„Alles dreht sich um das Buch, denn Grundmotiv sämtlicher Stützen, Gänge, Fenster, Durchgänge und Blickachsen ist das Bücherregal…der Blick durch die gewaltige Rasterstruktur des zentralen Lesesaals gehört schon jetzt zu den betörendsten Sichten der letzten Jahre“. (FAZ, 06.04.2011).
Mit dem Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum haben die Universitätsbibliothek sowie der Computer- und Medienservice der Humboldt-Universität (HU) erstmals ein adäquates Gebäude erhalten. Der Ende 2009 eröffnete Bau fügt sich ideal in die Kulturmeile zwischen Theatern und Museumsinsel ein und bildet auch städtebaulich ein neues Zentrum, nicht nur für die HU. Das vom Schweizer Architekten Max Dudler entworfene Gebäude wurde bereits mehrfach ausgezeichnet: 2010 mit dem BDA-Architekturpreis „Nike“ für die beste stadtbauliche Interpretation; außerdem mit dem „BDA-Preis Berlin 2009“ für besondere baukünstlerische Leistungen und mit dem „Architekturpreis Berlin 2009“ für nachhaltige Gestaltung des urbanen Lebensraumes Berlin.
Äußere Struktur
Das Gebäude besteht aus zwei verschieden hohen Komponenten, wobei sich der niedrigere Gebäudeteil mit einer Höhe von 22 m in die Architektur Berlins einfügt. Dem gegenüber steht der südliche Teil, der mit 38 m Höhe das Grimm-Zentrum als repräsentatives, öffentliches Gebäude kennzeichnet. Zugleich beschattet dieser den niedrigeren Teil und damit das Glasdach der Leseterrassen. So ist hier nur während einiger Wochen im Hochsommer der Einsatz von Sonnensegeln notwendig.
Die Verkleidung der Fassade besteht aus hellgelbem Jura-Marmor, dessen Steinstruktur durch ein Hochdruck-Wasserstrahl-Verfahren betont wurde. Im Inneren setzt sich dieses Material in der polierten Variante als Fußboden- und Treppenbelag fort.
Die Fassade wirkt einerseits streng gegliedert, andererseits ist sie durch verschieden breite Fenster rhythmisiert, die zugleich auf die Funktionsbereiche der Bibliothek hinweisen: Hinter den schmalen Fenstern verbergen sich Bücherregale, hinter den breiteren Fenstern Arbeitsplätze mit Blick auf die Silhouette Berlins. Das Grundraster von 1,50 m spiegelt den Achsabstand der Regale wider und nimmt damit direkten Bezug auf die Bücher, die die Grundlage dieses Hauses bilden.
Innere Struktur
Reduzierte Materialien und Farben sowie die klare geometrische Formensprache stehen für sich und geben dem Gebäude von außen eine skulpturale Anmutung. Im Inneren wird die Ruhe und Klarheit der Gestaltung durch einen streng symmetrischen Aufbau, die Verwendung der naturnahen Materialien Stein, Holz, Linoleum sowie den Farben schwarz und weiß fortgeführt. Einzig in Kommunikationsbereichen wie Cafeteria und Lounges kommen rote Elemente zum Einsatz. Für Wandverkleidungen und Möblierung der Theken wurde amerikanisches Kirschholzfurnier (Black Cherry) verwendet, für die Parkettböden der Lesesäle Nussholz.
Das großzügige, sich über zwei Etagen erstreckende Foyer, wird durch zwei Kuben strukturiert, deren obere Ebenen zum Verweilen einladen. Der Raum öffnet sich durch drei Eingänge und große Glasfronten bewusst in den Stadtraum, wobei der großzügige Vorplatz eine Mittlerrolle zwischen Innen und Außen einnimmt.
Im Eingangsbereich befindet sich das Kunstwerk „Bullet Holes“ des deutsch-amerikanischen Künstlers Arun Kuplas. Dieses nimmt Bezug auf die direkte stadträumliche Umgebung des Grimm-Zentrums und die Geschichte Berlins bzw. der Universitätsbibliothek. Abgebildet sind von Kriegszerstörung gezeichnete Säulendetails der Museumsinsel sowie Fassadenausschnitte des Gebäudes Dorotheenstraße 1, wo sich bis zum Einzug in das Grimm-Zentrum die Verwaltung der Universitätsbibliothek befand.
Arbeitsbereiche
Im inneren Bibliotheksbereich lassen mattschwarze Regale und Linoleumböden sowie weiße Wände den warmen, leicht rötlichen Ton des Kirschholzfurniers leuchten. Zusätzlich erstrahlen in den schwarzen Regalen die zahlreichen Buchrücken in bunter Farbenfreude.
Das Herzstück des Gebäudes bilden symmetrisch nach beiden Seiten terrassenartig ansteigende Arbeitsbereiche auf fünf Ebenen. Akustisch durch Glastüren und -wände abgeschirmt entsteht hier eine besonders konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Kirschholzfurnier, grüne Linoleumbeläge auf den Arbeitstischen und Leselampen aus grünlich marmoriertem, lichtdurchlässigem Steinglas lassen die Leseterrassen als eine gelungene moderne Interpretation des klassischen Lesesaals erscheinen.
Ein Glasdach, welches aus 82 Einzelelementen besteht, ermöglicht den freien Blick in den Himmel Berlins und schafft damit eine Verbindung nach außen.
Das ganze Gebäude ist durch den symmetrischen Aufbau trotz seiner Strenge offen und transparent – überall ergeben sich Durchsichten und Einsichten: vom Fernsehturm bis zum Reichstag oder durch die Glaswände quer durch die Leseterrassen, die sich fast über die gesamte Länge des Gebäudes erstrecken.
Als Gegenpol zu den Leseterrassen sind mit gleicher Ausstattung dezentrale Einzelarbeitsplätze entlang der Fassaden angeordnet. Die Tiefe der Tische – ebenfalls ein Entwurf von Max Dudler – entspricht dem Stützenraster, so dass jeder Leser einen Fensterplatz erhält.
In der 6. Etage erstreckt sich über zwei Geschosse der Forschungslesesaal, wo historische und wertvolle Bestände eingesehen werden können. Dort wurde mit den gleichen Materialien gearbeitet, die auch bei den Leseterrassen zum Einsatz kommen. Durch die Platzierung an der Fassade und großzügige Fenster bekommt dieser Raum eine herausragende Stellung. Große Glasscheiben öffnen den Blick in die Bücherregale der 7. Etage und abstrahieren somit eine klassische Galeriesituation.
Optimale Lichtverhältnisse
Durch das Glasdach der Leseterrassen und die Anordnung der Arbeitsplätze an den Fassaden kann das Tageslicht optimal genutzt werden. Je nach Tageslichteinfall können in Abstufung zur Raumtiefe einzelne Schaltkreise nach Bedarf gedimmt werden, was zur Stromreduzierung beiträgt. Alle Fenster sind optimal durch geschäumte Kerndämmzonen zwischen Innen- und Außenprofilen gedämmt. Vor der eigentlichen Fensterscheibe verläuft eine Prallscheibe, so dass die Sonnenrollos zwischen diesen beiden vor Wind geschützt sind und auch bei windigem sonnigem Wetter – typisch für Berlin – eingesetzt werden können.