Beswingte Besinnung
Boleros, Petticoats und ein kleines Plädoyer – Zu Besuch in einem Retro-Salon
Drei Jahrzehnte auf dreißig Quadratmetern: Die „Kaufbar“ in Leipzig bietet Retro-Mode der 1930er bis 1950er Jahre. Kleider, Accessoires und Kopfbedeckungen – vorwiegend Frauen werden in Manja Kohls Salon fündig. Wo im Hintergrund Swing läuft und Stil im Vordergrund steht.
Herbstwind zieht auf, die Sonne verschwindet hinter den Dächern der Leipziger Südvorstadt, draußen wird es allmählich ungemütlich und kalt, doch die Tür in eine andere Zeit steht weit offen. Manja Kohl hat Platz genommen auf einem schmalen, aber gemütlichen Sessel, der seit 60 Jahren zuverlässig seinen Dienst verrichtet. Sie wartet auf retroaffine Kundschaft.
Während sich sanfte Swing-Töne der „Andrew Sisters“ einen Weg durch den vollgeräumten Salon bahnen, wischt die Inhaberin mit ihren Fingern hektisch über ein Smartphone der neusten Generation. So viel Anachronismus will erlaubt sein. Und im Alltag des 21. Jahrhunderts ist Kohl schließlich Teamleiterin bei einer Bank. Wie kommt eine Frau wie sie zu einem solchen Salon?
Angefangen habe alles mit handgemachten schmucken Hüten für den Eigenbedarf. Die kamen im Freundes- und Bekanntenkreis derart gut an, also machte Kohl den Kopfschmuck kaufbar – in der „Kaufbar“. Weil sie „nicht so der Online-Typ“ sei, kam ihr die Idee mit dem kleinen Salon, der im Herbst 2012 seinen ersten Geburtstag feiert. Dass Sortiment erweiterte sich von Kopfbedeckungen körperabwärts über Blusen, Kleider und Röcke. Demnächst sind die Füße dran: „Bald wollen wir hier auch Schuhe anbieten.“
„Lindy Hop“ für Laien
Wenn sie von „wir“ spricht, meint Manja Kohl sich und Karsten Flemming, mit dem sie den Salon gemeinsam betreibt. Dritte im Bunde ist Designerin Anne Kämpfe. Sie schneidert viele der Kleider und Röcke aus feinen Stoffen und im Stile längst vergangener Zeiten. Gemeinsam veranstalten sie auch regelmäßig in Leipzig den „Sunday Tea Dance“, ein Treffen zum kollektiven Schwelgen an die Hochzeiten des Swings Anfang der 1930er Jahre. Selbstredend im passenden Outfit, mit einem Schnupperkurs im „Lindy Hop“, dem Ursprung des Swing-Tanzes, und anschließender Modenschau.
Manja Kohls Faible für Retro, für die 1930er bis 1950er Jahre, rührt von einer, wie sie sagt, „Vorliebe für schöne Sachen“. So einfach ist das. Sie mag es nicht, Kleidung von der Stange in einheitlichen Shops von Modeketten zu kaufen. Ihre Leidenschaft sind Flohmärkte und Second-Hand-Ware, ganz gleich ob bei Kleidung oder Möbeln. „Meine Wohnung gleicht einem Museum“, sagt sie mit einem herzhaften Lachen, das viel Stolz darauf und ein wenig peinliche Berührtheit verrät. Dass sie auch zur Arbeit in einem extravaganten Outfit erscheinen kann, hat sie der Toleranz ihres Chefs zu verdanken. Doch sie setzt auch sich selbst Grenzen: „Ich würde nie in einem Petticoat herumlaufen.“
Kohls Leidenschaft für vergangene Jahrzehnte spiegelt sich nicht nur in einer modischen Schale wieder, sie hat einen tieferen Kern. Was sie an den Jahren vor und vor allem kurz nach dem Zweiten Weltkrieg so mag, ist die Tatsache, dass „eine Frau eben so auftrat wie eine Frau“. Mit dieser etwas kryptischen Aussage spielt Kohl auf die „Korrektheit der Kleidung“ an: feminin, figurbetont, klassisch schick – doch vielmehr noch auf das Auftreten der Frauen in der Öffentlichkeit: ihre Haltung, ihr Verhalten, ihre Etikette eben. Kurz gesagt: Es geht um äußerlichen wie innerlichen Stil.
Gefallen am süßen Salon
Die detaillierten Ausführungen, das kleine Plädoyer der Inhaberin über ihr Idealbild von Frau wird jäh durch das Eintreten zweier Kundinnen unterbrochen. Christiane und Lisa sind auf der Suche nach einem passenden Outfit für ein Rockabilly-Fotoshooting. Christiane hatte sich schon einmal in dem Salon umgesehen, in dem es so viel zu entdecken gibt, und fand ihn „total süß und schön“. Sie fand über den Rock ‚n‘ Roll zu den Fünfzigern. Für die 28-Jährige hat die Kleidung aus dieser Zeit etwas Besonderes, „alles wirkt so fröhlich“.
Retro bedeutet zwar auf Latein „rückwärts“, ist aber eigentlich vielmehr ein Merkmal derer, die modisch stets auf der Höhe der Zeit sind – und ihr manchmal auch ein bisschen voraus. Zwei aktuelle Beispiele neu belebter Retro-Trends sind laut Kohl Punktemuster auf den Kleidern und der klassische Matrosenstil in marineblau, der im Sommer wieder vielerorts zu bewundern war.
Für Manja Kohl steckt hinter ihrer Retro-Mode auch eine Rückbesinnung auf Werte. Hier denkt sie nicht unbedingt in moralischen Kategorien, sondern zunächst an die Anerkennung und Wertschätzung für handgemachte Kleidung. Statt des T-Shirts „Made in China“ für 4,99 Euro also lieberein fesches Kleid, eine Vintage-Frisur, dazu vielleicht noch ein adretter Hut – Memories are made of this. So sang es schon Dean Martin in seinem Billboard-Hit. Damals, 1955.