Kunstcafé: 19.11.2024 um 19:00 Uhr
Mit: Sofya Yechina und Selman Trtovac
Als Präsenzveranstaltung im Goethe-Institut Belgrad und online über Facebook und YouTube
Im November wird die Künstlerin Sofya Yechina in der Galerie „Wechselstube“ des Goethe-Instituts ihre Arbeiten im Rahmen der Ausstellung „Zwischen Donau und Rhein“ präsentieren.
Sofya Yechina über die Ausstellung
Kandinsky zufolge unterliegt alles auf der Welt denselben Gesetzen: Musik, Natur, bildende Kunst, der Wechsel der Jahreszeiten, Tanz... Wir werden geboren, leben und sterben in demselben Rhythmus: von „absolut weiß (der großen Stille des Universums)“ bis „schwarz (der unbeweglichen Leere nach dem Erlöschen der Sonne)“. Unser Leben verläuft, wie jeder andere natürliche Prozess, nach demselben Drehbuch: von der göttlichen Schöpfung bis zur tödlichen Zerstörung, und umgekehrt. Das beste natürliche Beispiel für dieses Phänomen ist der Wasserfall: Der durch Mineralausfällung entstandene Stein wird letztendlich durch eben dieses Wasser zerstört. Stille Wasser sind tief, oder der Stein wird von Wasser geformt – der Wandel von Substanz und Form des Steins geht nicht mit inhaltlichem Wandel einher.
Diese Entdeckung war für Paul Klee ausschlaggebend, als er Musik auf der Leinwand darstellte: In den visuellen Formen wiederholte sich die Komposition der musikalischen Formen, wobei sie den gemeinsamen Rhythmus begleiteten und zu einer Einheit verschmolzen. Da jede Musik in ihrer Essenz abstrakt ist, spiegelt sich die Kunst ohne Gegenstand darin wie in einem Spiegel wider – von der musikalischen Pause bis hin zur Stille durch das Spiel der halben und der Viertelnoten.
Wo ist also die Kunst in diesem schwarz-weißen Zyklus von Schöpfung und Zerstörung verortet? In welchem Moment wird sie geboren und wann kann man sagen, dass das Bild fertig ist?
Ich als Künstlerin definiere für mich selbst drei Phasen. Anhand eines Beispiels der Entstehung eines Bildes möchte ich jede davon eingehend beschreiben.
Kunst wird aus Chaos geboren. Das Chaos ist abstrakt, weshalb die ersten Schritte stets unschön und unordentlich sind. Sie ähneln den biblischen Motiven der Entstehung der Erde: Schmutz, Staub, herumfliegende Steine – so sieht Schöpfung aus. Klumpen aus Ton beschmutzen die weiße Leinwand, und neues Leben wird durch Schmerz geboren.
Chaos muss geordnet werden. Neues Leben entsprießt der Vernunft. Jedes Bild enthält eine Botschaft, die in einer Sprache lesbar sein muss, die der Betrachter versteht. Aus den Ruinen des zerstörten Alten kommt neues Leben auf. Gründlich und regelkonform füllen den gesamten Raum mit ihrer „Ratio“ aus, das Bild wird lebendig, Farben und Formen erhalten ihren Charakter. Das serbische Wort „Handwerk“ (zanat) – Geschicklichkeit und Professionalität – beschreibt diese Phase am besten.
Emotionen und Poetik stellen die letzte, abschließende Phase der Entstehung eines Bildes dar. Dies wird schlichtweg als „Schönheit“ bezeichnet. Entzückende Details, dezente Farbübergänge, besondere, schwer fassbare Zustände. Das Unsichtbare, das nahezu Unbeschreibbare: die Stille in der Nacht, das Flimmern eines Sonnenstrahls, das Rauschen der Wellen, Wind und Vogelgezwitscher. Lyrik, die einen wesentlichen Bestandteil jedes Kunstwerks darstellt.
Für den Erfolg eines Bildes braucht es mehr als nur einen dieser Aspekte. Wenn, beispielsweise, Lyrik die Grundlage unserer Kreativität ist, müssen wir uns dessen bewusst sein, dass Schönheit ein vergängliches Phänomen ist, das jeglicher Tiefe entbehrt. Es reicht auch nicht aus, wenn man die Technik professionell beherrscht – warum sollte man etwas zum Leben erwecken, das ohne künstlerische Vorstellung unerträglich langweilig ist?
Deshalb gilt für mich als Künstlerin eine Regel: Wenn ein Bild in irgendeiner Phase an einen toten Punkt gelangt, muss man die schwarze Farbe nehmen und zum Anfang zurückkehren – zur Zerstörung. Ich bin mir sicher, dass ein Bild durch die richtige Zerstörung neu geboren werden kann.
In dieser Ausstellung „Zwischen Donau und Rhein“ möchte ich jene Orte zeigen, an denen der Rhein und die Donau entspringen, sich vereinigen und ihre Schicksale ineinander verschlingen, und dies macht sie zum idealen Phänomen der idealen Wiedergeburt. Kunst beginnt mit einer weißen Leinwand, die wir durch unsere Gedanken entweihen. Ein neues Leben kann nicht ohne Schmerz entstehen, ein neues Bild kann nicht ohne Zerstörung geboren werden. Der Künstler ist ein Demiurg, der Künstler ist ein Wasserfall, in dem der Stein Wasser gebiert und nicht umgekehrt. Jeder Künstler ist tausend Mal an seinem eigenen Gift gestorben und wurde wieder geboren, und dennoch hat er es geschafft, dieses zu überleben: Gift wird zu Leben, und Leben gebiert Gift.
Sofya Yechina (geb. 1990 auf der Insel Iturup, UdSSR) ist Künstlerin und Schriftstellerin. Seit 2012 ist sie Mitglied des Russischen Künstlerverbandes und der International Association of Art, unter Schirmherrschaft der UNESCO. Im Jahre 2013 kam sie mit einem Stipendium des Künstlerbunds Speyer nach Deutschland und leitet seit 2015 das Kunstprojekt „Zwischen Donau und Rhein“, das sie schließlich nach Serbien führte, wo sie derzeit lebt.
Sofya Yechina hatte 34 Einzelausstellungen (Deutschland, Österreich, Russland, Serbien, Kroatien) und nahm an etwa 100 Gruppenausstellungen weltweit teil. Seit 2016 ist sie Mitglied der Internationalen Journalisten-Föderation. Sie veröffentlichte die Bücher „Belgrad in Blau“ und „30 Bilder von Helm“.