100 Jahre Bauhaus
DIE BAUHAUS-TRADITION IM EHEMALIGEN JUGOSLAWIEN
Die Zeit des Bestehens der Kunstschule Bauhaus (1919-1933) entspricht im historischen Kontext der Periode der Gründung des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen bzw. des Königreichs Jugoslawien. Diese Jahre des frühen Modernismus sind in den bildenden Künsten, in der Architektur und im Design im südslawischen Raum sehr dynamisch, und eine bedeutende Anzahl von Architekten genoss ihre Ausbildung in Prag und Wien.
Von Aida Abadžić Hodžić
Die Zeit des Bestehens der Kunstschule Bauhaus (1919-1933) entspricht im historischen Kontext der Periode der Gründung des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen bzw. des Königreichs Jugoslawien. Diese Jahre des frühen Modernismus sind in den bildenden Künsten, in der Architektur und im Design im südslawischen Raum sehr dynamisch, und eine bedeutende Anzahl von Architekten genoss ihre Ausbildung in Prag und Wien. Die erste Generation der Pioniere der modernen Malerei hat bereits etwas früher, in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg und unmittelbar danach, ihre Erfahrungen der unmittelbaren Begegnung mit der europäischen Avantgarde (während ihrer Ausbildung an den Akademien für bildende Künste in München, Wien, Prag, Krakau und Budapest) übermittelt, und besonders wichtig war dabei die Gründung und das Wirken des Frühlingssalons in Zagreb (1916-1928), wo auch einzelne Künstler aus Bosnien-Herzegowina ihre Werke ausgestellt haben.
In der damaligen jugoslawischen Presse schrieb man gelegentlich über das Bauhaus. Dabei war am bedeutendsten der Besuch des Dichters und Übersetzers Stanislav Vinaver (1891-1955) am Bauhaus in Dessau im Jahr 1930. Vinaver veröffentlichte einen Text über diese Schule und über ihre jugoslawischen Studenten in der Belgrader Zeitschrift „Politika“ (28.3.1930). In einigen Zeitschriften im jugoslawischen Raum (“Zenit”, “Pregled”, “Nova literatura”) wurden in der Zwischenkriegszeit Texte von Bauhauslehrern über die damals zeitgenössische Architektur und Malerei veröffentlicht, wobei sich wegen ihres weitverzweigten Netzes im Bereich der internationalen Zusammenarbeit in den avantgardistischen und kulturellen Kreisen sowie durch ihre Artikelauswahl und die Qualität ihres graphischen Designs besonders die in Zagreb und Belgrad in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts erscheinende Zeitschrift „Zenit“ hervortat.
Zeitschrift „Zenit“, 1921-1926. Quelle ©: Digitale Sammlung der Nationalbibliothek Serbien
In den größeren Zentren war es möglich, in einzelnen gut ausgestatteten Buchläden Bauhaus-Publikationen zu erhalten, und eines der beliebtesten Kaffeehäuser in Zagreb, „Gradska kavana“ („Stadtkaffeehaus“), war mit Stahlröhrensesseln von Marcel Breuer ausgestattet. Ludwig Hilberseimer, Lehrer am Bauhaus, beteiligte sich an der internationalen Ausschreibung für die zukünftige urbanistische Entwicklung von Zagreb, die 1930 organisiert wurde. Nur drei Jahre früher, im Jahr 1927, wurde der Stadt Zagreb die einzigartige Sammlung der Bauhaus-Arbeiten aus der Weimarer-Periode der Schule, die Sammlung Marie-Luis Betlheim, zum Geschenk gemacht.
Die Mehrheit der zukünftigen Architekten studierten in Ljubljana und Zagreb (die sogenannte „Ibler-Schule“) und die Studenten aus Bosnien-Herzegowina, die zu den Pionieren der architektonischen Moderne der Zwischenkriegszeit gehörten, bildeten sich vorwiegend in Prag, Wien und Zagreb aus.
SECHS BAUHAUS-STUDENTEN AUS DEM KÖNIGREICH JUGOSLAWIEN
Am Bauhaus haben nur sechs Studenten aus dem Gebiet des ehemaligen Königreichs Jugoslawien studiert: einige haben sich dort nur kurz aufgehalten und zwei von ihnen (Otti Berger und Selman Selmanagić) haben das Studium vollständig abgeschlossen. Sie alle, außer Selman Selmanagić, hatten schon davor ein Kunst- oder Architekturstudium aufgenommen, und manche von ihnen kommen bereits mit einem abgeschlossenen Studium an einer Kunstakademie. Einzig Selmanagić hatte bloß eine handwerkliche Fachausbildung (zum Tischler). Sie kommen ans Bauhaus, nachdem sie Ausstellungen der Lehrer gesehen oder einen Vortrag über das Bauhaus gehört hatten, bzw. rein zufällig.
EIN BAUHAUS-STUDENT AUS SLOWENIEN
Der erste, der am Bauhaus immatrikuliert hat, war der Slowene Avgust Černigoj (1898-1985), der Anfang 1924 nach Weimar kam. Für seine Entscheidung war eine Ausstellung von Wassily Kandinsky ausschlaggebend, die er während seines Studiums im Jahr 1922 in der Galerie Hans Goltz in Müchen gesehen hatte. Obwohl er sich am Weimarer Bauhaus sehr kurz aufgehalten hat, übte der Vorbereitungskurs bei Moholy-Nagy einen entscheidenden Einfluss auf sein späteres Werk und seine Forschungen im Bereich der Malerei aus, indem er ihn auf den Konstruktivismus brachte. Dies hinterließ eine bedeutende Spur in Černigojs späterer experimenteller Arbeit in Ljubljana und Triest (1924-1929), und zwar in Form von Assemblagen, Collagen und konstruktivistischen Zeichnungen und Graphiken. Nach seiner Rückkehr aus Weimar stellte er in zwei Ausstellungen – in Ljubljana (1924) und Triest (1927) – Werke, die unter dem Einfluss des Konstruktivismus entstanden waren, aus, jedoch sind diese Werke leider nicht erhalten.
VIER BAUHAUS-STUDENTEN AUS KROATIEN
Otti Berger (1898-1944), geboren in Zmajevac (heute in der Baranja) immatrikulierte in Dessau im Sommersemester 1927, nach abgeschlossener Königlicher Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Zagreb (1922-1926). Otti Berger war eine Mitarbeiterin von Gunta Stölzl und Anni Albers an der Textilabteilung, die sie 1930 abgeschlossen und nach dem Abgang von Gunta Stölzl im Jahr 1931 auch geleitet hat. Nach der Schließung des Bauhauses eröffnete Otti Berger ihr eigenes Textilatelier, das „Otti Berger – Atelier für Textilien – Stoffe für Kleidung und Wohnen – Möbel-, Vorhang-, Wandstoffe – Bodenbelag“ in Berlin, bekam aber sehr bald aufgrund ihrer jüdischen Herkunft ein Arbeitsverbot und musste dauerhaft die Türen ihres Berliner Ateliers schließen. Danach hielt sie sich eine Zeitlang in London auf, in Erwartung eines Visums für die USA, wohin sie mit ihrem Verlobten, dem Architekten und Stadtplaner Professor L. Hilberseimer, ausreisen wollte. Otti Berger ist einer der seltenen Vertreterinnen des Bauhauses, die ein Patent für zwei ihrer innovativen Textilien angemeldet und nach einem mehrjährigen Kampf den Patentschutz für ihre Erfindung auch erhalten hat. Sie nahm das Angebot von Moholy-Nagy an, die Textilabteilung am Neuen Bauhaus in Chicago zu leiten. Aufgrund einer Krankheit ihrer Mutter kehrte sie 1938 nach Zmajevac zurück und wurde anschließend im April 1944 mit einer großen Anzahl von anderen ungarischen Juden ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert, wo sie dann auch gestorben ist.
Im Schuljahr 1929/30 immatrikulierten sich noch zwei Studentinnen aus dem Königreich Jugoslawien am Bauhaus: Ivana Tomljenović und Marija (Maša) Baranyai, nachdem sie während eines Aufenthalts in Wien von dieser Schule gehört hatten. Im selben Schuljahr schrieb sich auch der einzige Student aus Bosnien-Herzegowina – Selman Selmanagić (1905-1986) – völlig zufällig und ungeplant im Vorbereitungskurs ein, nachdem er von einem Mitreisenden während einer Zugfahrt nach Berlin von dieser einzigartigen, avantgardistischen Schule gehört hatte. Etwas später (1930) gesellte sich auch der letzte Student aus dem Gebiet Jugoslawiens zu dieser Gruppe – Gustav Bohutinsky (1906-1987).Marija Baranyai nahm ihr Architekturstudium in Wien im November 1928 auf, am Bauhaus verbrachte sie bloß einige Monate Ende 1929, wonach sie ihr Studium an der Akademie in Breslau fortsetzte.
Ivana Tomljenović (1906-1988) schrieb sich nach Abschluss der Königlichen Kunstakademie in Zagreb 1928 und nach einem Kurzaufenthalt an der Wiener Kunstgewerbeschule in den Vorbereitungskurs am Bauhaus ein. Nachdem sie nach ihrer Rückkehr von den Feiertagen im Herbst 1929, kurz vor der Immatrikulation ins dritte Semester, von ihren studentischen Kollegen begeisterte Eindrücke von einer, während ihrer Abwesenheit vom neuen Bauhaus-Direktor Hannes Meyer gehaltenen Vorlesung gehört hatte, in der Meyer die Arbeitsprinzipien seiner Schule vorgestellt hatte, verfasste Ivana Tomljenović im Oktober 1929 ihren Immatrikulationsantrag. Im April 1930 schrieb sie sich nach erfolgreich bestandenem Vorbereitungskurs ins zweite Semester und in die Fotoabteilung unter der Leitung von Walter Peterhans ein und dokumentierte auf einer Vielzahl von Fotografien Porträts ihrer Freunde, den Lebens- und Arbeitsalltag am Bauhaus, die Diskussionen in der Kantine nach den Vorlesungen, Momente der Muße und des Lernens sowie zahlreiche andere Motive, auf denen, neben dem dokumentarischen Wert, auch die für die Bauhausfotografie charakteristische Poetik bewahrt wurde. Nach ihrer Rückkehr nach Kroatien arbeitete sie an einer Mittelschule als Lehrerin für bildende Künste.
Aus der Periode ihres gemeinsamen Aufenthaltes am Bauhaus sind zwei Fotografien von Ivana Tomljenović aus dem Jahr 1930 erhalten, auf denen Selman Selmanagić in Dessau und während eines Ausflugs in Leipzig zu sehen ist.
Gustav Bohutinsky (1906-1987) ist der einzige kroatische Architekt, der am Bauhaus studiert und dort das Sommersemester des Jahres 1930 verbracht hat. Das Bauhaus hat in seinen Wohnbauten der Zwischenkriegszeit sowie in seinen Nachkriegswerken Spuren hinterlassen, vor allem in seinen Plänen für Wärmekraftwerke und Transformatorenstationen, die in der intensiven Industrialisierungs- und Elektrifizierungsphase des Landes in der Nachkriegszeit realisiert wurden. Als eigenständiges Werk ragen die typisierten Transformatorenstationen TS-300 in Križevci, Zabok und Plase aus dem Jahr 1946 hervor.
BAUHAUS-STUDENT AUS BOSNIEN-HERZEGOWINA
Selman Selmanagić (1905-1986) schrieb sich 1929 in den Vorbereitungskurs in Dessau ein, nachdem der zum ersten Mal in einem Gespräch während einer Zugfahrt nach Berlin von dieser Schule gehört hatte. Vor seiner Ankunft in Dessau hatte Selmanagić in Sarajevo das Tischlerhandwerk erlernt und seine Meisterprüfung für Möbel und Tischlerei an der Höheren Gewerbeschule in Ljubljana abgelegt. Er schloss das Studium im Jahr 1932 an der Architekturabteilung ab und erhielt das Diplom Nummer 100. In den dreißiger Jahren hielt er sich im Nahen Osten auf und arbeitete dort im Atelier von Richard Kauffmann in Jerusalem sowie als selbständiger Architekt. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er als Filmarchitekt bei den UFA-Studios in Berlin und war Mitglied der illegalen Zellen der Kommunistischen Partei. Nach dem Krieg war er Mitglied des Kollektivs für Stadtplanung von Hans Scharoun (1945-1950) und war Verantwortlicher für Kultur- und Erholungsstättenplanung. Von 1950 bis 1970 war er Professor und Leiter des Fachgebiets Architektur an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee in Ostberlin. Er arbeitete mit den Möbelwerkstätten Dresden-Hellerau zusammen und wird zu den Klassikern des Designs in der DDR gerechnet. Von besonderer Bedeutung ist sein Design des Seminarstuhls aus dem Jahr 1949. Er ist eine der Schlüsselpersonen für die Pflege der Bauhaustradition in der DDR.
Die pädagogischen, gestalterischen und konzeptuellen Modelle des Bauhauses haben auch in der Kunst und Architektur Jugoslawiens nach den Zweiten Weltkrieg ihre Spuren hinterlassen, am ausgeprägtesten im Wirken der Gruppe EXAT 51 und im Programm der Akademie für angewandte Künste in Zagreb (1949-1955), sowie im Lehrplan Kurs B von Edvard Ravnikar an der Architektonischen Fakultät Ljubljana.
Der Hauptteil des Archivmaterials über die jugoslawischen Studenten am Bauhaus wird in den Bauhaus-Archiven in Berlin und Dessau, im Museum für zeitgenössische Kunst in Zagreb, in der Gallerie Avgust Černigoj in Lipica sowie im Privatarchiv der Familie von Selman Selmanagić in Berlin aufbewahrt. Einen besonders wichtigen Beitrag zum ersten ganzheitlichen Einblick in das Werk jugoslawischer Studenten am Bauhaus stellte das internationale Projekt BAUNET: Vernetzung von Ideen und Praxis (www.baunet-info.com) mit wissenschaftlichen Forschungen, Vorträgen und Schulungen dar, das im Rahmen des EU-Programms Kultur im Zeitraum von 2011 bis 2015 realisiert wurde. Es handelte sich dabei um eine Zusammenarbeit des Museums für zeitgenössische Kunst in Zagreb (Projektträger), der Akademie für bildende Künste und des Bosniakischen Instituts in Sarajevo, des Universalmuseums Johanneum in Graz und des Loški muzej Škofja Loke (Projektpartner).
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