Zeitzeugen
Ein DDR-Kind von Namibia
Als Nangula Costa vom Kulturreferenten der Deutschen Botschaft in Namibia im Jahr 2017 gefragt wurde, ob sie eine Reise in ihre Vergangenheit antreten wolle, zögerte sie. Über die Geschichte der DDR-Kinder von Namibia kursieren viele Versionen und auch viele Gerüchte. Die Einladung, zusammen mit fünf namibischen Journalist*innen, ihr ehemaliges Internat Schloss Bellin und frühere Schulorte zu besuchen, bot ihr aber die Chance, vieles richtig zu stellen. Den Organisatoren – dem Auswärtigen Amt und dem Goethe-Institut – ist sie dafür sehr dankbar.
Von Nangola Costa
„Eine meiner ersten Kindheitserinnerungen ist kurz vor Weihnachten, auf Schloss Bellin in Mecklenburg-Vorpommern. Es hatte geschneit. Wir namibischen Kinder, die nur das Flüchtlingslager in Angola kannten, hielten den Schnee für Zucker. Die Enttäuschung war groß, wie kalt und nass er sich doch anfühlte. Wir waren kurz zuvor mit einem Flugzeug in der damaligen DDR angekommen. Außer mir noch 78 andere Kinder, einige davon Voll- oder Halbwaisen, manche Kinder von Partei-Funktionären der Südwestafrikanischen Volksorganisation (SWAPO) oder auch nur zufällig ausgewählte wie ich. In den Jahren 1979 bis 1989 wurden insgesamt 430 namibische Kinder in der DDR untergebracht – wir werden auch die Ossi-Kinder von Namibia genannt.
Ich selbst fühlte mich lange als schwarze Deutsche oder besser gesagt: als schwarze DDR-Bürgerin. Noch immer fühle ich mich sehr deutsch, ich bin lange auf deutsch unterrichtet worden und mit dem DDR-System und der Kultur aufgewachsen. Entgegen vieler Gerüchte wurden wir im Internat auf Schloss Bellin immer sehr gut behandelt. Die Erzieherinnen waren liebevoll zu uns - das sagen auch die anderen DDR-Kinder von Namibia. Wir haben einen Ossi-Club gegründet und sehen uns regelmäßig. Aber natürlich zieht jeder aus seiner Vergangenheit andere Schlüsse. Ich jedenfalls hatte eine wunderschöne Kindheit in Bellin, die ich nicht missen möchte. Der Ort ist sehr idyllisch, sehr grün. Das Schloss, in dem wir Gruppenräume, Schlafsäle und einen Park mit vielen Teichen und einem eignen Rodelberg hatten, ist in Paradies. Es kam mir nun sogar noch riesiger und luxuriöser vor als in meiner Kindheit.
Dass wir mit Gewehren rumgelaufen seien, stimmt nicht. Wir hatten auch keine Propagandaschulungen. Im Grunde genossen wir denselben Unterricht wie alle DDR-Schüler, nur dass wir erst deutsch lernen mussten und früher Englischunterricht hatten. Und natürlich beschäftigten wir uns in Geografie und Geschichte mehr mit Afrika.
Am meisten aber interessierten wir uns für Sport. Ich habe Hand- und Volleyball gespielt und Leichtathletik gemacht. Wir Kinder waren immer sehr beschäftigt. Während der Ferienzeit fuhren wir nach Prerow und andere Ferienlager oder auch mit den Erziehern nach Hause zu ihnen. Sie waren wie Eltern für uns. Mit unseren eigenen hatten wir all die Jahre über keinerlei Kontakt, wohl aus Sicherheitsbedenken der SWAPO.
Ich bin meiner Mutter nicht böse, dass sie mich damals weggegeben hat. Im Flüchtlingscamp hätte ich keine Ausbildung bekommen, wäre ich vielleicht vergewaltigt worden. Sie wollte mein Bestes und die DDR gab mir eine Chance, dass aus mir was wird. Traumatisch war für mich eigentlich nur der Schock, plötzlich zurück nach Namibia zu müssen. Die DDR war unsere Heimat. Nach ihrem Zusammenbruch sollte ich mit etwa 14-15 Jahren zurück in ein Land, das ich nicht kannte, zu einer Mutter, die mir vollkommen fremd war. So plötzlich von einer Kultur in die andre geworfen zu werden, ohne psychologische Hilfe - das war für uns das Schlimmste.
Elite sind wir DDR-Kinder aus Namibia definitiv nicht geworden. Um die Wahrheit zu sagen: Viele von uns wollten danach mit Politik nichts zu tun haben. Nach dem abrupten Bruch haben viele gesagt: Ich lebe lieber mein eigenes Leben. Das tue ich jetzt. Ich spreche verschiedene Sprachen, habe einen Bachelor in Kommunikation und mache neben meiner Arbeit noch ein Fernstudium. In diesem Punkt bin ich sehr deutsch: Ich glaube, wenn aus dir etwas werden soll, musst du dafür hart arbeiten.“