Erich Kästners Dresden
Als er ein kleiner Junge war

Graffiti mit Kästners Porträt in der Thieckstraße. Dies ist der Standort der Schule, die Erich Kästner zwischen seinem sechsten und dreizehnten Lebensjahr besuchte.
Graffiti mit Kästners Porträt in der Thieckstraße. Dies ist der Standort der Schule, die Erich Kästner zwischen seinem sechsten und dreizehnten Lebensjahr besuchte. | © Tomáš Moravec / Goethe-Institut

Er studierte in Leipzig, hatte seine fruchtbarsten Arbeitsjahre in Berlin und verbrachte den größten Teil seines Lebens in München. Und doch ist Dresden die Stadt, die man am meisten mit Erich Kästner verbindet. Zu Recht natürlich: Die sächsische Metropole war nicht nur Kästners Geburtsort, sondern auch seine lebenslange Liebe.

Von Tomáš Moravec

Der beste Beweis dafür ist das autobiografische Buch Als ich ein kleiner Junge war. Es wurde zu einem Zeitpunkt geschrieben, als Erich Kästner 58 Jahre alt war und die Stadt seiner Kindheit, wie er sie kannte, nicht mehr existierte. Das schmale Buch kann daher nicht nur als Liebeserklärung an seine Heimatstadt und als nostalgische Reminiszenz gesehen werden, sondern auch als Hommage an das berühmte, schöne und vergangene Dresden.

Wo war denn Kästner zu Hause?

Kästners Dresden ist die Welt der Mietskaserne an der Königsbrücker Straße, wo er aufwuchs. Zu seiner Welt gehörten die schöne Villa seines wohlhabenden Onkels Franz Augustin (heute Kästner-Museum), mehrere Schulgebäude, ein verhasster Truppenübungsplatz in der Vorstadt sowie viele Prachtbauten und beeindruckende Kunstwerke: Barocke Schlösser, die breite Einkaufsstraße Prager Straße, der Große Garten mit seinem architektonischen Schmuck oder das Waldschlösschen, das einen herrlichen Blick auf die sächsische Hauptstadt bietet.

Kästner äußerte sich allerdings nicht immer vorbehaltlos positiv über seine Geburtsstadt. Vor allem in seinen „Leipziger Jahren“, also in der ersten Hälfte der 1920er Jahre, als er an der Leipziger Universität studierte und eine sehr erfolgreiche Karriere als Journalist begann, stand er seiner Heimatstadt durchaus kritisch gegenüber. Als junger, ehrgeiziger Student und Journalist empfand er Leipzig als fortschrittlicher als Dresden. Die modernen Theaterstücke, die in Leipzig erfolgreich waren und die Kästner sehr schätzte (man denke an Ernst Tollers Hinkemann), waren beim eher konservativen Dresdner Publikum gescheitert, was der fünfundzwanzigjährige Kästner 1924 mit den Worten kommentierte: „Dresden schläft. Dieser Schlaf unterscheidet sich vom Tod nur durch seine Dauer.“ Seine vielleicht berühmteste Aussage in diesem Zusammenhang stammt aus einem Artikel für die Neue Leipziger Zeitung von 1923 mit dem Titel Märchen-Hauptstadt: „Leipzig ist das Heute. Und Dresden – das Gestern… Leipzig ist die Wirklichkeit. Und Dresden – das Märchen. Und 80 Kilometer Luftlinie liegen zwischen dem Märchen und der Wirklichkeit.“

Versuchen wir nun, das Märchen mit der Wirklichkeit zu verbinden. Machen wir einen Spaziergang entlang der langen Königsbrücker Straße, besuchen wir die Dreikönigskirche, in der Kästner getauft wurde, schauen wir uns die Orte, an denen Erich Kästner ein erfolgreicher Schuljunge war, an. Kurzum, lassen wir uns auf den Spuren eines großen Schriftstellers wandeln, der einmal ein kleiner Junge war.

Reiseutensilien-Fabrik G. L. Lippold

Trinitatisstraße (Fiedlerstraße) 36 Am Anfang war die Arbeit... Erich Kästners Eltern und ihre Vorfahren stammten aus sächsischen Kleinstädten, vor allem aus der Gegend von Leipzig. Wie kam es also, dass Erich in Dresden geboren wurde? Die Gründe waren rein wirtschaftlicher Natur. Der Vater, Emil Kästner, ein Sattler und Täschner, war mit seinem eigenen Geschäft nicht sehr erfolgreich, so dass er 1895 mit seiner Familie in die Hauptstadt des Königreichs Sachsen ging, um dort zu arbeiten. Er fand Arbeit in Lippolds Reiseutensilien-Fabrik.

„Morgens um sechs Uhr rasselte der Wecker. Eine halbe Stunde lief der junge Mann, über die Albertbrücke, quer durch Dresden bis in die Trinitatisstraße. Bis zur Kofferfabrik Lippold. Hier arbeitet er mit anderen ehemaligen Handwerken an Lederteilen, die zu Koffern zusammengenäht und -genietet wurden, bis sie einander glichen wie ein Ei dem anderen,“ beschrieb Erich Kästner mehr als 60 Jahre später den Alltag seines Vaters.

Die Trinitatisstraße würde man heute vergeblich im Dresdner Stadtplan suchen. 1938 wurde sie in Fiedelerstraße umbenannt und im Krieg weitgehend zerstört. Auch die Fabrik, in der Kästners Vater viele Jahre verbrachte, existiert nicht mehr. An ihrer Stelle in der Fiedelerstraße 36 stehen heute moderne Gebäude der Carl Gustav Carus Kliniken der Technischen Universität Dresden.

Das Geburtshaus

Königsbrücker Straße 66 Die Königsbrücker Straße ist eine der längsten Straßen in Dresden. Sie beginnt am Albertplatz, im Herzen der Dresdner Neustadt, und schlängelt sich weit bis in die Vorstädte. In der Hausnummer 66 wurde Erich Kästner am 23. Februar 1899 geboren. Es war ganz oben, im vierten Stock eines damals relativ neuen Hauses, das Kästner selbst als "Mietskaserne" bezeichnete, also eine Unterkunft für die ärmeren oder zumindest nicht zu sehr wohlhabenden Bewohner.

Erich erinnerte sich nicht daran, dort gelebt zu haben, denn die Familie zog nur in wenigen Jahren nach seiner Geburt in eine zentralere Gegend. Trotzdem schaute er sich das Haus in seinen späteren Jahren immer wieder neugierig an: „Jedes Mal, wenn ich an dem Haus vorbeiging, dachte ich: Hier bist du also zur Welt gekommen. Manchmal trat ich in den Hausflurhinein und blickte mich neugierig um. Doch her gab mir keine Antwort. Es war ein wildfremdes Haus. Dabei hatte mich meine Mutter, mitsamt dem Kinderwagen, hundert- und aberhundert mal die vier Treppen herunter- und hinaufgeschleppt! Ich wusste es ja. Aber es half nichts. Es blieb ein fremdes Gebäude.“

Ich selber bin, was sonst ich auch wurde, eines immer geblieben: ein Kind der Königsbrücker Straße.

Erich Kästner

Die Dreikönigskirche

Hauptstraße 23 Die Geschichte einer der größten Kirchen in der Dresdner Neustadt gleicht einem ständigen Kampf gegen die Zerstörung. Der ursprüngliche Bau vom Anfang des 15. Jahrhunderts wurde 1421 von den Hussiten zerstört. Das Ende der nächsten Kirchbaus wurde durch einen großen Stadtbrand im Jahr 1685 verursacht. Kaum war die Dreikönigskirche zum dritten Mal vollständig wiederaufgebaut (1730), beschloss August der Starke, sie abzureißen und wenige Meter entfernt im Rahmen der barocke Umbau der Stadt nach den Plänen des berühmtesten sächsischen Barockarchitekten Matthäus Daniel Pöppelmann neu zu errichten. Im Februar 1945 wurde die Kirche schwer beschädigt und musste bis in die zweite Hälfte der 1980er Jahre warten, um wieder vollständig saniert zu werden.

In dieser bemerkenswerten evangelischen Kirche, die die Hauptstraße der Neustadt dominiert, wurde Erich Kästner 1899 getauft und am Palmsonntag 1913 konfirmiert. Noch später betätigte er sich hier an den Sonntagvormittagen als geschickter Helfer beim Kindergottesdienst.

Das Haus der fleißigen Kindheit

Königsbrücker Straße 48
Im dritten Stock des Hauses Königsbrücker Straße 48 sammelte Erich Kästner seine ersten Kindheitserinnerungen.

Im dritten Stock des Hauses Königsbrücker Straße 48 sammelte Erich Kästner seine ersten Kindheitserinnerungen. | © Tomáš Moravec / Goethe-Institut

„Wir zogen tiefer, weil es mit uns bergauf ging“, kommentierte Kästner die Umzüge seiner Familie. Zweimal zogen die Kästners (der kleine Erich, Mutter Ida und Vater Emil, dazu ab und zu ein Untermieter) entlang der Königsbrücker Straße um: jedes Mal näher ans Zentrum, an den Albertplatz, wo auch die Villa des wohlhabenden Verwandten, Onkel Franz Augustin, stand. Und näher an das Erdgeschoss.

In Als ich ein kleiner Junge war erinnert sich Kästner daran, wie er im Treppenhaus des dritten Stocks mit Zinnsoldaten spielte und wie er die arme Frau Wilke, die eine Etage höher wohnte und das Heer der über das Treppenhaus verstreuten Spielzeuge mit großen Schritten überqueren musste, verzweifelt behinderte: „Von mir hing das Schicksaal aller beteiligten Jahrhunderte und Völker ab. Da hätte mich ein Postbote aus Dresden-Neustadt stören sollen? Oder die kleine Frau Wilke, nur weil sie ein paar Kohlrabis und ein bisschen Salz und Zucker einkaufen wollte?

Dresdner Brücken

Augustusbrücke, Carolabrücke oder Albertbrücke: Hier suchte der kleine Erich Kästner nach seiner Mutter.

Augustusbrücke, Carolabrücke oder Albertbrücke: Hier suchte der kleine Erich Kästner nach seiner Mutter. | © Colourbox / #1008

Nicht alles in Kästners Kindheit war Sonnenschein. Die Ehe seiner Eltern war nicht die harmonischste, und das etwas ungewöhnliche Verhältnis zwischen Erich und seiner Mutter Ida wird von vielen Kästner-Biographen immer wieder thematisiert.  

Ida Kästner gab alles für ihren Sohn. Sie gab ihm so viel - sowohl emotional als auch materiell -, dass - wie Kästner betont - für andere Menschen nichts übrig blieb und sie daher auf ihre Umgebung kalt, egozentrisch und herrschsüchtig wirkte. In dem bereits erwähnten Als ich ein kleiner Junge war, schreibt Erich Kästner in dem ergreifenden Kapitel Ein Kind hat Kummer am offensten über seine Mutter: „Ich jagte, von wilder Angst gehetzt und gepeitscht, laut weinend und fast blind von Tränen, durch die Straßen, elbwärts und den steinernen Brücken entgegen... Ich fand sie fast jedes Mal. Und fast jedes Mal auf einer der Brücken. Dort stand sie bewegungslos, blickte auf den Strom hinunter und sah aus wie eine Wachsfigur.“

Ida Kästners Depressionen und Selbstmordversuche endeten zum Glück nie tödlich. Sie starb 1951 im Alter von 80 Jahren. Bis dahin erfüllte der damals 52-jährige Erich Kästner fleißig die Rolle eines Mustersohns und - wie er selbst schrieb - eines Schutzengels.

Turnverein zu Neu- und Antonstadt

Alaunstraße 40 Als Erich Kästner sechs Jahre alt war, wurde er das jüngste Mitglied des örtlichen Turnvereins. Offiziell durften Kinder zwar erst mit sieben Jahren aufgenommen werden, aber der kleine Erich war ein so begeisterter (und anscheinend sehr guter) Turner, dass er sich schon etwas früher als alle anderen am Barren, an den Ringen oder am Balken turnen durfte: „Es ist herrlich, wenn der Körper, im rhythmischen Schwung, leichter und leichter wird, bis er fast nichts mehr zu wiegen scheint und, nur von den Händen schmiegsam festgehalten, in eleganteren und phantasievollen Kurven eine biegsam feste Eisenstange umtanzt!“, schrieb er später.

Das Gebäude, in dem Erich Kästner seine Muskeln übte, steht nicht mehr. Doch seit den 1950er Jahren zieht es vor allem junge Leute wieder hierher: Hier befindet sich das berühmte Kulturzentrum Scheune, das für Generationen von Dresdnern zu einer willkommenen, oft alternativen Kulturszene geworden ist.

Die 4. Bürgerschule

Thieckstraße 14 „In jener Zeit sahen alle Schulen düster aus, dunkelrot oder schwärzlich-grau, steif und unheimlich. Wahrscheinlich waren sie von denselben Baumeistern gebaut worden, die auch die auch die Kasernen gebaut hatten,“ kommentierte Erich Kästner das Aussehen des Hauses, in dem er seine lange Bildungslaufbahn begann.

Trotz dieser kritischen Bewertung muss hinzugefügt werden, dass er mehr als ein vorbildlicher Schüler war. Von Kindesbeinen an strebte er danach, Lehrer zu werden und schreibt stolz, dass sein Schulbesuch „an einen Rekord grenzte“ - er versäumte keinen einzigen Unterrichtstag! Selbst als er im Alter von acht Jahren im Treppenhaus stolperte und sich die Zunge durchbiss, ging er gleich am Folgetag zur Schule. Der kleine Erich war, wie Kästners Biograph Sven Hanuschek mehrmals erwähnt, ein echter Musterknabe - so ähnlich wie Kästners berühmteste Romanfigur Emil Tischbein.

Auch dieses düstere Schulgebäude in der Thieckstraße gibt es nicht mehr; das Ende des Zweiten Weltkriegs war auch sein Ende. Heute steht an seiner Stelle eine andere Schule, nämlich ein Berufliches Schulzentrum für Wirtschaft. Es nimmt eine ganze Straßenseite ein und ist ebenfalls eher schwarz und grau, aber die Erinnerung an Kästner bleibt sehr farbenfroh: zumindest, wenn man nach den örtlichen Graffiti urteilt.

Villa Augustin

Antonstraße 1 / Albertplatz Kästners Verwandtschaft war recht zahlreich und hatte logischerweise unterschiedliche Schicksale: Einige waren im Leben erfolgreich, andere nicht. Onkel Franz Augustin zum Beispiel, der Bruder von Kästners Mutter Ida, hat es bis zum Millionär gebracht. Wie hat er das geschafft?

Der geschäftstüchtige Metzger mit den spitzen Ellenbogen und der unerschütterlichen Autorität („Er brüllte und die andern zitterten. Sie zitterten noch, wenn er Späße machte“, schrieb Kästner) setzte Anfang des 20. Jahrhunderts auf den Pferdehandel - und war als Pferdehändler äußerst erfolgreich. Noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs kaufte er ein Haus mitten in der Dresdner Neustadt, am Albertplatz: „Haus ist nicht das richtige Wort. Es handelte sich u eine zweistöckige, geräumige Villa mit einem schattigen Garten, der fast in Park war und mit der Schmalseite an den Albertplatz grenzte,“ meinte Kästner.

Der kleine Erich verbrachte ziemlich viel Zeit in der Villa Augustin; immerhin war es von der Wohnung der Kästners in der Königsbrücker Straße 48 hierher nur ein Katzensprung. „Am liebsten hockte ich auf der Gartenmauer und schaute dem Leben und Treiben auf dem Albertplatze zu,“ - dieser Satz aus Kästners Memoiren verursachte die Entstehung der schönen Bronzestatue, die heute an der Gartenmauer zu finden ist. Er zeigt den Autor als zufriedenen Jungen, der interessiert das Treiben in der Stadt beobachtet. Und er ist nicht ohne Grund dort: Seit dem Jahr 2000 beherbergt die Villa Augustin das Erich Kästner Museum.

Die letzte elterliche Wohnung

Königsbrücker Straße 38
Ihr drittes und letztes Zuhause fanden die Kästners auf der Königsbrücker Straße in Dresden unter der Nummer 38.

Ihr drittes und letztes Zuhause fanden die Kästners auf der Königsbrücker Straße in Dresden unter der Nummer 38. | © Tomáš Moravec / Goethe-Institut

Etwa zu der Zeit, als die Augustins in ihre Villa einzogen, verbesserte sich auch die finanzielle Situation der Kästners, und sie zogen ebenfalls zum Albertplatz. Im Gegensatz zu ihren wohlhabenderen Verwandten war die Familie jedoch wirtschaftlich nicht ganz auf der Höhe, und so zog auch der langjährige Untermieter Paul Schurig mit Emils Lederriemen, Idas Haushalt und Erichs Zinnsoldaten von der Nummer 48 in die Nummer 38.

Schurig hatte seit Erichs Kindheit bei den Kästners gelebt und wurde von ihm daher quasi als Onkel betrachtet. Fast wäre er auch einer geworden: Schurig wollte Emils Cousine Dora Augustin heiraten, aber Doras Vater, der schon erwähnte, brüllende Onkel Franz, weigerte sich, sie dem armen Lehrer zu geben.

Der zweite Stock des Hauses, das schon in Sichtweite der Villen am Albertplatz steht, wurde für viele Jahrzehnte das Zuhause von Kästners Eltern. Hier blieben sie auch nach dem Krieg, denn die Katastrophe, die Dresden im Februar 1945 zerstörte, verschonte relativ die Häuser in diesem Teil der Königsbrücker Straße: Mit ausgeschlagenen Fenstern, ohne Heizung, aber immerhin mit einem Dach über dem Kopf überlebten Ida und Emil Kästner hier auch die vernichtenden Luftangriffe im Februar 1945.

Pionierkaserne

Königsbrückerstraße 88 Wie es das Schicksal wollte, kehrte Kästner auch nach dem Verlassen des Elternhauses in seine Heimatstraße zurück: und zwar als Soldat. Während seines Militärdienstes hielt er Wache vor der Pionierkaserne, einem der Gebäude im riesigen Komplex des Dresdner Arsenals. Die Kaserne steht in der Königsbrückerstraße 88 bis heute, kaum ein paar Dutzend Meter von Kästners Geburtshaus entfernt. Und - ein lieber Zufall - in ihrer unmittelbaren Nähe befindet sich auch das Dresdner Goethe-Institut.

Diese Straße und ich kamen voneinander nicht los! Wir trennten uns erst, als ich nach Leipzig zog. Dabei hätte ich mich gar nicht gewundert, wenn sie mir nachgereist wäre!

Erich Kästner

Der große Garten

Hauptallee 10
Ein Kavaliershaus im Großen Garten, Dresden.

Ein Kavaliershaus im Großen Garten, Dresden. | © Rufus46 / CC3.0

Wo hat es Erich Kästner in Dresden gefallen? Es gab viele solcher Orte! Aber erwähnen wir einen ganz besonderen: Er ging besonders gern in den Großen Garten, wo er nicht nur die blühenden Blumen, sondern auch die Architektur oder die barocke Vase von Antonio Corradini bewunderte (die heute noch dort zu finden ist).

Insbesondere die kleinen Pavillons, die am Rande des inneren Gartens errichtet wurden, die so genannten Kavaliershäuser, zogen seine Aufmerksamkeit auf sich: „In einem der Kavaliershäuschen, dachte ich als junger Mann, würdest du fürs Leben gerne wohnen! Womöglich wirst du eines Tages berühmt, und dann kommt der Bürgermeister, mit seiner goldenen Kette um den Hals, und schenkt es dir, im Namen der Stadt.“

Freiherrlich von Fletchersche Lehrerseminar

Marienallee 5 Bevor er ein berühmter Schriftsteller wurde, hatte Erich Kästner den Wunsch, Lehrer zu werden. Es war sein Kindheitstraum, maßgeblich beeinflusst durch das gute Verhältnis zu seinem familiären Untermieter und Freund, dem Lehrer Paul Schurig. Der Weg zum Lehrerberuf führte unter anderem über eine Bildungseinrichtung mit dem klangvollen Namen „Freiherrlich von Fletchersches Lehrerseminar“, ein 1769 von Friederica Christiana Elisabeth von Fletcher gegründetes Institut zur Ausbildung künftiger Lehrer.

Der angehende Lehrer Kästner trat im Alter von vierzehn Jahren in das Seminar ein, verbrachte dort fünf Jahre und war nicht gerade glücklich. An der Schule herrschte eine strenge, fast militärische Disziplin. Kästner nannte das Ort „die Lehrerkaserne“ und fasste seine Erfahrungen im kritischen Artikel Zur Entstehungsgeschichte des Lehrers (1946) in etwa so zusammen, dass Erziehungsinstitute ihre Schützlinge erziehen und entwickeln sollen, nicht auf ihnen herumtrampeln.

Am liebsten erinnert er sich an eine lustige Episode: Einmal verkleidete er sich während des Faschings in der Turnhalle als Mädchen. Er blieb unerkannt und erhielt von seinen Mitschülern so viel Aufmerksamkeit wie noch nie zuvor.

Auch das prächtige Gebäude, das mit dem Geld von Friederica von Fletcher gebaut wurde, steht nicht mehr. Es wurde im Krieg fast vollständig zerstört, in den 1960er Jahren wurde auf den Ruinen eine neue Schule gebaut; heute befindet sich hier die Waldorfschule. Und auch die Turnhalle, die vielleicht das einzige Gebäude des Komplexes ist, das den Krieg und die Nachkriegszeit überstanden hat.

König Georg Gymnasium

Fiedlerstraße 25 Erich Kästner ist doch nicht Lehrer geworden. Gott sei Dank, könnte man sagen, angesichts seiner zahlreichen gelungenen literarischen Arbeiten. Nach seiner Dienstzeit im Ersten Weltkrieg (an die Front musste er nicht; wie wir bereits wissen, leistete er einen Teil seines Dienstes als Kasernenwächter auf der Königsbrücker Straße) gab er seinen Traum vom Lehrerberuf auf: „Ich war kein Lehrer, sondern ein Lerner. Ich hatte Lehrer werden wollen, um möglichst lange ein Schüler bleiben zu können.“ Der neunzehnjährige Kästner stand damals kurz vor seinen letzten Lehramtsprüfungen (die er sicher mit Bravour bestehen würde) im Wohnzimmer vor seiner Mutter, seinem Vater und Paul Schuring und sagte zu ihnen: „Ich kann nicht Lehrer werden!“ Er drückte seinen Wunsch aus, weiter zur Schule zu gehen, das Abitur zu machen, nicht um zu unterrichten, sondern um selbst weiter zu studieren. Ida Kästner stand ihm wie immer zur Seite: „Gut, mein Junge! Studiere!“

Und so studierte Kästner. Das Dresdner Gymnasium König Georgs nahm ihn in seine Klassen auf, und weil er ein hervorragender Schüler war, verlieh es ihm sogar ein Stipendium, das ihm den Eintritt in die Universität Leipzig ermöglichte. Aber dann war Kästner kein kleiner Junge mehr, und deshalb kann man über seine Universitätsstudien an einer anderen Stelle lesen.

 

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