Roberto Collío in Leipzig

Der erste Film des Chilenen Roberto Collío, Muerte Blanca (dt. Weißer Tod), gewann beim Festival DOK Leipzig den Preis in der Kategorie Animadok.Nach seiner Rückkehr sprach Collío über seine positiven Erfahrungen beim Wettbewerb und im Rahmen der Gespräche zwischen Filmemacher*innen und dem Publikum.
 

Roberto Collío und Isabel Orellana Guarello während der DOK Leipzig-Preisverleihung © DOK Leipzig
Bei der jüngsten Preisverleihung des DOK Leipzig am 1. November 2014 konnte Chile sich über eine der Goldenen Tauben des Festivals freuen. Sie ging an den jungen Filmemacher Roberto Collío für Muerte Blanca, einen Kurzfilm von siebzehn Minuten über die Tragödie am Antuco, als Soldaten bei einer Übung auf Befehl ihrer Vorgesetzten durch einen Schneesturm marschierten und erfroren. Mit seinem Film wollte Collío die Tragödie nachempfinden, mit Sounds und Lichteffekten, was die Jury besonders hervorhob. Hierfür kombinierte er Realaufnahmen mit Animationen, weshalb der Film auch in der Reihe Animadok lief – eine dokumentarische Mischform, die in Leipzig ihren eigenen Platz hat. Auf dem Festival war der Regisseur in Begleitung von Isabel Orellana Guarello, der Produzentin von Muerte Blanca. Er kennt sie seitdem er fünfzehn Jahre alt ist, und sie war es auch, die sein Interesse für das Filmemachen weckte. „Was mich an der Animation reizt, sowohl im Bild als auch im Ton“, sagt Collío, „ist genau diese Kurzform. Es ist der Versuch, Film in Reinform zu machen, und auch eine Möglichkeit, mich den Opfern respektvoll zu nähern, indem ich meinen Film in ein visuelles und akustisches Gedicht verwandle.“ So sah es auch die Jury beim Filmfest von Locarno, wo Muerte Blanca im August 2014 zum ersten Mal gezeigt wurde und eine lobende Erwähnung erhielt.

Ursprünglich wollte Roberto Collío Comiczeichner werden und schon immer galt sein Interesse der Musik. Vor zehn Jahren entdeckte er Hitchcock und begeisterte sich für den Film. Nach einem Sabbatical beschloss er, in Buenos Aires Film zu studieren. Doch die Ernüchterung war groß. Die Welt der Konkurrenz lockte ihn wenig, viel lieber wollte er Filme drehen, die seinen persönlichen und künstlerischen Neigungen entsprachen. „Deshalb würde ich eher empfehlen, Kunst zu studieren, das bringt mehr als eine Filmhochschule. Mit der digitalen Technik kann heute jeder eine Kamera in die Hand nehmen, dafür braucht es keine Kenntnisse. Filmen ist ein Nachdenken über das eigene Tun.“ In Chile gestaltete er das Sounddesign für so herausragende Dokumentarfilmprojekte wie Los castores („Die Biber“, 2014, Gewinner beim FIC Valdivia) oder El vals de los inútiles (Der Walzer der Nutzlosen, 2013), bevor er seinen ersten eigenen Film vorlegte. 
 

Wie hat es angefangen mit Ihren eigenen Projekten?

Das war in Buenos Aires, da habe ich bei einem Kurzfilm Regie geführt. Aber erst in Chile begann meine eigentliche künstlerische Laufbahn. Nach meiner Rückkehr war mein wichtigster Kontakt Isabel Orellana, sie war in der Filmbranche gut vernetzt. Meine erste Arbeit war dann die Tongestaltung für ihr Projekt Memorias del viento (dt. Erinnerungen des Windes), unter der Regie von Katherina Harder, wobei ich das Sounddesign eher experimentell angegangen bin. Es gilt als eine vorwiegend technische Tätigkeit. Nur sagt einem in den Hochschulen keiner, dass Film heißt: fünfzig Prozent Bild, fünfzig Prozent Ton. Deshalb hat in Muerte Blanca der Sound ein so großes Gewicht. Bei der Animation muss man alles erschaffen, auch den Ton, was eine ganz andere Art des Erzählens erlaubt. Für mich ist der Sound erst gefunden, wenn er die Vorstellung von „real“ und „kreiert“ durchbricht, wenn er beiden Dimensionen gleichermaßen gerecht wird, wenn er die Narration als die Illusion zeigt, die sie ist.
 

Wie kam es, dass die Tragödie am Antuco für Sie zu einem Filmthema wurde?

Ich habe im Fernsehen gesehen, was da passiert ist, dann habe ich immer wieder davon gelesen, die Suche nach den toten Soldaten hat ja einen ganzen Monat gedauert. Zunächst dachte ich nicht daran, über diese Tragödie einen Film zu machen. Irgendwann las ich einen Artikel, in dem Bergsteiger vom "weißen Tod" sprachen und wie die Unterkühlung zu Halluzinationen führt. Der Gedanke ließ mich nicht mehr los. Wenn ich mich für einen Film auf ein Thema stürzte, wollte ich, dass es größer war als ich selbst. Die Rekruten, die dort in den Anden erfroren sind, waren mein Jahrgang. Für mich hieß das, den Blick auf die Probleme eines bestimmten Teils der chilenischen Jugend zu richten, einer Jugend, die mir nahe war, und abstrakt auch darauf, wie die Institutionen sich gegenüber den Träumen und Hoffnungen dieser Jugend verhalten. Außerdem war es für mich eine Herausforderung, keinen informativen Dokumentarfilm mit Interviews zu drehen. Wie Werner Herzog sagt, sollte ein Dokumentarfilm keine Informationen nach Art eines Buchhalters liefern. Wenn eine Geschichte zu bloßen Daten wird, verbannt man das Gefühl, und die Leute vergessen es wieder. Es geht um menschliche Themen, in einer Sprache, die wir alle verstehen. Das herauszuarbeiten hat mich interessiert.
 

Wie war Ihre Erfahrung beim Festival in Leipzig? Was hat Sie am meisten beeindruckt?

Leipzig hat mir gut gefallen. Und die Reihe Animadok war genau der richtige Ort. Die Leute waren sehr freundlich und zugewandt. Besonders schön waren die Möglichkeiten zum Gespräch mit dem Publikum und die Reihe „Meet the director“, wo die Veranstalter dafür gesorgt haben, dass die Diskussionen anregend waren, zugleich aber sehr viel konzentrierter. Es waren ehrliche Gespräche, wie man sie im Alltag nicht häufig erlebt.
 

Das DOK Leipzig und Chile verbindet eine lange Geschichte. Schon 1970 erhielten mehrere chilenische Filme gemeinsam eine Goldene Taube. Haben Sie etwas von dieser besonderen Beziehung gespürt?

Ja, eine Frau, mit der ich sprach, hatte Freund*inneen, die im Nationalstadion verschwunden sind, sie hat den Geist meiner Generation gut verstanden. So wie ich verstanden habe, dass in meinem Film der Geist der Leipziger Pazifist*innen präsent ist. Es geht darum, Stellung zu beziehen und politische Themen anzusprechen, in meinem Fall mit Animation und poetischen Elementen. Es geht darum, sich zu informieren über das, was gerade geschieht, und die Lücke zu finden, durch die man sich etwas vorstellen und Neues schaffen kann. Zwei andere Frauen waren vor dem Putsch in Chile gewesen, in Santiago und in Antofagasta. Und außerhalb des Festivals habe ich deutsche Studierende kennengelernt, die in einer WG mit einem Chilenen leben, der seit acht Monaten in Leipzig ist. Sie waren genau so drauf wie wir.
 

Roberto Collío begann seine Laufbahn als Sounddesigner bei verschiedenen Filmen. 2009 drehte er seinen ersten Kurzfilm, Hombre Muerto, 2014 dann den Dokumentarkurzfilm „Muerte Blanca/Black Death“, ausgezeichnet mit mehreren internationalen Preisen. Zuletzt erhielt er ein Stipendium der chilenischen CORFO für ein neues Filmprojekt mit dem Titel Petit frère, an dem er zusammen mit Rodrigo Robledo arbeitet.