„Yolocaust“–Projekt
„Ich wollte, dass man über die Selfie-Kultur spricht“

Shahak Shapira
Shahak Shapira | Foto: © Shahak Shapira

Für Yolocaust kombiniert Shahak Shapira am Holocaust-Mahnmal in Berlin aufgenommene Selfies mit Bildern aus Konzentrationslagern. Das Projekt des israelischen Satirikers endet, nachdem sich die abgebildeten Personen gemeldet haben. Die Diskussion nicht.

Herr Shapira, Ihr Projekt hat schnell viel Aufmerksamkeit bekommen. Die Website www.yolocaust.de wurde innerhalb weniger Tage mehr als 2,5 Millionen Mal aufgerufen, diverse Medien berichteten. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Mir ist irgendwann das Phänomen der Selfies am Mahnmal in Berlin aufgefallen. Ich habe solche Fotos auf Tinder, auf Instagram und auf Facebook gefunden und vor ein, zwei Jahren kam mir die Idee, das mit Holocaust-Fotos zu kombinieren.

Das Projekt ist also nicht aus einem spontanen Ärger heraus entstanden?

Wenn ich schnell und aktuell sein möchte, mache ich auch mal Sachen aus dem Moment heraus. Yolocaust habe ich genau geplant, weil ich wusste, dass das Projekt für manche radikal sein würde. Ich bin kein Fan davon, einen Witz oder ein Kunstwerk zu machen und mich danach zu entschuldigen. Meistens weiß ich vorher, wie die Reaktionen sein werden.

Ihnen war also bewusst, dass das Projekt Kontroversen auslösen könnte?

Das war das Interessante daran. Ich wollte niemanden etwas vorschreiben, ich wollte, dass man darüber spricht, ob es richtig oder falsch ist, sich an diesem Ort so zu benehmen.

Es gab sehr positive Rückmeldungen für Yolocaust, von Historikern oder von Lehrern, die das Projekt im Unterricht zeigen wollten. Welche Reaktion hat Sie am meisten berührt?

Der junge Mann, der seinem Selfie die Unterschrift „Jumping on dead Jews @ Holocaust Memorial“ gegeben hatte, hat mir die interessanteste Antwort geschickt. Er war erschrocken darüber, was seine Worte und sein Foto ausgelöst hatten und hat mich gebeten, seine Collage runterzunehmen. Er hatte nur einen Witz für seine Freunde machen wollen.

„ES WURDEN AUCH UNWAHRHEITEN VERBREITET"

Yolocaust wurde auch kritisiert. Unter anderem hieß es, das Projekt sei auf einen „billigen Effekt“ aus.

Ja, ich weiß. Was mich geärgert hat: Es wurden auch Unwahrheiten verbreitet. So wurde behauptet, dass mein Buch durch die große Aufmerksamkeit auf die Bestsellerliste schoss, das stimmt einfach nicht. Mein Buch war schon vorher ein Bestseller. Außerdem wurde mir unterstellt, dass ich mich damit selbst promoten wollte. Das ist totaler Unsinn. Auf der Yolocaust-Website stand nur mein Name. Keine Biographie mit Foto, kein Hinweis auf mein Buch. Dagegen sind einige meiner Kritiker, die zum Beispiel selber auch Schriftsteller sind, auf meiner Welle mitgeritten, in diesen kritischen Artikeln waren große Bilder von den Autoren und ihren Büchern zu finden. Der Vorwurf war absurd. Natürlich wollte ich, dass mein Projekt bekannt wird, dass diese Botschaft so viele Menschen wie möglich erreicht. Das ist der Sinn solcher Projekte.

Es wurde auch argumentiert, dass das Mahnmal ausdrücklich ein Ort sein soll, an dem man jeder selbst herausfinden soll, wie man mit dem Thema Holocaustgedenken umgehen möchte. Dazu wurde der Architekt Peter Eisenman zitiert: „Es ist kein heiliger Ort“.

Das Zitat ist richtig, aber das Argument ist faktisch falsch. Denn zwar hat Peter Eisenman keine Regeln aufgestellt, die Stadt Berlin aber sehr wohl. So darf man das Mahnmal nur zu Fuß und langsam durchqueren. Lärmen, von Stein zu Stein springen und so weiter, das ist alles untersagt. Aber selbst wenn jeder dort tun dürfte, was er wollte, hätte ich auch das Recht, diese Gedenkkultur zu hinterfragen.

„ES GIBT KEINE GESCHMACKVOLLEN BILDER VOM HOLOCAUST“

Sie haben für die Collagen Bilder mit Opfern der Shoah verwendet. Antwortet man so nicht mit einer Pietätlosigkeit auf eine Pietätlosigkeit?

Diese Frage kam oft. Aber keiner der Medien, die diese Frage gestellt hat, hat die Gesichter der Opfer verpixelt. Viele haben die Gesichter der Selfie-Touristen verpixelt, aber nicht die der Opfer. Ein bisschen heuchlerisch, oder? Es gibt keine geschmackvollen Bilder vom Holocaust. Die Nazis haben ihren Gefangenen erzählt, dass die Welt nie mitbekommen wird, was mit ihnen passiert. Deshalb ist es unsere Pflicht, diese Bilder zu zeigen. Alle verwendeten Bilder sind zudem öffentlich zugänglich.

Das Berliner Mahnmal steht nicht auf dem Gelände eines Konzentrationslagers. Wäre die Diskussion anders verlaufen, wenn man das Projekt etwa in Auschwitz gemacht hätte? Auch dort gibt es eine „Selfie-Kultur“.

Wer nach Auschwitz fährt, weiß in der Regel, wo er ist. Da müsste man noch mehr hinterfragen, warum die Besucher sich ausgerechnet dort so verhalten. Ich habe das Gefühl, dass das Projekt am Holocaust-Mahnmal eine größere Wirkung entfalten konnte, weil viele der Leute, die dort Selfies machen, sich nicht ganz darüber im Klaren sind, wo sie das gerade tun.

Das Projekt hat auch eine neue Diskussion über die Erinnerungskultur in Deutschland angestoßen. Wünschen Sie sich auch eine andere Form der Diskussion?

Ich finde die Erinnerungskultur in Deutschland nicht schlecht. Sie ist nicht perfekt, sie wird nie perfekt sein, da ist immer Luft nach oben. Deutschland sollte aber seine Erinnerungskultur selbst bestimmen. Man fragt immer wieder Juden wie mich, wie man gedenken soll oder wie antisemitisch Deutschland ist. Warum soll ich das definieren? Deutschland scheint so wenig Identität zu haben, dass Ausländer gefragt werden, was typisch deutsch ist, was ich schon wieder irgendwie niedlich finde.
 
Shahak Shapira ist ein israelischer Schriftsteller, Musiker und Satiriker. Am Silvesterabend 2014 wurde Shapira in Berlin von einer Gruppe antisemitischer Männer angegriffen. Weil er sich dagegen wehrte, dass sein Fall für antimuslimische Propaganda missbraucht wird, berichteten zahlreiche Medien über den Vorfall. Sein autobiographisches Buch Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen erschien im Mai 2016 und erreichte Anfang 2017 in den Bestsellerlisten Rang 18.

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