Lehrerinnen und Lehrer sind entscheidend für den Lernerfolg ihrer Lernenden. Prof. Dr. Hans-Jürgen Krumm beschreibt, welche Kompetenzen Lehrende dafür benötigen und ob und wie diese Lehrkompetenzen lernbar sind.
Die Lernerorientierung in den vergangenen zwanzig Jahren hat die Lehrpersonen in Forschung und Methodik an den Rand gedrängt. Ihre Bedeutung für den Unterrichtserfolg wieder ins Zentrum zu rücken, dazu hat insbesondere die Studie Visible Learning (Lernen sichtbar machen) von John Hattie (2009) beigetragen.
Die Grafik zeigt die Gewichtung verschiedener Einflussgrößen auf den Lernerfolg (Hattie 2003: 3).
| © John Hattie
Etwa 50 Prozent des Lernerfolgs – so Hattie – hängen von dem ab, was die Lernenden mitbringen (2003: 3). Soll Unterricht erfolgreich sein, so müssen Lehrende die Lernenden als Menschen mit Kenntnissen, mit Sprachkompetenzen und (Sprachlern-) Erfahrungen ernst nehmen und diese auch im Unterricht aufgreifen. Unter den durch die Institution bestimmten Faktoren (in der Grafik linke Seite) haben die Lehrenden das größte Gewicht. Ihr Anteil am Lernerfolg liegt bei circa 30 Prozent. Es kommt also auf die Lehrenden an („Teachers matter!“ bzw. „Teachers make a difference“ sind die Schlagworte, mit denen Hattie die Ergebnisse seiner Metastudien zusammenfasst; vgl. Hattie 2003).
Theoretisches Wissen garantiert jedoch genauso wenig guten Unterricht wie vorgefertigte Unterrichtsrezepte. Denn es ist nicht das Fachwissen der Lehrenden, wodurch sie zum „Erfolgsfaktor“ werden, sondern eine spezifische Haltung gegenüber dem Unterrichten und den Lernenden, für die sich im deutschen Sprachgebrauch Begriffe wie „professionelles Wachstum“ und „reflektives Lehren“ eingebürgert haben.
Wissen und/oder Können – Was macht Lehrkompetenz aus?
Mit Lehrkompetenz ist jenes Bündel an Wissen, Kenntnissen, Fertigkeiten und Einstellungen gemeint, über welches Lehrende verfügen müssen, um Lernprozesse zu fördern und Unterricht zu gestalten (vgl. Reinmann 2011). Gemeint ist eine Verbindung aus fachlichem und fachdidaktischen Wissen, praktischen Erfahrungen mit Unterricht, erlernten und trainierten Lehrfertigkeiten, Einsichten und Einstellungen vor allem im Hinblick auf die Interaktion mit den Lernenden und die eigene Rolle. Entscheidend sind die Einstellungen, mit denen eine Lehrkraft an das Unterrichten herangeht, die Haltungen, die sie oder er den Lernenden gegenüber einnimmt, und die Bereitschaft, den Unterricht an die Voraussetzungen, Fähigkeiten und Erwartungen der Lernenden zu adaptieren. Duxa spricht in diesem Zusammenhang von „situativer Handlungskompetenz“ (2001: 66).
Hattie beschreibt diese Lehrkompetenz wie folgt: „It is the teachers who are open to experience, learn from errors, seek and learn from feedback from students and who foster effort, clarity and engagement in learning“ (2009: 35).
Erfolgreich sind diejenigen Lehrenden, die für neue Erfahrungen offen sind, aus Fehlern lernen, denen Rückmeldungen ihrer Lernenden wichtig sind und die auch daraus lernen, und die es unterstützen, wenn jemand sich beim Lernen anstrengt und engagiert, und die für Transparenz sorgen.
Die hierfür erforderliche Bereitschaft und Fähigkeit, unterrichtliches Handeln immer wieder zu reflektieren, lässt sich nicht als Wissen erlernen. Sie entwickelt sich, indem Lehrende ihren Unterricht bewusst auf die Bedürfnisse der Lernenden und die von ihnen mitgebrachten Dispositionen hin anlegen, dann darauf achten, wie diese darauf reagieren. Die Lehrenden verständigen sich mit ihren Lernenden und passen ihren Unterricht immer wieder an deren Bedürfnisse und Lernfortschritte an. In der Fort- und Weiterbildungseinheit
Lehrkompetenz und Unterrichtsgestaltung (Einheit 1 von
Deutsch Lehren Lernen, 2012) bieten Michael Schart und Michael Legutke drei Wege an, Reflexionskompetenz in diesem Sinne zu entwickeln (2012: Kapitel 3):
- durch Erfahrungswissen Theorie und Praxis in Verbindung bringen;
- das eigene Klassenzimmer „erforschen“;
- Praxiserkundungsprojekte planen und durchführen.
Lehrkompetenzen lernbar machen
Die Lehrerbildung an den Hochschulen ist primär auf die Vermittlung von Fachwissen fixiert. Auf Grund der damit verbundenen Unzufriedenheit sind außerhalb der Hochschulen Projekte entstanden, die pädagogische Lehrkompetenzen ermitteln, beschreiben und in Trainingsprogrammen verfügbar machen. Der Europarat bzw. die Europäische Union haben in ihren Bildungsprogrammen immer wieder die Notwendigkeit gut ausgebildeter Sprachlehrkräfte betont und diese Projekte gefördert. Dazu gehören unter anderem das
Europäische Portfolio für Sprachlehrende in Ausbildung (EPOSA, 2007) und das
Europäische Profilraster für Sprachlehrende (EPR, 2013).
Beide rücken die Beschreibungen von Lehrkompetenzen ins Zentrum und verstehen sich als Reflexions- und Trainingsinstrumente für die Aus- bzw. Fortbildung. Lehrkompetenzen sind nicht in Katalogen abzubilden, die Auskunft geben, welcher Stoff im Studium vermittelt wird oder was jemand in einer Prüfung als Wissen nachgewiesen hat. Sie werden vielmehr in beiden Projekten ähnlich wie beim
Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER, 2001) als „Ich kann-Beschreibungen“ formuliert: z.B. „Ich kann Aktivitäten planen, in denen Grammatik und Vokabular mit Kommunikation verknüpft sind“ (EPOSA: 37).
Das
Europäische Portfolio für Sprachlehrende in Ausbildung enthält in dem Kapitel
Selbstbeurteilung 193 Lehrkompetenzen, die als Kernkompetenzen für angehende Sprachlehrende verstanden werden (EPOSA: 87). Sie sind in sieben Handlungsbereichen zusammengefasst:
- Kontext (Lehrplan, Lernziele, Rolle des Lehrenden),
- Methodik,
- Ressourcen,
- Unterrichtsplanung (Lernziele identifizieren, Unterrichtsinhalt, Unterrichtsorganisation),
- Durchführen einer Unterrichtsstunde,
- Förderung von selbständigem Lernen,
- Beurteilung des Lernens.
Das
Europäische Profilraster für Sprachlehrende wendet sich an Lehrkräfte in der Praxis. Es formuliert die Lehrkompetenzen in vier, zum Teil weiter unterteilten, Bereichen:
- Sprache und Kultur (Kompetenz der Lehrenden in der Zielsprache, Sprachbewusstheit und interkulturelle Kompetenz),
- Qualifikation und Unterrichtserfahrung (Ausbildung und Qualifizierung, Qualität und Dauer der Lehrerfahrung),
- zentrale Lehrkompetenzen (Methodik/Didaktik, Unterrichts- und Kursplanung, Steuerung von Interaktion, Leistungsmessung, Arbeit mit digitalen Medien),
- professionelles Verhalten (Professionalität, Verwaltung).
Die Kompetenzbeschreibungen sind in sechs aufeinander aufbauenden Entwicklungsstufen angeordnet. Lehrkräfte können so einschätzen, auf welcher Stufe die eigene Kompetenz angesiedelt ist.
Die folgenden Beispiele aus verschiedenen Kategorien des Profilrasters zeigen, wie man mit Hilfe dieser Deskriptoren dazu angeregt wird, Lehren als einen reflexiven Prozess anzulegen:
- „versteht in Hospitationen bei erfahreneren Kolleginnen/Kollegen, warum sie sich für bestimmte Lehrtechniken und Lernmaterialien entschieden haben“ (Didaktik/ Methodik 1.1)
- „kann theoretische Konzepte hinter Lehrtechniken und Lernmaterialien erkennen“ (Didaktik/ Methodik 2.2)
- „kann einen sinnvollen Zusammenhang zwischen einzelnen Unterrichtseinheiten herstellen und dabei die Lernergebnisse der letzten Unterrichtseinheiten berücksichtigen“ (Unterrichts- und Kursplanung 1.2)
Lehrkräfte verfügen nicht über eine „beste Methode“. Lehrkompetenz als ein Bündel von Wissen, Kenntnissen, Fertigkeiten und Einstellungen entsteht, wenn Lehrende den Sprachlehr- und -lernprozess als ein gemeinsames Projekt von Lehrenden und Lernenden, als Ergebnis von Reflexion, Supervision und Teamarbeit, sich somit als Mitglieder einer lernenden Gemeinschaft verstehen.