Job

Benutzen statt Besitzen

Foto: © VotocVohoz

Die Kleidertauschbörse votocvohoz.cz will verantwortungsvollen Konsum etablieren

Foto: © VotocVohoz
Die Internet-Tauschbörse für gebrauchte Modeartikel heißt ín Tschechien „VotočVohoz“, frei übersetzt: „Dreh die Klamotten um“. Foto: © VotocVohoz

Kollaborativer Konsum war bereits 2010 laut „Times Magazine“ eine von zehn Ideen, die das Leben auf der Erde verändern werden. Das schwerfällige Schlagwort steht für ein einfaches Prinzip. Anstatt dass jeder für sich selbst viele neue Dinge kauft, organisieren sich Menschen, zumeist über das Internet, um Autos zu teilen, gemeinsam zu gärtnern oder um Urlaub in der getauschten Wohnung zu machen. Neudeutsch heißt das dann „Carsharing“, „Urban Gardening“ oder „House Swapping“. Es führt zurück zum sparsamen, verantwortungsvollen Umgang mit Konsumgütern.

Janet Lavicka, 26, will die Ökonomie des Teilens auch in der Heimat ihrer Eltern etablieren. Im Januar 2011 hat sie zusammen mit Lukáš Vala den „Kleiderkreisel“, eine Internet-Tauschbörse für gebrauchte Modeartikel, nach Tschechien gebracht. Hier heißt die Plattform „VotočVohoz“, frei übersetzt: „Dreh die Klamotten um“.

Sozialer Mehrwert

Wie man einen untragbar gewordenen Rock zum Kreiseln bringt, statt ihn einfach in die Tonne zu schmeißen, das erklärt Lavicka auf in ihrem Prager Büro. Mit ein paar Klicks auf dem Laptop legt sie ein Profil an, lädt ein Foto des Rocks samt Beschreibung hoch, gibt ihren Wunschpreis an und setzt ein Häkchen, um zu signalisieren, dass sie sich auch ein Tauschgeschäft vorstellen kann. Bis sich ein Kaufinteressent meldet, kann Lavicka in rund 600.000 Angeboten stöbern, im Forum über Modetrends diskutieren oder Schoko-Muffins nach dem Rezept einer der vielen „VotočVohoz“-Bloggerinnen backen.

Foto: © VotocVohoz

Das vierköpfige Team in Prag. Janet Lavicka ist die zweite von rechts. Foto: © VotocVohoz

Der wahre Mehrwert solcher Tauschbörsen ist der soziale. Wenn sich Nachbarn zum Beispiel eine Bohrmaschine gemeinsam zulegen, entstehen laut der Erfinderin des „Benutzen statt Besitzen“-Prinzips Rachel Botsman Gemeinschaften in einer von Individualität geprägten Gesellschaft. Das will auch Lavicka mit ihrer Kleidertauschbörse erreichen. Durch Tauschpartys, Fotowettbewerbe und Online-Diskussionen soll eine Community entstehen.

„Mich interessiert das vor allem von der kulturellen Seite her“, sagt Lavicka. Sie habe wissen wollen, ob der Gedanke des kollaborativen Konsums auch in Tschechien auf fruchtbaren Boden falle. Second-Hand-Mode sei in Tschechien ein Nischenphänomen und die Idee, ein Kleidungsstück durch Tausch zu erwerben für viele gewöhnungsbedürftig. Ein Blick auf die Nutzerstatistiken jedoch zeigt, dass Kleidertausch auch in Tschechien funktioniert. Nach knapp zwei Jahren zählt die Plattform fast 95.000 Mitglieder, mehr als 90 Prozent davon sind weiblich. Täglich kommen etwa 450 neue User hinzu. Getauscht oder verkauft werden jeden Tag um die 1.200 Kleidungsstücke.

Kleiderkreisel erobert Europa

Lavickas Familie, erzählt die gebürtige Wiesbadenerin schmunzelnd, schüttele noch immer den Kopf über sie. Mitte der 1980er sind ihre Eltern auf die andere Seite des Eisernen Vorhangs geflohen. Dass sie knapp 30 Jahre später mit Business-Plänen „zurück in den Osten“ geht, sei für die Verwandten in České Budějovice noch immer unverständlich. Dabei ist der Kleiderkreisel ein Kind des vereinten Europas. Eine Freundin hat die Idee von einer Reise aus Litauen mit nach Deutschland gebracht. Heute sitzen in Vilnius knapp 40 Mitarbeiter – vor allem Programmierer. Von München aus entstand in Deutschland die größte Kleiderkreisel-Community mit einer halben Million User. Auch eine österreichische und eine polnische Version sind inzwischen online.

Quelle: © VotocVohoz.cz

So ungefähr sieht's aus. Screenshot der Internetseite VotocVohoz.cz

Der kollaborative Kleiderschrank ist in Tschechien bislang eine Erfolgsgeschichte – mit offenem Ende. Über Werbebanner auf der Seite komme laut Geschäftsführer Vala zwar Geld in die Kasse. Aber um das inzwischen auf vier Mitarbeiter angewachsene Prager Team und das spartanisch eingerichtete Büro bezahlen zu können, sei man bislang auf einen Investor angewiesen. „Im Laufe des Jahres wollen wir unabhängig von ihm sein und finanziell auf eigenen Beinen stehen“, sagt Vala.

Bis dahin wartet viel Arbeit auf das junge Team. Zwölfstündige Arbeitstage seien laut Lavicka keine Seltenheit. „Manchmal wächst mir das Projekt über den Kopf“, sagt die Slawistik-Studentin, die gerade an ihrer Bachelor-Arbeit schreibt. Es ist harte Arbeit. Manchmal, am Morgen in der Tram etwa, sieht sie, dass es sich lohnt. „Es ist schon toll, jemandem mit einem „VotočVohoz“-Anstecker zu begegnen. Man hat das Gefühl, etwas zu bewegen“, sagt Lavicka.

Martin Nejezchleba

Copyright: Goethe-Institut Prag
Juni 2013
Links zum Thema

Überall auf der Welt leben Menschen für eine bessere Zukunft. Wir sammeln ihre Geschichten und zeigen, was heute schon möglich ist. jadumagazin.eu/zukunft

Weitere Beiträge zum Thema

Reparáda ist unser unternehmerischer Brutkasten
Eine Bibliothek in der es Kleider statt Bücher gibt, eine Boutique mit originellen Kreationen junger Designer, Kleidungs- und Fahrradwerkstatt, co-working space: All das ist Reparáda.

Benutzen statt Besitzen
Die Kleidertauschbörse votocvohoz.cz (frei übersetzt: „Dreh die Klamotten um!“) will in Tschechien verantwortungsvollen Konsum etablieren.

Stil ist Mut, über den Tellerrand zu schauen
Etwas Praktisches wollte Mary Scherpe neben ihrem Studium der Kunstgeschichte machen – und gründete im Jahr 2006 den Modeblog stilinberlin.de. Heute betreibt die 29-Jährige das digitale Stilmagazin hauptberuflich.

Beswingte Besinnung
Drei Jahrzehnte auf dreißig Quadratmetern: Die „Kaufbar“ in Leipzig bietet Retro-Mode der 1930er bis 1950er Jahre. Wo im Hintergrund Swing läuft und Stil im Vordergrund steht.    

Ein Label, das aus dem Rahmen fällt
Nur wenige Meter abseits der Touristen-Trampelpfade, in einer ruhigen Straße gleich hinter dem Prager Nationaltheater gelegen, versteckt sich eine Pflichtadresse für modebewusste Prager und Pragbesucher: die LEEDA Boutique.  

Swappen statt Shoppen
Man gibt seine alten Klamotten ab, nimmt neue mit und macht daraus was ganz Besonderes. So funktioniert das Kleidertausch-Event Fashion Reloaded.  

Themen auf jádu

Gemischtes Doppel | V4

Vier Kolumnisten aus der Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn schreiben über die Bedeutung Europas, Rechtspopulismus, nationale Souveränität, gesellschaftlichen Wandel, die Arroganz des westlichen Blicks – und brechen damit staatliche und gedankliche Grenzen auf. Mehr...

Heute ist Morgen
Oder ist es umgekehrt?! Und war nicht auch gestern schon mal Morgen? In was für einer Welt wollen wir gerne leben? Und wie lange wollen wir warten, bis sie Wirklichkeit wird? Mehr...

Im Auge des Betrachters
… liegt die Schönheit. Da liegt aber auch die Hässlichkeit – und alles dazwischen. Als Betrachter sind wir jedoch nur selten allein. Und als Betrachtete sowieso nicht. Mehr...

Dazugehören
Seit gesellschaftliche Akteure jeder Couleur ihre Forderung nach Integration einem Mantra gleich herunterbeten, gerät viel zu oft in Vergessenheit, dass Integration ein individueller Prozess ist, der auch von uns selbst etwas verlangt. Mehr...

Themenarchiv
Ältere jádu-Schwerpunkte findest du im Themenarchiv. Mehr...