Kraft und Verletzlichkeit in Petr Hruškas neuen Gedichten
Gleich im ersten Gedicht von Petr Hruškas fünftem Lyrik-Band, der den geheimnisvollen Titel Darmata trägt, ist von einem „ordentlichen Stück Fisch“ die Rede, das uns mit seinem heilig angedunkelten Silber wieder zum ursprünglichen Staunen angesichts der Welt zurückbringen soll. So atemlos ungeniert und ungeduldig wird hier auf auf einen anfänglichen „Vertrag“ verwiesen, zu dem wir uns wieder aufstacheln müssen: Was suchen wir verdammt nochmal auf dieser Welt? Unterstrichen wird dieser Appell dadurch, dass das Gedicht einem verstorbenen Freund gewidmet ist: dem Schriftsteller Jan Balabán. Jemandem, mit dem wir den abenteuerlichen Pakt mit der Welt und dem Leben teilten, aber nicht mehr zu Ende bringen werden.
Das ewig glimmende Silber des Fisches
„Nen ordentlichen Thunfisch / damit es uns durchschüttelt / das ewig glimmende Silber des Fisches“ Die ersten Verse des Einleitungsgedichtes evozieren eine Erinnerung, vielleicht von einer Reise, wo wir uns mit einem Kumpel den Fisch direkt in einen Zeitung klatschen ließen, verschmierte Finger hatten, die Welt für eine Weile die Welt sein ließen, mitsamt ihrer strengen Überwachung. Die konkrete Vision steckt zugleich voller übergreifender Gedanken, die fast wie Proklamationen klingen. Zurück zu den elemantaren Erlebnissen, als wir noch wussten, wer wir sind, ohne viel darüber nachdenken zu müssen; das „schwere Silber der Welt“, das auf zauberische Weise frieren macht und blendet, wieder forsch bejahen; sich definitiv erinnern, „was wir verdammt nochmal hier alles / wollten“.
Wichtig an Hruškas Lyrik ist die Art und Weise, wie sie aus der Realität schöpft, aus wirklichen Situationen, Gefühlen oder Beziehungen, manchmal reicht ein Eindruck. Der poetische „Überbau“ interessiert Hruška nicht, ihm geht es nicht um eine dichterische Veredelung Wirklichkeit, deren lyrische Transkription. Ganz im Gegenteil: Er versucht zu erspüren, worin eine ansonsten gewöhnliche Wirklichkeit besonders und wunderkräftig ist, was unsere alltäglichen Leben von innen heraus außergewöhnlich macht. Hier zeigt sich eine weitere Stärke von Hruškas Lyrik: Der Dichter hat die Fähigkeit, wesentliche Lebensmomente und –werte ganz genau zu sehen und ans Licht zu bringen. Entweder benennt er sie, oder aber er führt sie uns einfach nur vor Augen.
Kraft und anhaltendes Pathos
In der Lyrik Hruška schwingt als Unterton ein feines, dauerhaftes, nüchternes Pathos mit. Den einen oder anderen mag das stören. Man könnte meinen, dem Dichter rückten – der rauen Oberfläche seiner Texte seine Gefühle zum Trotz – ein bisschen zu nah auf den Leib und er entblöße sie zu sehr. Gefühlvoll zu sein bedeutet sich auszuliefern, verletzlich zu sein. Öffnet sich ein Dichter derart, bemüht er sich, Dinge auszusprechen, die uns primär allen gemeinsam sind und die uns daher paradoxerweise geradezu banal erscheinen können. Außerdem „droht“ sich die Verletzlichkeit des Dichters auch auf uns zu übertragen; das ist nicht unbedingt für jeden beruhigend.
Hier zeigt Hruška allerdings auch seine Kraft. Er ist fähig, sich emotional zu öffnen und dabei fest und überzeugend zu bleiben. Er teilt etwas mit, was wir alle erleben, und ist dennoch in der Lage, es in überraschenden Bildern sagen. Hruškas ziviles Pathos ist ein Zeichen dafür, dass der Lyriker seine Sachen ernst meint, Spiel oder Übertreibung wären nur Umwege. Beim Lesen seiner Poesie können wir erleichtert ernst werden, womit alles andere als düsteres Grübeln gemeint ist. Wir sind nur ohne überflüssige Umschweife mit unserem Leben allein gelassen.
Gerade seine Verletzlichkeit ist für den Dichter ein starke Waffe. Am Ende wollen wir sie teilen, wollen uns diesen versonnenen Unsicherheiten, diesen gebrechlich-zarten, aber elementaren Erkenntnissen aussetzen, die oft in unauffälliger Verkleidung daherkommen. Im Zimmer legt die Tochter ein Abendkleid an, und der Dichter begreift bei sich: „Nie mehr sehe ich die Brüste meiner Tocher wieder …“ Anderswo klingt Anspannung an über die erschlaffende Paarbeziehung, die Furcht vor dem Heranwachsen der Kinder, die misslichen Zeiten ausgesetzt sind. Unsicherheit mit sich selbst, ob man richtig gelebt habe: „Ich wollte das alles irgendwie haben, / nichts schuldig bleiben, / die Dinge gut abschließen.“
Ergrautes Silber
In Hruškas Gedichten steckt jedoch auch ein ganzes Stück geballte Faust und unterschwelliger Ärger. Die Menschen-Welt ist nichts Weltbewegendes, sondern wohl eher eine Enttäuschung. Nicht einmal uns selbst vermögen wir so recht zu blenden, und von dem, was wir gekonnt oder gewollt hätten, ist uns so manches durch die Finger gerutscht. Das Silber ist grau geworden. Hruška bilanziert immer die alltägliche Existenz, deutet an, was er sich in seinen Paar- und Elternbeziehungen vorzuwerfen hat. Meist ist sein erster Impuls intim, dann dehnt sich das vertraulich sprechende Gedicht meist weiter aus und legt im Endergebnis Zeugnis davon ab, was wir alle erleben, wie unsere Zeit beschaffen ist.
Ein Gedicht, das mit dem Staunen über den Gesang der eigenen Frau am frühen Morgen nach einer durchfeierten Nacht beginnt, schlägt gleich darauf um in einen Seufzer angesichts einer Welt, in der die „anständigen Menschen das Verderben verschlafen“ und der klare, einfache Gesang der Frau bald vom Geheul des Haufens übertönt werden wird. Wenn wir einander nicht zuhören, wenn wir nicht aufmerksam bleiben für die innere Einfachheit und Reinheit unserer selbst und der anderen, werden wir auf dieser Welt bald gar nichts mehr hören.
Die Welt ein verworrenes Geschenk
„Junge (…) / Heute am Fluss / hast du mir etwas zugebrüllt / über die seichten Stromschnellen / und du warst nicht zu verstehen / es klang wie / Darmata! / Bepisste Darmata!“ Der Schrei, aus dem der rätselhafte Titel der Sammlung entstanden ist, ist unverständlich. Allerdings sind hier Vater und Sohn gemeinsam in einer Situation. Als wäre ihre gemeinsame Teilhabe an diesem merkwürdig gespannten, geheimnisvoll bedeutungsvollen Augenblick wesentlicher als die eigentliche Verständigung. Hruška entfaltet in der Sammlung durchgängig das essentielle, so langsam allerdings auch schon ein bisschen ausgeleierte Thema der gestörten zwischenmenschlichen Kommunikation. Einfache „Ausgangspunkte“ bietet er jedoch nicht. In lebendigen, eindringlichen, manchmal geradezu schmerzhaften Bildern kommt er zu der Erkenntnis, dass menschliches Beisammensein die zusammengebrochene Kommunikation überbrücken muss. Der Fluss rauscht, der Schrei ist unverständlich, aber wir sind hier, es ist uns gegeben, diesen Moment zusammen zu durchschreiten, sein Geheimnis definiert uns.
Wichtig ist bei Hruška das Motiv des Kindes. Kinder bedeuten unser Ausgeliefertsein an die Welt. Es sind unsere Kinder, die wir beschützen und für die wir verantwortlich sind. Zugleich sind wir jedoch auch selbst Kinder, die nicht aus eigenem Willen hier hergekommen sind. Wir sind in Geiselhaft genommen – und tragen Verantwortung; um diese Achse kreisen viele von Hruškas Versen. Sich nicht verlieren, aber auch nicht enttäuschen. Gewappnet sein mit der Fähigkeit zu beobachten und zu begreifen, sich zugleich aber auch die wertvolle, zerbrechliche Wehrlosigkeit erhalten, wie ein Bettler sein kostbarstes Almosen behält: „Du drücktest und streicheltest deine Mütze / als deine Mutter mich fragte / ob mir Liebe etwas sagt.“
Das Rätselwort Darmata erscheint als Anagramm. Andauernd spielen sich kleine dramata – Dramen – ab, irgendwo im Hintergrund, Verknotungen von Missverständnissen, Irrtümern, Unzulänglichkeiten. Es gibt aber auch noch andere verborgene Bedeutungen. Vor allem die Geste selbst, das Bild: Der unverständliche Ruf des Jungen über den Fluss. Man könnte ihn vielleicht auch so verstehen: Was habt ihr mir denn da gegeben? Was ist das für ein verworrenes Geschenk? Was tun, damit ich nicht umsonst – darmo – darin hängenbleibe? Hruškas scheinbar schlichte Lyrik bringt beunruhigende, überraschende Fragen zum Vorschein, sie birgt einen ungewöhnlichen, dabei aber sehr menschlichen Einblick in das Geheimnis der „Alltags“welt und unseres Aufenthalts in ihr.