100 Jahre On Air Radio in Afrika

Moderatorin bei Radio Okapi, einem UN-Radiosender in der Demokratischen Republik Kongo, 2015.
Moderatorin bei Radio Okapi, einem UN-Radiosender in der Demokratischen Republik Kongo, 2015. | Foto (Detail): © picture alliance / photothek / Ute Grabowsky

Seit einem Jahrhundert ist Radio für Millionen von Menschen in ganz Afrika die wichtigste Quelle für Information, Bildung und Unterhaltung. Daran hat auch die Entwicklung des Smartphones nichts geändert.
 

Das Radio ist in Afrika das am besten verfügbare Massenmedium und seine Bedeutung enorm. Es ist faszinierend, welch langen Weg es seit den ersten Radiosendungen vor 100 Jahren durchlaufen hat, wie es überlebt hat und trotz aller technologischen Fortschritte bis heute relevant geblieben ist.

Früher gehörte es zum Alltag, dass Menschen in Städten und Dörfern die Trockenbatterien für ihre Transistorradios im Sonnenschein „aufluden“. Heute müssen sie ständig ihre Telefone laden, weil sie mit ihnen inzwischen am einfachsten Radio hören können.

Der Rundfunk spielte von Anfang an eine besondere Rolle in den afrikanischen Gesellschaften, in deren Tradition das gesprochene Wort wichtiger ist als die Schrift. 2022 gaben in einer Umfrage des Media Council of Kenya 80 Prozent der Befragten an, sich über das Radio zu informieren. 40 Prozent derer, die Radio hören, gaben an, dies zwischen 6 Uhr und 10 Uhr morgens zu tun, also während der Frühstückssendungen und auf dem Weg zur Arbeit.

In einer Umfrage gaben 80 Prozent der Befragten an, sich über das Radio zu informieren.

Das Internet macht das Radio noch zugänglicher

Durch den Übergang von der Kurz- und Mittelwelle zu UKW in den letzten drei Jahrzehnten können afrikanische Sender nun bessere und zuverlässigere Übertragungen anbieten. Rauschen und hoher Stromverbrauch sind inzwischen Probleme der Vergangenheit. Da afrikanische Sender immer mehr Frequenzen beantragen, hat die Internationale Fernmeldeunion (ITU) den Ländern des Kontinents 2022 neue UKW-Rundfunkfrequenzen zugewiesen.

Obwohl weite Teile Afrikas immer noch kein Internet haben, werden Datenverbindungen und Smartphones immer günstiger. Die meisten Radiosender in Afrika haben in eine Website und in mobile Anwendungen investiert. So kann ihr Publikum über Smartphone, Tablet, und andere Geräte Streaming-Dienste nutzen.

Mehr als 80 Prozent der Menschen in Afrika besitzen ein Mobiltelefon und haben Zugang zu einem Mobilfunknetz. Dadurch wuchs das Radiopublikum enorm und Radiosender können nun mit ihren Hörer*innen über SMS- und Messaging-Anwendungen interagieren: WhatsApp und Telegram sind inzwischen die Plattformen der Wahl für Text- und Sprachnotizen.

Radioschaffende können zudem in Echtzeit Ton- und Bilddateien aus weit entfernten Gebieten übertragen, Geschichten in sozialen Medien aktualisieren und sie per Smartphone auf ihrer Sender-Website veröffentlichen. Hörer*innen können die Nachrichtenmeldungen ihres Lieblingssenders auf dem Smartphone abonnieren und bleiben so stets über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden. 

Wie Radiosender indigene Kulturen unterstützen

Eine der großen Stärken des afrikanischen Radios sind Sender, die Programme in lokalen Sprachen anbieten und die sehr beliebt sind. Es gibt sie sowohl auf dem Land als auch in der Stadt. Diese Sender tragen stark zum Erhalt der indigenen Kulturen bei – insbesondere, da sie die dazugehörigen Sprachen mit erhalten und eine Plattform anbieten, auf der die kulturelle Identität ihrer Zielgruppe etwa durch Kunst und Musik zum Ausdruck kommt. Bei Themen wie Gesundheitsversorgung, Umweltschutz, sozialem Wandel und bürgerschaftlichem Engagement beteiligen sie konsequent ihr Publikum – ein wirksamer Ansatz, der viel Lob erhält.
 

Eine der großen Stärken des afrikanischen Radios sind Sender, die Programme in lokalen Sprachen anbieten.

Nirgendwo gibt es mehr Sender dieser Art als in Südafrika: Mehr als 200 „Community Radio Stations“ produzieren Programme in verschiedenen Sprachen. Vielfach profitieren davon benachteiligte gesellschaftliche Gruppen. Das südafrikanische Rundfunkgesetz von 1999 schreibt vor, dass die Programme dieser Radiosender die kulturellen, religiösen, sprachlichen und geografisch bedingten Bedürfnisse der Menschen vor Ort widerspiegeln sollen. Darüber hinaus müssen sie in ihren Programmen spezifisch auf lokale Probleme und Themen eingehen, die andere in der Region verfügbaren Medien nicht aufgreifen.

Allerdings haben einige lokalsprachliche Radiosender auch eine umstrittene Rolle in einigen der blutigsten Konflikte Afrikas gespielt. Ein bekanntes Beispiel ist der Sender „Radio-Television Libre Des Mille Collines“ in Ruanda, der der Anstiftung zum Völkermord in den Jahren 1993 und 1994 für schuldig befunden wurde. 2011 wurde der kenianische Radiomoderator Joshua Arap Sang beschuldigt, in seinem Programm in Lokalsprache nach den Wahlen 2007 zur Gewalt aufgerufen zu haben. Es kam zu fünf Anklagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC). Diese wurden 2016 fallen gelassen, doch die Episode machte deutlich, welche Rolle Radiosender in Konfliktsituationen in Kenia spielen können. Behörden und Menschenrechtsgruppen reagierten, indem sie das Programm von Lokalradios fortan stärker überwachten.

Andererseits leisteten Sender wie Radio Okapi in der Demokratischen Republik Kongo, Radio Miraya im Südsudan sowie die UN-unterstützten Radiosender in Mali einen großen Beitrag zum Wiederaufbau nach den dortigen Konflikten.

Radio während der Covid-19-Pandemie

Als in Afrika die Schulen schlossen und Millionen Kinder daheim bleiben mussten, erwies sich Radio als effizientes und kostengünstiges Bildungsmedium. Südlich der Sahara konnten während der Coronapandemie enorm viele Kinder nicht am Unterricht teilnehmen. Hier verhinderte das Bildungsradio eine Katastrophe. Pädagogische Radioprogramme, die in Kenia seit 1967 existieren, erlangten während des Lockdowns eine ganz neue Bedeutung, weil die Kinder mit ihnen weiterlernen konnten.

Im Südsudan starteten UNICEF und Bildungsministerium ein landesweites Radio-Bildungsprogramm namens Education on Air (EoA). In Sierra Leone existierte bereits seit der Ebola-Krise 2014-2016 das Radio Teaching Programme. Als die Schulen 2020 wegen Covid-19 schließen mussten, profitierten die Schulkinder wieder davon.

Radio erwies sich auch als effektive Möglichkeit, der Verbreitung von Fehlinformationen im Zusammenhang mit Covid-19 entgegenzuwirken. 39 Prozent von in Afrika befragten Personen gaben an, das Radio sei ihre bevorzugte Informationsquelle zur Pandemie. Radiosender starteten Gesundheitskampagnen zu Covid-19, gaben regelmäßig die neuen Informationen der Gesundheitsbehörden weiter und beantworteten Publikumsfragen in Expert*innen-Interviews.
 

Radio erwies sich als effektive Möglichkeit, Fehlinformationen im Zusammenhang mit Covid-19 entgegenzuwirken.

Die Pandemie hatte jedoch auch gravierende Folgen für den Sendebetrieb und das Personal. Viele Sender mussten schließen oder ihr Budget deutlich kürzen. Die Kenya Editors Guild schätzt, dass während der Pandemie bis zu 600 Medienschaffende ihren Job verloren haben. Das South Africa National Editors Forum fand heraus, dass die Jobs von mehr als 3.000 Journalist*innen gestrichen wurden.

100 Jahre Radio in Afrika

Das Radio spielte bei einigen der größten Umbrüche in der afrikanischen Geschichte eine Schlüsselrolle. Die erste Radiosendung südlich der Sahara wurde 1943 in Südafrika aufgenommen. Gesendet wurde die Klavierversion von Felix Mendelssohns Stück „Auf Flügeln des Gesanges“.

In Kenia wurden 1927 die ersten englischsprachigen Sendungen auf dem Umweg über London ausgestrahlt. Ab 1931 betrieb die Cable and Wireless Company einen Sendedienst für die Kolonialregierung.

1932 richtete die BBC den Empire Service mit Kurzwellenübertragungen in die Kolonien ein. Dies sollte die Verbindung der Kolonien und der dort ansässigen Brit*innen mit Großbritannien aufrechterhalten helfen. An der damaligen Goldküste (Ghana) entstand ein Sender mit dem Namen ZOY. Aus diesem ging später die Ghana Broadcasting Corporation (GBC) hervor, die im Juli 1935 auf dem Umweg über die BBC in London ihre erste Sendung ausstrahlte.

1937 veröffentlichte eine Arbeitsgruppe zum Thema Radio in den Kolonien die Empfehlung, einen Kolonialrundfunk nach dem Vorbild der BBC aufzubauen. Ein Ausschuss unter Lord Plymouth veröffentlichte einen Bericht, der den propagandistischen Wert des Rundfunks in den Kolonien betonte: dieser trage dazu bei, britische Kultur und Ideen in die Köpfe der Hörer*innen in Übersee zu transportieren.

Im Zweiten Weltkrieg bot sich die Gelegenheit, Radioprogramme für ein afrikanisches Publikum anzubieten, das sich aktuelle Informationen von der Front wünschte, wo Verwandte und Freunde stationiert waren. Im späteren Ghana entstanden ab 1943 lokale Programme in vier afrikanischen Sprachen: Fante, Twi, Ga, Ewe und später Haussa.

Das Radio spielte bei einigen der größten Umbrüche in der afrikanischen Geschichte eine Schlüsselrolle.

Die Freigabe von Frequenzen in weiten Teilen Afrikas in den 1990er-Jahren veränderte den Zugang zu Nachrichten und Informationen. Die Einführung des Privatradios war ein bedeutender Moment in der afrikanischen Rundfunkgeschichte.

Ab den 1990er-Jahren wurde das Radio zu einem bedeutenden Forum für Debatten über die wichtigsten nationalen und regionalen Themen. In den beliebten Call-In-Sendungen – und inzwischen zunehmend über Internet oder WhatsApp – kann das Publikum sich an Liveshows beteiligen und Politiker*innen und Beamt*innen zur Verantwortung ziehen/zur Rechenschaft ziehen.

Im Zuge der technischen Entwicklung hat sich auch der Medienkonsum gewandelt. Neue Online-Audioplattformen – einschließlich nichtlinearer Streamingdienste und Podcasts – haben die Medienlandschaft dramatisch verändert.

Doch auch beim Radio gilt: Totgesagte leben länger. Das Radio ist an seinen Herausforderungen gewachsen und versucht sich mithilfe neuer Technologien an neuen Formaten. Dabei spielen insbesondere Smartphones und das Internet eine Rolle, die Streaming und Podcasts ermöglichen. So können neue und jüngeren Zielgruppen die Programme immer dann hören, wenn es ihnen am besten passt.

Ein Jahrhundert nach der ersten Radiosendung in Afrika erstaunt es, welche enormen Technologiesprünge dieses Medium mitgemacht hat, ohne seine Relevanz in afrikanischen Dörfern und Städten zu verlieren. Der Kontinent tritt nun in ein Zeitalter ein, dem künstliche Intelligenz und andere neue, Daten-gestützte Technologien ihren Stempel aufdrücken werden. Eines aber ist sicher: Das Radio wird sich wie auch schon in den vergangenen 100 Jahren weiterentwickeln und den neuen Realitäten anpassen.