Wohnen in Brüssel
Viele Quadratmeter für gutes Geld

Blick über Brüssel
© Colourbox

In Brüssel wohnen eine Menge Menschen nur für kurze Zeit. Deshalb ist viel Bewegung auf dem Immobilienmarkt. Nirgendwo sonst in Europas Hauptstädten ist das Angebot so vielfältig

Von Sabine Buchwald


Im Sommer erscheint Brüssel noch bunter als sonst. Grund sind nicht allein die Touristen, die durch die Straßen der Stadt flanieren, als läge sie näher am Mittelmeer als an der Nordsee. Farbe bringen auch die Schilder, die weithin sichtbar an den Fassaden vieler Häuser um neue Bewohner buhlen. Sie werben mit der französisch-flämischen Beschriftung „à louer/te huur“ für Wohnraum zum Mieten, oder gar mit „à vendre/te koop“ – zu kaufen.  Sobald die Kinder in die großen Ferien starten, also ab Anfang Juli, wird Europas inoffizielle Hauptstadt zur Umzugsmetropole.
 

Viele Quadratmeter für gutes Geld

Das Angebot an Immobilien ist so üppig wie kaum in einer anderen europäischen Großstadt. In Brüssel herrscht ein stetes Kommen und Gehen, ein immerwährendes Willkommenheißen und Abschiednehmen, was sich in einem lebhaften Immobilienmarkt widerspiegelt. Die längsten Tage des Jahres sind wohl die arbeitsintensivsten für Maklerbüros, die hier so häufig zu finden sind wie andernorts Drogeriemärkte. Obwohl die Lebenshaltungskosten in Brüssel durchaus hoch sind – jedenfalls für Essen und Kleidung -, lassen sich hier erstaunlich viele Quadratmeter zu Preisen finden, für die man anderswo nur ein Zimmerchen bekommt. Vorallem auch in zentrumsnahen Stadtteilen. Darin unterscheidet sich Brüssel bislang wesentlich von hippen Städten  wie London und Paris, Barcelona oder München, die zur Spielwiese von Investoren geworden sind.
 
Mietpreise in Brüssel
Mietpreise in Brüssel. Zahlen: Gerundete Durchschnittswerte in Anlehnung an Vastgoedgids Trends mei 2018 | © Grafik: in Anlehnung an Benzebuth198 | BY-SA 3.0
In Brüssel, seit 2004 wieder Millionenstadt, schreitet die Gentrifizierung langsamer voran. Letztlich kommen aber auch hier etwa durch das Schließen auch von kleinsten Baulücken mit schicker Architektur neue  Einwohnerschichten in Viertel, wo noch vor Kurzem kaum Straßenlaternen brannten. Etwa die sogenannten Marollen, nur einen Steinwurf von den Luxusläden des Boulevard de Waterloo entfernt, wo Schnäppchenjäger durch die Second-Hand-Möbelläden trödeln, oder Molenbeek.

Kunst zieht an in Molenbeek

Vor nicht mal drei Jahren erlangte Molenbeek als Brutstätte islamistischen Terrors internationale Bekanntheit. Ein Museum für moderne Kunst und diverse Neubauten direkt am Kanal haben der ehemaligen No-Go-Area ein frisches Image gegeben. Das zieht junge Paare und Familien verschiedenster Herkunft an und mit ihnen Bioläden und Cafés, was von der Stadtverwaltung gern gesehen wird.

Überhaupt wird in Brüssel viel renoviert und gebaut. Das macht die Auswahl an Wohnraum so vielfältig. Hier gibt es verschnörkelte Altbauten mit über vier Meter hohen Decken und üppigen Stadtgärten, genauso wie klar strukturierte Moderne mit swimmingpoolgroßen Dachterrassen. Interessanterweise zieht es die einheimischen Brüssler oft an den Stadtrand ins eigene Backsteinhaus, wohingegen sich Expats mit Kindern häufig rund um die jeweiligen Schulen ihres Landes ansiedeln. So leben etwa rund um Stockel viele Deutsche, in Auderghem Japaner und das jenseits der Stadtgrenze gelegene Tervuren finden englisch sprechende Familien attraktiv.

Kaufen macht unflexibel

Blick von Brüssel Stadt auf Saint Josse ten Noode, Schaerbeek und das Atomium in Laeken
Blick von Brüssel Stadt auf Saint Josse ten Noode, Schaerbeek und das Atomium in Laeken | © Goethe-Institut Brüssel
Anders als etwa Deutsche versuchen Belgier ihr Dach über dem Kopf zu kaufen. „Das macht uns leider unflexibel“, erklärt ein gebürtiger Belgier, der anonym bleiben möchte. „Wenn wir uns einmal eingerichtet haben, wird eher angebaut als umgezogen.“ Wer allerdings weiß, dass er in Brüssel nicht alt werden wird, der mietet – und das bewegt den Immobilienmarkt. Denn es betrifft zig Tausende von Menschen, die temporär etwa für die Europäische Union arbeiten. Es sind nicht nur Mitarbeiter der Kommission, sondern auch Angestellte der Behörden sowie zahlreiche Übersetzer und Dolmetscher, Lobbyisten, Journalisten und Vertreter der (noch) 28 Mitgliedstaaten. Viele kommen mit einem Drei- bis Fünf-Jahresvertrag. Das regt den Wohnraumwechsel an.

Jedes Haus hat seine Geschichte

Blick vom Ambiorix Square auf den Square Marie Louise
© Goethe-Institut Brüssel
Vermieter schützen sich deshalb mit kreativen Vertragsklauseln, die Nicht-Belgier vor den Kopf stoßen. Denn in der Regel muss man sich mit seinem Mitvertrag für neun Jahre festlegen und darf erst nach drei Jahren ohne Strafzahlung vorzeitig kündigen. Anders als etwa in Deutschland stehen dem Mieter weniger Rechte zu. Und dennoch: So extravagante Häuser wie in Brüssel gibt es sonst nirgends in Europa auf dem Markt. Und ihre Geschichte bekommt man gratis dazu.



 

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