The First Sea
Israelische Aktivisten zeigen palästinensischen Kindern das Meer
Manchmal hat man eine gute Idee und viel Talent, sie umzusetzen – und was fehlt, ist nur noch das notwendige Kleingeld. So ist es oft im Filmgewerbe. Auch der Wiener Filmstudentin Clara Trischler ging es so. Ihr erster Dokumentarfilm The First Sea ist so gut wie fertig. Nur die Post-Produktion ist noch nicht finanziert. Deshalb bemüht sich eine Berliner Produktionsfirma um Spenden aus dem Internet.
Wenn Sarita Sharma von The First Sea erzählt, will man den Dokumentarfilm am liebsten sofort sehen. Die Berliner Produzentin schwärmt von atmosphärischer Dichte, der ungewöhnlichen Herangehensweise an ein schwieriges Thema, einem kreativen Stil. Sie betreut die Doku der Wiener Nachwuchsregisseurin Clara Trischler, die nach einem Aufenthalt in Israel das Drehbuch für ihren ersten großen Film geschrieben hat.
The First Sea ist ein Wortspiel. Wenn man Titel nur hört, kann man sich darunter das erste Meer oder das erste Sehen vorstellen. Im Film geht es um beides.
Kämpfer für den Frieden
Protagonistinnen sind zwei palästinensische Mädchen, Wafaa und Raneen, aus dem Westjordanland. Palästinenser im oft auch Westbank genannten Westjordanland haben keinen Zugang zum Meer, obwohl die größtenteils autonome palästinensische Region an das Tote Meer grenzt. Die israelisch-palästinensische Aktivistengruppe Min el Bahar (Combattants for Peace) organisiert deshalb Reisen ans Mittelmeer für palästinensische Kinder, die von Israelis begleitet werden – um das erste Mal im Leben das Meer zu sehen. „Für manche ist es auch das letzte Mal“, sagt Clara Trischler in ihrem Filmtrailer. Man bekommt eine Ahnung davon, dass dieser Film kein kitschiger sein wird, der die bald bevorstehende Versöhnung von Israelis und Palästinensern prophezeit.
„Ich war sehr beeindruckt von der Idee. Der Film nimmt sich viel Zeit, um dem Zuschauer ein Gefühl für die Situation der Kinder im Westjordanland zu geben. Zugleich wechseln die Perspektiven. Der Film sagt nicht: Das sind die Guten und das sind die Schlechten, sondern lebt gerade von der Ambivalenz in der israelischen und palästinensischen Gesellschaft“, sagt Produzentin Sharma, die sich schnell für das Projekt gewinnen ließ. „Der Film gibt denjenigen eine Stimme, die eigentlich nie zu Wort kommen: Den Kindern, die der Spielball der Ereignisse im Westjordanland sind.“
Zwei Mädchen, zwei Geschichten
Eine Perspektive vermittelt im Film das Mädchen Wafaa. Sie nimmt an der Reise zum Meer teil. Anders Raneen, die mit ihren Eltern in Wafaas Nachbardorf lebt und die Gruppe israelischer Aktivisten nicht ans Meer begleiten darf. Raneens Vater traut den israelischen Aktivisten nicht:„Am einen Tag schießen sie auf uns, am anderen wollen sie unseren Kindern das Meer zeigen“, formuliert er im Filmtrailer die Schizophrenie, die er auf Seiten der Israelis zu beobachten meint. Raneens Familie lebt in einem Dorf, in dem es ein tragisches Ritual geworden ist, dass sich gewaltbereite Israelis und Palästinenser jeden Freitag gegenüberstehen. Die Friedfertigkeit der Combattants-for-peace-Aktivisten passt nicht in das Israel-Bild von Raneens Vater.
Wie erschüttert das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern durch die andauernde Gewalt ist, zeigt die Regisseurin auch an israelischen Beispielen. So lässt sie israelische Eltern zu Wort kommen, die ihre Tochter bei einem Anschlag eines palästinensischen Terroristen verloren haben und deshalb ebenso große Zweifel an einem friedlichen Dialog haben wie Raneens Vater.
Auf eine Wertung will Clara Trischler aber verzichten. „Es gibt keinen klassischen Erzähler. Der Zuschauer soll sich selbst sein Bild machen“, erklärt Sharma.
Finanzierung durch die Crowd
Bis der Film Zuschauern vorgeführt werden kann, dauert es jedoch noch ein bisschen. Rund 6000 Dollar fehlen noch, um der Produktion den letzten Schliff zu verpassen. Die soll Nina Riedel auftreiben. Die Kulturwissenschaftlerin hat ihre Bachelorarbeit über Crowdfunding geschrieben und will dieses System in der Praxis testen. Ihre bisherigen Erfahrungen fallen positiv aus. „Es geht nicht nur um materielle Förderung, sondern auch darum, Feedback und neue Ideen von Unterstützern zu bekommen.“ Über Twitter, Facebook und den Blog des Films www.indiegogo.com laufen die Spendenaktionen. „Wer spendet, bekommt auch eine Gegenleistung“, erläutert Nina das Prinzip.
Gegenleistungen sind für jeden Beitrag ab fünf Euro zu haben. Vor allem aber wird jeder Unterstützer – gleichgültig, ob er Geld oder Ideen spendet – mit Ninas Worten eines: „Teil einer Community, die dazu beiträgt, dass ein großartiger Dokumentarfilm entstehen kann.“