim Schreiben auch um Macht. Es gibt Dinge, gesellschaftliche und politische, mit denen ich absolut nicht zufrieden bin. Selbstverständlich spielen sie eine Rolle in meinen Texten, wenn nicht sogar eine sehr große. Dabei geht es nicht darum, nur mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern auch um ein wir: Woran scheitern wir als Gesellschaft? Ich nutze mein Schreiben, um den Finger in die Wunde zu legen. Diese Wunde ist meistens auch meine eigene. Unterdrückung, Ausbeutung, Gewalt – das sind schließlich keine abstrakten Themen, sondern für den Großteil der Menschen einfach Realität. Ungerechtigkeiten bestimmen unser Denken, bestimmen die Art, wie wir leben. So bestimmen sie auch mein Schreiben.