Soziale Architektur – gemeinschaftlich, kostengünstig und robust

Was sozial engagierte Architektur ausmacht und warum Waschküchen und Selbstbau-Projekte dabei eine wichtige Rolle spielen, erklärt Christoph Schmidt von der Berliner Architektengruppe ifau – Institut für angewandte Urbanistik. Seit 1998 arbeitet ifau in verschiedenen interdisziplinären Konstellationen an städtebaulichen und architektonischen Projekten.

Was verstehen Sie unter sozialer Architektur, Herr Schmidt?

Es geht darum, durch die Gestaltung privater und öffentlicher Räume vielfältige Formen urbanen Zusammenlebens zu ermöglichen. Konkret handelt es sich vor allem um drei Aspekte: Zum einen geht es um bezahlbares Wohnen. Gemeinnütziger Wohnungsbau und eine politisch getragene Stadtplanung tragen dazu bei, soziale Verdrängung und Ausgrenzung zu verhindern.



Zweitens spielen Teilhabe und Aneignung eine entscheidende Rolle. Das heißt keine Planung „von oben“, sondern die Vorstellungen und Bedürfnisse von Nutzern und lokalen Beteiligten sollen von Anfang an mit einbezogen werden. Dazu gehört es, Räume des Austauschs und der Kommunikation zu organisieren. Im Quartier sind das zum Beispiel Jugend- und Familienzentren, Stadtteilbibliotheken oder auch Gärten – Orte, an denen man sich aufhalten kann, ohne etwas konsumieren zu müssen. Im Mietshaus könnte das eine gemeinsame Waschküche sein, in die man gerne geht. Statt in jeder einzelnen Wohnung Quadratmeter für eine Waschmaschine zu verschenken, ließe sich diese Grundversorgung gemeinschaftlich organisieren. Wenn man noch eine Espressomaschine dazustellt, sind das gute Voraussetzungen für einen alltagstauglichen Gemeinschaftsraum.



Zur Aufgabe von Architekten gehört es drittens auch, den Anforderungen einer vielschichtigen Gesellschaft gerecht zu werden. Also räumliche Anpassungen zu ermöglichen, wie sie beispielsweise der demografische Wandel erfordert. Dazu muss man nicht immer gleich neu bauen. Viele alte Menschen, die als Single in eigentlich zu großen Wohnungen leben, sind bereit, in eine kleinere zu ziehen. Nur sollte die in ihrem gewohnten Lebensumfeld liegen. Dafür muss es Angebote geben, das muss organisiert werden.
Klar ist: Um das alles umzusetzen, braucht es verbindliche Zielsetzungen, kompetente Vermittlung und das Engagement aller Beteiligten: Planer, Kommunen, Entwickler, Investoren und der lokalen Öffentlichkeit. 

Wo sehen Sie gelungene sozial engagierte Architektur?

Ein gutes Beispiel ist das 2012 fertiggestellte Projekt „Grundbau und Siedler“ in Hamburg-Wilhelmsburg. Das Entwurfsprinzip von BeL-Architekten aus Köln bestand darin, günstigen Wohnraum durch Eigenbau zu schaffen. Den Bewohnern wurde ein technisch erschlossener Stahlbetonskelettbau zur Verfügung gestellt, den sie sich dann schrittweise in Eigenleistung ausbauen und die Grundrisse flexibel nach ihren Wünschen gestalten konnten.



Auch das Berliner Projekt Spreefeld verbindet Qualität und bezahlbaren Wohnraum – und das am begehrten Ufer der Spree. In den drei Häusern mit 44 Wohnungen, die die Bau- und Wohngenossenschaft Spreefeld errichtet hat, spielen Gemeinschaftsräume eine wichtige Rolle. Gleichzeitig ist die Organisationsform der Genossenschaft ein gutes Modell, um dieses sozial engagierte Projekt langfristig zu sichern.



Dass ein Umbau aus sozialen und ökologischen Gründen oft sinnvoller als ein Neubau ist, zeigt das Beispiel des Tour Bois le Prêtre in Paris. Das Wohnhochhaus aus den 1960er-Jahren, in dem vor allem Familien mit wenig Geld wohnen, sollte abgerissen werden, bevor die Architekten Druot und Lacaton&Vassal sich mit ihrer Idee durchsetzen konnten. Sie erweiterten die Wohnungen um eine Wintergartenzone aus vorgefertigten Modulen, die von außen an die Fassaden angebaut wurden – eine Aufwertung, die gleichzeitig Energie spart und speichert.

Gemeinsam und kostengünstig wohnen. Das ist der Anspruch des Projekts der Baugemeinschaft R50 in Berlin-Kreuzberg. Ihr Büro ifau und Jesko Fezer haben das 2013 fertiggestellte Haus zusammen mit dem Büro Heide & von Beckerath Architekten geplant. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Das Haus mit sechs Geschossen und 19 Wohnungen haben wir in zahlreichen Abstimmungsrunden mit allen Bewohnern Schritt für Schritt realisiert. Eine auf das Notwendige beschränkte Stahlbeton-Skelettkonstruktion, robust und einfach, mit teilweise offen verlegter Infrastruktur, eine modular aufgebaute Holzfassade sowie geschossweise „Umgänge“ – statt Balkone – ermöglichen flexible Grundrisse. Der zweigeschossige Gemeinschaftsraum und die Dachterrasse mit Sommerküche sind ein Mehrwert, für den sich die Hausgemeinschaft bewusst entschieden hat und der gemeinsam finanziert und organisiert wird. Im Gemeinschaftsraum trifft man sich regelmäßig, feiert Feste, auch zur Hausaufgabenhilfe für Kinder aus der Nachbarschaft steht er zur Verfügung.

Wie sollte die politische Weichenstellung für soziale Architektur aussehen?

Beteiligung und Teilhabe, robuste, flexibel nutzbare Räume, experimentelle Ansätze für kostengünstiges und trotzdem hochwertiges Bauen, Eigentums- und Finanzierungsformen wie Genossenschaft und Erbbaupacht wirken sich positiv auf den sozialen Ausgleich in den Städten aus. Unter Planerinnen, Architekten, Stadttheoretikern – mehr und mehr auch unter Stadtpolitikern – ist das längst Konsens.
Was fehlt, ist die Übertragung dieser Prinzipien auf die praktische Ebene der Kommunen und Wohnungsbaugesellschaften.



Ein konkreter Schritt wäre, Instrumentarien wie kooperative Baulandentwicklung und städtebauliche Verträge viel umfangreicher einzusetzen. So müsste die Stadt bei der Vergabe von Neubauprojekten eine Quote von bis zu 50 Prozent für mietpreis- und belegungsgebundene Wohnungen festlegen. Sie sollte lokale Initiativen am Planungs- und Entwicklungsprozess und Investoren an den Kosten für die soziale Infrastruktur beteiligen.
 

Top