Gastronomie in Südamerika
Vorbei an offiziellen Rankinglisten
Die alternative Gastronomie in Südamerika zielt darauf, Tradition und Innovation in einer nachhaltigen und schmackhaften Küche zu vereinen.
Es ist noch nicht lange her, da präsentierte man in Mexiko-Stadt die Liste der „50 besten Restaurants Lateinamerikas“. Vertreten sind Restaurants in Argentinien, Brasilien, Kolumbien, Chile, Mexiko, Paraguay, Uruguay und Venezuela. Der Kontinent hat damit das Feld der Juroren und Rankinglisten betreten, wo die Gastronomie als ein Wettkampf stattfindet. Köche verwandeln sich in die Stars eines Showbusiness, die genau von denen bewundert werden, die sich ein Abendessen in ihren Restaurants niemals leisten könnten.
Es gibt aber auch gastronomische Alternativen, die kein Bedürfnis nach Anerkennung durch einen Rankingplatz haben. Ihre kulinarischen Angebote entziehen sich den Erwägungen und Urteilen der Gastronomiekritik. Stattdessen fallen sie dadurch auf, dass sie ihr Augenmerk auf die Produktionskette und den Kochvorgang richten. Mal setzen sie neue Kreationen, mal traditionelle Gerichte auf ihre Speisekarten – und sind sich bewusst, dass es zum Kochen auf dem Kontinent ein neues Konzept braucht.
Alte Kochgewohnheiten, neue Märkte
Ein Beispiel ist das Restaurant El Señorío de Sulco im Stadtbezirk Miraflores in Lima. Dessen Geschäftsführerin ist die Soziologin und Journalistin Isabel Álvarez. Das Lokal ist das Ergebnis von Reisen durch Peru, bei denen sie sich die Arbeit von Bauern und Lebensmittelerzeugern angesehen hat. Die peruanische Küche mag zwar mittlerweile auf Speisekarten in der ganzen Welt vertreten sein, aber Álvarez zieht die Haltung bei dieser Entwicklung in Zweifel. Sie fragt sich, ob ein Gericht nur als Endergebnis zählt und dabei nicht der vorangegangene Vorgang vergessen wird, der in seinen einzelnen Schritten nicht mehr nachvollziehbar ist. Durch ihre Arbeit konnte sie dagegen kulinarische Vorgänge beobachten, die sich einer Marktdynamik entziehen und eher mit alten Traditionen in Verbindung stehen.In der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá gründete der deutsch-kolumbianische Unternehmer Alexander von Loebell 2004 mit Bioplaza den wohl ersten „Bio“-Supermarkt des Subkontinents. Seine Filialen orientieren sich am Prinzip des fairen Handels: Bauern und Erzeuger von Lebensmitteln sollen beim Verkauf ihrer Waren nach Tarifen bezahlt werden, die ihrer Arbeit Anerkennung zollen, wohingegen die Preisaufschläge von Zwischenhändlern und Lieferanten vermieden werden. „Darin steckt die Bemühung, Professionalität und Regionalität durch Innovation zusammenzubringen und dabei auf lokale Produktion zu setzen“, erklärt Von Loebell, „bei einem Lebensmittel handelt es sich nicht um ein notwendiges Übel, sondern es braucht ein Bewusstsein für alles, was es mit sich bringt: Preise, Einwirkung auf die Umwelt und Landnutzung. Wir möchten ein Bewusstsein für den Konsum der Individuen und der Gesellschaft entwickeln. Unser Konzept ist ganzheitlich und betreibt keinen Wettbewerb mit den Geschmäckern.“ Mittlerweile hat Bioplaza internationales Ansehen errungen und will expandieren, um in aller Welt Lebensmittel wie die aus unraffiniertem Zucker hergestellte Panela, Quinoa und Amarant anzubieten.
Das Restaurant Gustu (Quechua für „Geschmack“) im bolivianischen La Paz ist eine auf dem ganzen Kontinent anerkannte Adresse. Geleitet wird das Projekt von der Dänin Kamilla Seidler, die vor wenigen Jahren nach La Paz kam, weil sie eine gastronomische Erkundung durchführen wollte, bei der die einheimischen Zutaten die Arbeitsgrundlage bilden sollten. „Wir haben alle zwölf Mikroklimazonen des Landes besucht und wollten mit lokal hergestellten Lebensmitteln kochen“, erinnert sich Seidler. „Das Geld sollte im Land bleiben und eine Produktionskette aufgebaut werden. Das war nicht einfach. Und wir sind immer noch dabei. Es gibt immer noch Orte, die kein Geld, sondern Dinge brauchen. Es muss noch viel Arbeit investiert werden.“ Neben ihrem Angebot an lokal zusammengestellten Gerichten hat Seidler auch Gastronomieschulen in Bolivien und Kolumbien etabliert. Die dort ausgebildeten Köche werden bereits von anderen Restaurants angestellt. Gustu steht auf der Liste der „50 besten Restaurants Lateinamerikas“. Sein primäres Interesse ist es jedoch, mit einer einheimischen Küche hervorzustechen, die Produktionsabläufe respektiert, sowie der Beziehung zwischen Lebensmittelerzeugern und Restaurantgästen genügend Aufmerksamkeit zu widmen – in einem Land, in dem junge Menschen die Gastronomie gerade als eine berufliche Option entdecken.
Küche und Nation, Küche und Territorium
In Ländern wie Mexiko oder Peru ist die eigene Landesküche wichtiger Bestandteil des Nationalstolzes. Etwas Ähnliches hat der Kolumbianer Tomás Rueda im Sinn, der Chefkoch des Restaurants Tábula im Zentrum von Bogotá. Nach jahrelangen Reisen in Kolumbien und darüber hinaus fand Rueda schließlich, dass er mit dem Einfachen das Beste bieten kann. In seinen Gerichten spiegelt sich der Wunsch wider, den Bestrebungen einer schnellen Küche und dem medialen Druck zu entkommen. „Damit lässt sich über das Territorium nachdenken“, sagt Rueda, „so kann man bodenständige Gastronomie betreiben, den Leuten vorsetzen, was sie kennen.“ Er räumt auch ein, dass jeder Koch zum Kochen einen subjektiven Zugang hat. Tábula hat vor Ort bereits einen Kult geschaffen, und in der lateinamerikanischen Fachwelt wird sein Name häufig erwähnt.Die Gastronomie bietet also auch die Möglichkeit einer Neudefinition für ein Land, wie die Musik- und Gastronomieberaterin Silvia Bonfante im kolumbianischen Außenministerium bestätigt. Man ziele darauf, dass neben typischen Gerichten wie Ajiaco und Empanadas auch die Erzeuger der Lebensmittel wahrgenommen würden. „Die Zutaten und nachhaltiges Arbeiten in den Regionen sind wichtiger geworden, während die Starköche oft nicht darauf achten“, sagt Bonfante.
Diesen Antrieb findet man in Restaurants in ganz Südamerika wieder. Anstatt sich mit ihren Gerichten am gastronomischen Wettstreit mit anderen Ländern zu beteiligen, wollen sie mit verschiedenen Kochgewohnheiten in Kontakt treten und der Welt die Vielfalt der kulinarischen Traditionen vor Augen führen.
Dank geht an: Silvana Bonfante, Tomás Rueda und Alexander Von Loebell (Bogotá), Sumaya Prado und Kamilla Seidler (La Paz), Isabel Álvarez und César Mac-Kay (Lima)