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„Stil ist Mut, über den Tellerrand zu schauen“

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Modebloggerin Mary Scherpe über Berliner Outfits

Foto: privat
Mary Sherpe, Foto: privat

Etwas Praktisches wollte Mary Scherpe neben ihrem Studium der Kunstgeschichte machen – und gründete im Jahr 2006 den Modeblog stilinberlin.de. Heute betreibt die 29-Jährige das digitale Stilmagazin hauptberuflich. Auch der Blog selbst hat sich seither verändert: Er ist zu einer Art Reiseführer durch den „Berliner Stil“ geworden. Mary fotografiert Szeneläden, Ateliers – und was in Berliner Restaurants auf den Teller kommt. Eigentlicher Namensgeber des Blogs sind jedoch die Straßenmodels: Unbekannte, deren Stilsicherheit Mary populär machen will.

Was bedeutet „Stil“ für dich?

Stil ist etwas Persönliches, das jeder für sich selbst finden muss. Zum Stil kommt man aber nur durch den Mut, mal über den Tellerrand zu schauen und Dinge auszuprobieren, auch wenn das vielleicht mal schief geht. Stil bedeutet auch immer, sehr kritisch zu sein und sich nicht einfach zufrieden zu geben, sondern immer zu versuchen, etwas wirklich „Funktionierendes“ zu finden oder zu kreieren.

Machen sich die Deutschen weniger Gedanken über ihr Outfit als andere Nationen?

Nein, das denke ich nicht. Aber sie haben oft großen Respekt vor Eskapaden und vermuten schnell, dass man nicht für voll genommen wird, wenn man zu teure, trendige oder abgefahrene Kleidung trägt.

Quelle: stilinberlin.de

„Stil ist etwas Persönliches, das jeder für sich selbst finden muss.“ Quelle: stilinberlin.de

Was zeichnet denn den Berliner Stil aus? Gibt es so etwas wie einen stadtteilabhängigen Berliner Stil?

Die Berliner tragen gern gemütliche Kleidung, High-Heels sieht man bei den Berlinerinnen selten. Dafür aber ausgefeilte, superbunte Sneaker, man könnte auch sagen: Bordstein-SUVs. Berlin ist auch groß genug, um in seinen Stadtteilen unterschiedliche Geschmäcker zu entwickeln. Kreuzberg zum Beispiel ist zwar sehr casual unterwegs, aber lange nicht so abgerockt wie Neukölln.

Warum ist es wichtig, was wir anhaben? Was sagt Kleidung über die Persönlichkeit eines Menschen aus?

Mit Kleidung kann ich einen bestimmten Eindruck von mir bei meinem Mitmenschen erwecken. Wer streng geschnittene, kantige Blusen und Blazer trägt, kann niemandem weismachen, dass sie die Drei-Tage-Wach-Partymaus ist. Ebenso wenig sollte man ja nicht in Sweatpants zum Steuerberater gehen, wenn man will, dass der einen ernst nimmt.

Wie bereitwillig lassen sich Menschen auf der Straße von dir fotografieren?

Damit hatte ich bisher keine großen Probleme. Manche kennen auch den Blog.

Foto: Maegan Tintari CC BY 2.0

„Nicht in Sweatpants zum Steuerberater, wenn der einen ernst nehmen soll!“ Foto: Maegan Tintari CC BY 2.0

Was war dein ursprünglicher Gedanke, als du stilinberlin.de ins Leben gerufen hast? War es eine kommerzielle Idee?

Ich habe den Blog 2006 gegründet. Da hat noch kein Mensch Geld mit Blogs verdient, geschweige denn vermutet, dass das überhaupt ginge. Es war im Grunde für mich lediglich eine Möglichkeit, meinem akademischen Studium etwas Praktisches und quasi Lebensnahes entgegenzusetzen.

Wo kaufst du am liebsten ein?

Auf Reisen, da komme ich eher dazu, in Geschäfte zu gehen. Oder in den Ateliers von befreundeten Designern, da nehme ich auch gern mal was mit.

Das Interview führte Isabelle Daniel

Copyright: Goethe-Institut Prag
Oktober 2012
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