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Hansestadt Rostock
Stadt an Wind und Urwald

Stadthafen Rostock
Stadthafen Rostock | © Hansestadt Rostock/Fotoagentur Nordlicht

Die größte Stadt Mecklenburg-Vorpommerns wird von der traditionsreichen Universität und dem Kreuzfahrtschiffbau geprägt. Welche Rolle daneben der naturgeschützte Wald und vor allem der frische Ostseewind spielen, verrät der Schriftsteller Volker Harry Altwasser.

Herr Altwasser, wie sind Sie in Rostock gelandet?

In Rostock gelandet bin ich nach einer langen Reise zu mir selbst. Ich war froh, hier einen Ort gefunden zu haben, der nicht auf der literarischen Landkarte existiert, in dem ich, vom Literaturbetrieb losgelassen, endlich arbeiten konnte und der mich an meine Geburtsstadt Greifswald erinnert. Rostock ist wie Greifswald – nur größer.

Was macht die Stadt für Sie liebenswert?

Ich nenne sie immer Stadt am Wind. In den ersten Monaten beschwerte ich mich über ihn, woraufhin mich die Alteingesessene dann nur fragten: Welcher Wind? Mittlerweile gibt er mir Kraft fürs Schreiben, es gefällt mir, mich ständig gegen ihn stemmen zu müssen, seiner Stärke etwas entgegenzusetzen, standhaft inmitten dieser Frische und Unbekümmertheit zu bleiben.

Mit dem Rad in den Urwald …

Verraten Sie uns Ihren Lieblingsort in der Hansestadt?

Mein Lieblingsort ist der fast dreißig Kilometer lange Radweg von Dierkow nach Markgrafenheide. Er führt vorbei an riesigen Erdbeerfeldern, durch einen naturgeschützten „Urwald“ bis direkt an die Ostseeküste. Für mich ist so eine Fahrt immer wie ein Tag Urlaub.

Welches Gebäude beeindruckt Sie am meisten?

Rostock wurde im Krieg und im Sozialismus fast vollständig zerstört, der Aufbau war hier vom Pragmatismus geprägt und ist es bis heute. In Rostock denken Städteplaner wenig in Kategorien wie „Schön“ oder „Alt.“

Die 1419 gegründete Universität Rostock war die erste Uni im Ostseeraum. Daneben gibt es seit 1947 die Hochschule für Musik und Theater. Welche Einrichtung prägt die Stadt mehr?

Diese Frage ist unfair, denn natürlich ist die Universität Rostock bedeutend, gerade auch angesichts der vielen mit Nobelpreis gewürdigten Entdeckungen, aber die HMT ist einfach die Herzensangelegenheit der Bürger Rostocks.

… und mit dem Schiff in den Urlaub

Rostock hat den größten deutschen Kreuzfahrthafen. Ist es eine Stadt des Kommens und Gehens?

Volker Harry Altwasser Volker Harry Altwasser | © Vietinghoff/Matthes & Seitz Berlin Rostock hat mit der Innenstadt und den Ortsteilen Lütten Klein, Toitenwinkel und Warnemünde gleich mehrere Zentren, so dass es hier tatsächlich bei dem riesigen, wenig bebauten Stadtgebiet ein ständiges Kommen und Gehen gibt. Aber es stimmt, für mich ist es ungewohnt, auf einmal neben italienischen, französischen oder englischen Reisegruppen zu stehen. Da denkt man dann schon, dass die Stadt ein wenig europäischer ist als noch vor einigen Jahren.

Mitte des 19. Jahrhunderts verfügte Rostock über die größte Handelsflotte im Ostseeraum. War Ihre Idee, ein Hochseeepos zu schreiben, eng mit Rostock verknüpft?

Die Idee zu dem Epos Letzte Fischer hatte ich in Leipzig 13 Jahre vor Erscheinen des Buches, die Recherchen führten mich auch nach Rostock. Es erzählt neben anderen Strängen den traurigen Untergang der modernsten Fischfang- und Fischverarbeitungsflotte ihrer Zeit. Völlig unnötig wurde sie von der Treuhand nach der Wende abgewickelt. Tausende Arbeitslose über Nacht, ohne dass ein Sinn erkennbar war, das ist noch heute ein großes Thema an der Ostseeküste. Es war für Rostock kein guter Start in die neuen Zeiten, aber heute gehört die Stadt wieder zu den Global Playern auf den Weltmeeren: Diesmal sind es Kreuzfahrtschiffe und Windenergiegeräte.

Für welche Jahreszeit empfehlen Sie einen Besuch der Stadt besonders?

Besonders schön zeigt sich Rostock im Oktober, denn die Ostsee beschert uns oft in diesem Monat noch heiße Tage. Und an der Ostseeküste gibt es viel Urwald, der sich dann herbstlich wandelt. Der Oktoberwind ist gnädig. Dazu die Sonnenuntergänge, die genau passend vor der Tagesschau gezeigt werden. Mit einem Drink in der Hand auf dem Dach eines Hotels stellt man sogar das Handy kurzerhand aus. Schließlich lehrt uns die See: Man hat sowieso nichts zu sagen.

Mit Welterfolgen und dem 800. Stadtjubiläum im Blick

Zu den berühmtesten Rostockern gehören neben dem verstorbenen Schriftsteller Walter Kempowksi der heutige Bundespräsident Joachim Gauck und der Radrennfahrer Jan Ullrich. Auf wen sind die Rostocker besonders stolz?

An erster Stelle steht natürlich Jan Ullrich, der aus einfachsten Verhältnissen kam und sich bis an die Weltspitze hochgekämpft hat – mitten in den Wirren der Wende. Dagegen kommt nicht einmal ein Bundespräsident an. In letzter Zeit ist da übrigens auch der Rapper Marteria, dessen Welterfolge uns nicht unberührt lassen. Und natürlich Deutschlands Fußballspieler Toni Kroos: geboren in Greifswald, ausgebildet in Rostock, erfolgreich in der Welt.

In Rostock hatte im August 1939 das erste Düsenflugzeug der Welt seinen Jungfernflug. Welchen Höhenflug wünschen Sie der Stadt heute?

2018 feiert Rostock sein fulminantes Stadtjubiläum – 800 Jahre Rostock. Bis dahin sollten die vielen zerstrittenen Kulturvereine besser investieren und endlich ihre Anspruchslosigkeit überwunden haben, die der Stadt nicht gut tut. Noch fehlt es an Kultur, noch ist alles hier Unterhaltung. Besonders in meinem Bereich, der Literatur, gibt es riesigen Aufholbedarf. Aber mich selbst stört es nicht, denn wie schon gesagt: Ich lebe hier autark und fern vom Literaturbetrieb und veröffentliche jedes Jahr ein Buch. Wind und See haben mich Bescheidenheit gelehrt.
 

Volker H. Altwasser, geboren am 31. Dezember 1969 in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern), wurde 2001 durch seinen Roman Wie ich vom Ausschneiden loskam bekannt. Der Autor ist mehrfach ausgezeichnet worden, unter anderem 2011 mit dem Italo-Svevo-Preis. 2014 erschien sein bislang letzter Roman Glückliches Sterben.

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