„Luz“, Tilman Singer
Halloween-Spezial: Horrorfilme aus Deutschland (II)

Filmstill aus „Luz“ von Tilman Singer, 2018
Filmstill aus „Luz“ von Tilman Singer, 2018 | Foto (Ausschnitt): Tilman Singer © Bildstörung

Der erste Langspielfilm von Tilman Singer bietet zahlreiche Interpretationen einer kryptischen Geschichte über dämonische Besessenheit.

Von Miguel Muñoz Garnica

Ganz tief im Inneren, unter einer dichten Schicht möglicher Subtexte, ist Luz ein Liebesfilm. In einem Nebel, der selbst die Innenaufnahmen durchdringt, lassen sich die Teile der Geschichte erahnen: ein Nonneninternat, zwei Teenager, eine verbotene Romanze ... In der Schlussszene erscheint Luz (Luana Velis), die chilenische Hauptdarstellerin, in einer Art abstraktem Fegefeuer, wo sie im übertragenen wie im wörtlichen Sinne mit schmerzhaften Erinnerungen konfrontiert wird. Und vielleicht öffnet sich nach diesem Prozess die verschwommene Beleuchtung, die sie umhüllt, zu dem Moment, in dem Luz [Luz bedeutet auf Spanisch wörtlich Licht] eben genau das Licht sieht. Singer lässt in seinem Debütfilm die letzte Einstellung seiner Protagonistin offen für die Möglichkeit einer intimen Enthüllung und das Hinausbeschwören fremder Wesen.

Besessenheit

Luz ist ein Film, der seine Horrorelemente aus dämonischer Besessenheit bezieht. Tilman Singer hatte das Projekt ursprünglich als Kurzfilm konzipiert, der aus der Verhörsequenz in der Mitte des Films bestehen sollte. Als er das Konzept weiter ausbaute, baute er das Element  der Besessenheit ein, dessen „Wesen“ sollte jedoch keinerlei körperliche Präsenz annehmen. Die Besessenheit bleibt somit völlig unbestimmt und schwankt zwischen ungreifbaren Bildern und Erzählungen. Obwohl es in diesem Sinne auch konventionellere Szenen gibt – die Erscheinung der besessenen Figur mit leeren Augen und gutturaler Stimme –, wird in Luz nie ganz klar, wer die Besessenen sind, ob es überhaupt Figuren gibt, die nicht besessen sind, oder was genau das besitzergreifende Wesen ist. Wenn man der Liebesgeschichte im Hintergrund Glauben schenken darf, nimmt die Besessenheit die Gestalt von Kräften an, die in uns eindringen und uns vorschreiben, was wir zu tun und wen wir zu lieben haben.

Filmstill aus „Luz“ von Tilman Singer, 2018
Filmstill aus „Luz“ von Tilman Singer, 2018 | Foto (Ausschnitt): Tilman Singer © Bildstörung

Schichten

Luz sind mehrere verschiedene Filme in einem. In der zweiten Szene begegnen sich zum Beispiel zwei Figuren in einer seltsamen Bar: ein Ausbruch von Lust ohne Liebe, ausgedrückt in Gesten und animalischen Blicken der Schauspieler, die sich dennoch kaum berühren. Diese Szene offenbart das hochkomplexe Schichtsystem, das die Erzählweise des Films prägt. Die Geschichte von Luz wird durch die Szene eines Autounfalls zunächst heraufbeschworen und dann durch Hypnose rekonstruiert, was wiederum eine Szene aus ihrer Jugendzeit in Erinnerung ruft, hinter der sich wiederum eine Reihe von Liebesszenen verbergen, deren Inhalt kaum zu erahnen ist. Schichten gehen in andere Schichten über und verleugnen sich beinahe gegenseitig, um eine große, unendliche Besessenheit zu schaffen, die die Figuren oder den Sinn wie Zuckerwürfel schmelzen lässt. Letztendlich sind die langen, nebligen Aufnahmen eine Einladung, unsere eigenen Schlüsse zu ziehen.

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