Jemima Rose Dean
Ums Leben tanzen
Trotz traumatischer Erfahrungen in der Ausbildung konnte Jemima Rose Dean ihren Traum wahr machen: Ihre Karriere als Tänzerin und Choreografin führte sie an die großen Tanz- und Theaterhäuser Deutschlands und Europas, nun arbeitet sie an eigenen Produktionen.
Von Romy König
Ballett. Ballett war alles, was sie kannte, und alles, was sie konnte. So beschreibt Jemima Rose Dean im Sommer 2022 in einem Gastbeitrag für die Wochenzeitung Die Zeit ihre Berufung. Monatelang war die heute 32-Jährige in Sydney, in ihrer Heimat Australien, auf die Ballettschule gegangen, hatte trainiert und geübt: Eine Tanzkarriere in Europa war ihr Traum.
Ihr Ziel rückte näher, als sie ein Stipendium für die Tanzakademie Zürich erhielt. Nur wenige Tanztalente schaffen es an diese Schule und den Diplomand*innen stehen anschließend die renommiertesten Bühnen offen. Auch Jemima Rose Dean schaffte ihren Abschluss, zahlte dafür aber einen hohen Preis: Heute spricht sie über den Drill und die Demütigungen, die sie während ihrer Ausbildung erfuhr, über Essstörungen und Machtmissbrauch durch die Schulleitung und Lehrer*innen. Bis heute leide sie an Angstzuständen.
Erfolgreiche Tänzerin und Choreografin
Trotz all der erlittenen Widrigkeiten aber ist sie ihren beruflichen Weg weitergegangen: 2009 war sie Finalistin beim Prix de Lausanne, wurde 2010 Gruppentänzerin am Bayerischen Staatsballett, drei Jahre später Teil des Ensembles des Berliner Friedrichstadt-Palasts. Sie tanzte in Produktionen von John Neumeier, John Cranko und William Forsythe und arbeitete mit Künstlern wie Thierry Mugler und Jean-Paul Gaultier. 2012 absolvierte sie an der Iwanson International School of Contemporary Dance ihr Bühnenreife-Diplom.
2017 dann der Sprung in die Selbständigkeit: Als freischaffende Tänzerin trat sie bald in Basel im Musical Ein Käfig voller Narren und in der Oper La Gioconda an der Deutschen Oper Berlin auf. Daneben entwarf sie erste eigene Choreografien, etwa für das Stück Terra X von Johanna Bruckner. Auch das Fernsehen wurde auf sie aufmerksam: In der Erfolgsserie Babylon Berlin arbeitete sie als choreografische Assistentin. Sie ist zudem Teil des Ensembles Ballet of Difference, das 2020 eine Faust-Nominierung für das Stück New Ocean (Richard Siegal, Schauspiel Köln) erhielt.
Liebe, Leben und Körperlichkeit
In ihren eigenen Performances und Produktionen setzt sie sich mit Liebe, dem Leben und Körperlichkeit auseinander. So etwa in ihrer Installation gaia16aye, das von Platons Symposion und der berühmten Fabel der sich nach ihrer anderen Hälfte sehnenden Kugelmenschen inspiriert ist; oder auch in der Produktion At the Core, in der sie das Zusammentreffen zweier menschlicher Körper als Hitzegenerator inszeniert.
Während ihrer Tanzresidenz 2023 in Montreal, ausgeschrieben vom hiesigen Goethe-Institut, möchte sie „Feral Feminism“ in den Mittelpunkt einer Solo-Performance stellen. Die Arbeit an ihrem Stück, das die offen queer Lebende The Feral Womxn nennt, werde ihr Gelegenheit geben, ihre eigene soziale und berufliche Prägung im Frausein zu ergründen, sie vielleicht von etwaigen Vorurteilen über Weiblichkeit, Freiheit und Schönheit zu befreien oder diese zumindest offenzulegen helfen.
Ihre eigene kreative Stimme, das sagt sie selbst und das belegen ihre zahlreichen Arbeiten, habe sie gefunden. Und Balletttanzen? Ist längst nicht mehr alles, was sie kann.